Scheinwerfer auf! Ein zierliches Persönchen steht im Lichtkegel. Zündet ein Feuerwerk von Koloraturen und Trillern. Zerbinetta ists, die schillerndste Figur der Oper «Ariadne auf Naxos», des dritten Werks in der künstlerischen Zusammenarbeit zwischen Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss.
Nach grundlegender konzeptioneller Umgestaltung und intensivem Briefwechsel konnte das Werk am 4. Oktober 1916 mit großem Erfolg an der Wiener Hofoper in Szene gehen. Thema des Stücks ist das «Theater» mit seinem schönen Schein, dem schmalen, brüchigen Grat zwischen Illusion, Trug und Wahrheit.
Die Magie des Theaters
Auf Order eines reichen Mäzens soll eine extra in Auftrag gegebene Oper seria gleichzeitig mit einer Komödie aufgeführt werden, was natürlich zu diversen Kalamitäten führt. Durch ihre tiefe Menschlichkeit und ihren wunderbaren Text ist «Ariadne» indes von einer Karikatur des Opernbetriebs mit seinem alltäglichen Wahnsinn weit entfernt. Dies verdankt sich unter anderem auch der klugen, im besten Sinne warmherzigen Arbeit, die Andreas Homoki zum Auftakt seiner letzten Spielzeit als Intendant/Regisseur am Haus vorlegt.
Ziyi Dai als Zerbinetta zerrt den «Komponisten» (Lauren Fagan in einer Hosenrolle) auf die noch dunkle Bühne – die Oper hat noch gar nicht begonnen. (alle Bilder Opernhaus Zürich/Monika Rittershaus)
So blicken wird denn, noch bevor die Musik erklingt, in den dunklen neutralen Bühnenraum, wo sich eine Schar schwarzgekleideter Männer und Frauen mit Dehn- und Lockerungsübungen fürs Kommende einstimmt. Gestaltet hat diesen profanen «Arbeitsraum» Michael Levine, und er wird nach der Pause noch eine echt geniale Scheinwelt herbeizaubern.
Wie das Vorspiel einsetzt, werden von den Seiten raumhohe Bühnenelemente reingeschoben; eine gigantische Kleiderstange senkt sich von oben herab; jeder pickt sich etwas heraus aus dem bunten Klamottenfundus. Zusammengestellt hat das textile Sammelsurium Kostümbildnerin Hannah Clark.
Ein Kostümfundus zur freien Verfügung. Da heisst es zugreifen und sich für die Opernproduktion ausstaffieren.
So werden wir Zeugen, wie sich Alltagsmenschen in Opernfiguren, in Sänger, Protagonisten, Komparsen, Bühnenarbeiter verwandeln. Homoki lässt das köstliche Vorspiel genüsslich abspulen, setzt da und dort delikate Pointen ins temporeiche Spiel. Der eitle Tenor, der den unseligen Perückenmacher ohrfeigt und ihm die unpassende Perücke nachschmeißt. Die eingebildete Diva, die dauernd nach dem Herrn des Hauses ruft. Oder ein schlaksiger Feuerwehrmann (Tomislav Jukic), der es nicht schafft, sein Bouquet der angebeteten Sängerin zu überreichen.
Sorgfältige Rollenbesetzung, subtile Personenregie
Als schwarze Eminenz und Stimme seines Herrn gibt Kurt Rydl einen Haushofmeister von souveräner Arroganz. Köstlich auch die vier Sidekicks der Zerbinetta, närrische Chargen aus der Commedia dell’arte, die mit ihrem Allotria ein wenig an die Handwerker aus dem «Sommernachtstraum» erinnern: Yannick Debus (Harlekin), Daniel Norman (Scarramuccio), Hubert Kowalczyk (Truffaldin) und Andrew Owens (Brighella) machen aus dem Trabantenquartett eine singende und schauspielernde Phalanx, die immer, wenn’s allzu klamaukig zu werden droht, die Kurve gerade noch schafft. Vier Rabauken, die doch nicht so abgebrüht sind, dass sie der liebeskranken Ariadne nicht ein gewisses Mitgefühl entgegenbringen.
Daniela Köhler als Ariadne (auf dem Bett), Zerbinetta (links), der Komponist (rechts) vor dem Quarrett wie aus der Commedia dell’arte warten, dass die Oper endlich beginnen kann.
