StartseiteMagazinKulturFulminanter Auftakt am Schauspielhaus Zürich

Fulminanter Auftakt am Schauspielhaus Zürich

Zum Saisonauftakt bietet das Schauspielhaus Zürich ein heiteres Endspiel einer verunsicherten Gesellschaft von Dea Loher und das Theater Rigiblick eine amüsante Theaterfassung um Wahrheit und Lüge von Martin Suter an.

Nach der grossen Sommerpause kann man wieder Theaterluft schnuppern. Das Schauspielhaus Zürich startete gleich mit zwei Premieren in die neue Spielzeit: mit «Frau Yamamoto ist noch da» von Dea Loher im Pfauen und mit «Die Verwandlung» nach Franz Kafka in der Schiffbau-Box. Und das Theater Rigiblick zeigt zum Saisonstart als Erstaufführung eine Theaterfassung des Romans «Melody» von Martin Suter mit Liedern von Stephan Eicher.

Gespannt war man vorab auf den Saisonauftakt am Schauspielhaus Zürich unter der neuen Interimsintendanz mit Ulrich Khuon. Mit dem Stück «Frau Yamamoto ist noch da» der deutschen Autorin Dea Loher, das zeitgleich auch in Tokio uraufgeführt wurde, wird ein heiteres Endspiel einer verunsicherten Gesellschaft präsentiert, das am Premierenabend mit begeistertem Applaus honoriert wurde.

Pfauen: Grosse Themen, in einfacher Sprache erzählt

Das Stück zeigt die Bewohner eines Mehrfamilienhauses irgendwo in einer Grossstadt, ihre Beziehungen und ihre Vereinzelung, ihre Verstrickung in unseren Krisen. Die Titelheldin, die betagte Frau Sole Yamamoto, die einst zusammen mit ihrem Mann eine Sägerei besass und ihren Sohn durch einen Kletterunfall in den Dolomiten verlor, lässt gerne die Wohnungstüre offen, um sich nicht so isoliert zu fühlen. Sie hat Freunde im Haus gefunden: Erik und Nino, ein schwules Paar, und Eriks Nichte Milena. Am Ende stirbt Frau Yamamoto, Nino trennt sich von Erik und zieht in die leere Wohnung der Verstorbenen ein.

Gefangen in der Zweierkiste: Micro Kreibich als Nino und Sebastian Rudolph als Erik.

Zu dieser Rahmengeschichte gesellen sich noch weitere Figuren, die in verschiedenen Konstellationen aufeinandertreffen und gelebtes und nicht gelebtes Leben illustrieren. Ausgebreitet werden in über 20 losen Szenen existenzielle Themen wie Einsamkeit, Künstliche Intelligenz, Viren, Fischsterben, Glück und Tod. Meist in Zweierbegegnungen äussern die Spielenden ihre Probleme, Nöte und Sorgen, die sie umtreiben. Es sind die Themen unserer Zeit, die die Zerrissenheit unser Gesellschaft manifestieren.

Gespielt wird anfänglich auf einer leeren, weiss ausgekleideten Bühne. Eine Interessentin möchte die Wohnung von Frau Yamamoto übernehmen. Aber Frau Yamamoto ist noch da. Darauf folgen die Einzelszenen, schön farbig unterteilt mit verschiebbaren transparenten Folienwänden, die neue Räume und Ebenen schaffen (Bühnenbild: Florian Lösche). Es sind Szenen, die teilweise absurd und banal sind und doch irgendwie unsere triste Realität ablichten. Da ist beispielweise die Rede von einem Virus, der Menschen zusammenklebt, da liegen die beiden Protagonisten Nino (Mirco Kreibich) und Erik (Sebastian Rudolph) im Bett wie in einem aufgestellten Sarg und ratschlagen über das Ende ihrer engen Zweierkiste. Da geistert ein junger Dichter (Thomas Wodianka) über die Bühne und notiert wirre Zeilen auf klebende Notizzetteln, da fischen zwei Anglerinnen  (Alicia Aumüller, Judith Hofmann) in extrem hohen Gummistiefeln in einem vergifteten Gewässer, hört sich ein Therapeut (Matthias Neukirch) die Geschichte einer genervten Klientin (Judith Hofmann) an, die einen Nachbarn bei nervösen Gängen durch die Wohnung beobachtet, leistet sich eine reiche Frau (Charlotte Schwab) einen Tanzpartner und Beischläfer (Daniel Lommatzsch).

Man lebt zusammen und geht aneinander vorbei. Fotos: Alex Bunge / Schauspielhaus Zürich 

Inmitten dieser Episoden wirkt die Hauptperson Frau Yamamoto (Nikola Weisse) als ruhender Pol, die das Leben gelebt hat. Umrahmt wird das von Jette Steckel dialogisch und dramatisch meisterhaft inszenierte Spiel mit melancholischem Soundtrack der Band Notwist. «Seid ihr glücklich?», fragt Frau Yamamoto in einer Szene mit den Hausbewohnern. Wohl kaum angesichts der vorgeführten Zeitgenossen mit ihren Problemen und Absurditäten. Zu loben ist das Ensemble im dreistündigen Spiel (mit Pause), das überzeugend Menschen in ihren je eigenen Realitäten und Ambivalenzen zu chargieren versteht. Ein geglückter, fulminanter Auftakt.

Weitere Spieldaten: 19., 20., 24., 25., 29. September, 7., 10., 15., 20. Oktober, 4. November

Schiffbau-Box: Ein wenig spannungsreicher Kafka-Abend

Keine Frage, Kafkas Erzählung «Die Verwandlung» ist ein aktuelles Thema für die Bühne. Die Umsetzung allerdings ist eine gewaltige Herausforderung, denn wie macht man das Insekt sichtbar. Regisseurin Leonie Böhm ist dafür bekannt, dass sie Klassiker umgestaltet. So auch in ihrer Kafka-Inszenierung in der Schiffbau-Box. Sie versetzt die Handlung in eine Art Wüstenlandschaft mit Betonteich und riesigem Baumstamm darüber. Drei Schauspieler (Vincent Basse, Lukas Vögler und Eva Löbau) in fellartigen mit Panzerungen verzierten Kleidern verkörpern in wechselnden Konstellationen das Ausgestossensein, kommunizieren meist planschend im Teich ihre Krisen und Probleme in der Familie, in der Paarbeziehung, beim Sex, ihre Selbstzweifel, tasten fragend ihre Körper nach Veränderungen ab. Jeder darf mal Gregor Samsa sein.

Ausgestossene im Planschbecken und auf dem Baumstamm (v.l.): Vincent Basse, Eva Löbau, Lukas Vögler mit Gitarre.

Geboten wird ein wenig spannungsreicher Kafka-Abend. Phasenweise schimmert absurde Farce durch. Insgesamt hinterlässt die Inszenierung einen fahlen Geschmack von Ratlosigkeit zurück.

Weitere Spieldaten: 18., 19., 22., 26., 27., 28., September, 2., 3., 5., 7., 11., 12., 16., 18., 20., 21., 24. Oktober

Theater Rigiblick: Eine Hochzeit, die nicht stattfindet

In Martin Suters Roman «Melody » geht es um eine Hochzeit, die pompös vorbereitet wird, aber nicht stattfindet. Peter Stotz hat fast alles erreicht, ist vermögend, besitzt eine Villa am Zürichberg, hat eine Laufbahn als Offizier und Politiker hinter sich, ist im Vorstand des Opernhauses. Er verliebt sich in die aus Marokko stammende bildhübsche Melody, eine Muslimin, deren Eltern sie längst einem Mann aus der Heimat versprochen haben. Alle Versuche, die Eltern und vor allem den rabiaten Bruder umzustimmen, scheiterten. Trotzdem war das Paar wild entschlossen, sich über alle Widerstände hinwegzusetzen und zu heiraten. Doch wenige Tage vor der Hochzeit verschwand Melody plötzlich spurlos. Der Ausgang des Romans sei hier nicht verraten.

Die Geschichte mit Melody wird erzählt (v.l.): Severin Mauchle als Tom Elmer, Graziella Rossi als Hausangestellte, Urs Bihler als Peter Stotz. Foto: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie

Daniel Rohrs, Hausherr im Theater Rigiblick, Theaterfassung  ist eine getreue Nacherzählung des Romans. Aufgelockert werden die einzelnen Szenen mit Liedern von Stephan Eicher, vorgetragen von den Spielenden und begleitet von zwei Musikern am Klavier und an der Gitarre (Christian Roffler und Sascha Sendiks). Der alternde Peter Stotz (meisterlich gespielt von Urs Bihler) holt sich den jungen Juristen Tom Elmer (Severin Mauchle) ins Haus, der den Nachlass von Stotz ordnen soll. Nach und nach erfährt Elmer die Geschichte mit Melody, lüftet im Verlauf des Abends zusammen mit Stotz` Grossnichte Laura (Eva Maropoulos) den wahren Verbleib von Melody.

Es geht im Stück um Wahrheit und Lüge, um Schein und Sein, um den Glanz von Peter Stotz, der der Nachwelt vermittelt werden soll. Daniel Rohr präsentiert eine stringente Theaterfassung des Romans mit teils umwerfend komischem Hauspersonal (Klaus Hemmerle, Graziella Rossi und Hanna Scheuring), die einen höchst unterhaltsamen Theaterabend garantiert.

Weitere Spieldaten siehe Theater Rigiblick

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