Mitten im Strudel – eine von der Regie mit besonderer Empathie bedachte Figur – ist der Komponist, der noch allerletzte Retuschen und Ergänzungen anbringen möchte. Lauren Fagan überzeugt in der Hosenrolle des Zartbesaiteten: optisch androgyn in Anzug und mit markanter Brille, stimmlich mit feinen Lyrismen und juveniler Leidenschaft. Auch zur Aufführung der Oper geistert er/sie wider alle Gepflogenheiten über die Bühne, lauscht verzückt der eigenen Musik, versucht die dreisten Interventionen der Komödianten in Schach zu halten und ist dem aufwallenden Gefühl gegenüber der koketten Zerbinetta rettungslos aufgeliefert. Da haben auch der Musiklehrer als alter Theaterfuchs (Martin Gantner) und der schnöselige Tanzmeister (Nathan Haller) leichtes Spiel, den verunsicherten Jüngling zum Einlenken zu bewegen, auf dass die Oper «Ariadne» endlich in Szene gehen kann
Somit kann auch der Teppich ausgerollt werden, der als raffiniert beleuchtetes Rechteck die «wüste Insel» Naxos darstellt und später gar vom Boden abhebt, sich dreht und buchstäblich den Boden unter den Füssen wanken lässt. Ein pompöses Ehebett wird hereingekarrt, zwei Nachttische, zwei Lampen. Hier, im zerwühlten Pfühl, kann Ariadne sich ihrer Seelenpein ergeben.
Brautjungfern begleiten die unglückliche Braut mit ihrer Todessehnsucht.
Attestiert in ihrer Not wird die Verlassene von drei Nymphen. Yewan Han, Siena Licht Miller und Rebeca Olvera fügen sich zu einem balsamischen Terzett, das einen jegliches Leid vergessen macht – oder erst recht zu Tränen rührt? Sie tragen ebenfalls bräutliche Roben, waren wohl die Brautjungfern der Ariadne. Auch diese trägt noch immer Hochzeitrobe und Schleier, doch sie sehnt sich nach dem Tod, ist bereit diesen mit entsprechenden Pharmaka herbeizuzwingen.
Rollendebut mit viel Vibrato
Daniela Kühler zeichnet die unglückliche Heroine mit Noblesse und vibratoreichem Sopran, was vielleicht ihrer Seelenpein angemessen ist; Herzenston und vokaler Schmelz geraten bei diesem Rollendebut (noch) etwas in den Hintergrund. Gut dagegen gelingt der stimmliche und emotionale Wandel angesichts des «neuen Gottes» in Gestalt des Bacchus, den das Schicksal ans Trauerlager führt. John Matthew Myers hat die Rolle sehr kurzfristig übernommen und meistert sie mit beachtlichem Anstand. Sein Auftritt aus einem senkrecht gespiegelten Abbild des realen Schlafgemachs ist ein bühnenbildnerisches Bravourstück und ein echter Hingucker.
Zerbinetta, umschwärmt vom männlichen Teil des Ensembles, setzt den Männern zwar keine Hörner, dafür aber weisse Zylinder auf.
Und dann ist da eben jene Zerbinetta, eine Schwester der mozartischen Despina. Die Chinesin Ziyi Dai meistert den vokalen Hochseilakt, gespickt mit halsbrecherischen Koloraturen und kristallinen Spitzentönen, mit Grandezza und Spielwitz. Neben zirzensischer Extravertiertheit und charmanter Frivolität lässt sie auch tiefere Empfindungen erahnen. Kein Wunder, dass sie nicht nur ihren vier Kollegen den Kopf verdreht, sondern auch dem «grünen» Komponisten heiss macht. Und der versammelten männlichen Belegschaft dazu, wie die hübsche Szene andeutet, wo alle zwar keine Hörner, aber einen weissen Zylinder von der Mamsell aufgesetzt kriegen…
Markus Porschner am Pult der Philharmonia Zürich führt mit sicherer Hand durch die kammermusikalisch fein ziselierte Partitur. Das Orchester agiert wach und flexibel. Vieles, ja fast alles ist da: Zart hingetupfte Parlando-Passagen und aufschäumende Klangwogen. Die Feinarbeit und die große, mitunter allerdings oftmals etwas zu heftig dröhnende Geste… Die für Strauss typische Raffinesse, die Klangmagie wird sich, darf man hoffen, im Laufe der weiteren Vorstellungen noch vermehrt einstellen. Jedenfalls vergehen die zwei Stunden Spieldauer wie im Flug.
Zurück bleibt der Komponist. Da erscheint Zerbinetta und nimmt den armen Jungen an der Hand… Haushofmeister Rydl heisst die Scheinwerfer ausknipsen. Das Feuerwerk kann beginnen – in Form eines rauschenden Beifalls.
Nächste Aufführung: 28. September