Den Optimismus im Alter bewahren: Der Seeländer Pfarrer Ueli Tobler, selber im Seniorenalter, erzählt in seinem neuen Buch von persönlichen sowie beruflichen Erfahrungen und Hoffnungen. Es sind Gedanken, Geschichten und Gedichte entstanden, die den Alltag erhellen und zum Nachdenken anregen.
Das Älterwerden geht nicht selten einher mit Pessimismus oder gar mit Depression: Neben dem Gefühl der Bedrücktheit und Antriebslosigkeit fühlen sich Betroffene oft hilf- und hoffnungslos. Viele alternde Menschen leiden unter Minderwertigkeitsgefühlen und Schuldgefühlen. Hinzu kommen mangelnde Konzentrationsfähigkeit, Reizbarkeit und Suizidgedanken. Pessimismus macht sich breit bezüglich sozialer Abhängigkeit, Schwäche und schwerer Erkrankungen.
Pfarrer Ueli Tobler, der sich als «theologischer Wort-Werker» bezeichnet, setzt den negativen Gefühlen im Alter eine Haltung entgegen: In seinem neuen Buch plädiert er für mehr Optimismus. In Hochdeutsch, Berndeutsch und mit Fotos seiner Frau Elisabeth, ebenfalls Pfarrerin, erzählt er, wie man auf bange Fragen um die Zukunft, auf Sorgen um die Gesundheit und Ängste vor dem Tod reagieren kann.
Ueli Tobler in seinem Büro.
Seine Rezepte hat er in sieben Kapitel gegliedert: Gute Gründe, dankbar zu sein – Es lebe der Humor! – Die grosse Kunst, einfach da zu sein – Lieber zufrieden als immer gesund – Offene Arme, Ohren und Herzen sind wichtiger als schnelle Beine – Aufräumen und mit Hoffnung nach vorne schauen – Zeit für gute Nachrichten. Das Nachwort stammt von Ursula Marti, Kommunikationsberaterin, Synodalrätin der ref. Kirchen Bern-Jura-Solothurn, Departement Sozial-Diakonie.
Die grosse Kunst, einfach da zu sein
Das Gefühl, unnütz zu sein, keine Aufgabe mehr zu haben, einfach nur noch da zu sein, sei für viele Betagte schwer zu ertragen, glaubt Tobler. Wer so denke, übersehe, dass im Alter nicht nur die Leistung, das Tun zählt, sondern schlicht das Dasein. Dann erzählt der Autor die Geschichte von einem alten Mann, der das Haus seiner Tochter und deren Familie hütete. Als er starb, mussten die Hausbesitzer ein Schloss einbauen und die Haustür mit einem Schlüssel abschliessen. Solange der alte Mann einfach da war, waren Sicherheitsmassnahmen überflüssig. Für Tobler ist es eine grosse Kunst, im Alter nur noch da sein zu dürfen und nichts mehr zu müssen.
Offene Ohren und Herzen
Gegen Alterspessimismus hilft es auch, die Augen, Ohren und Herzen zu öffnen. Dies sei wichtiger, als schnelle Beine zu trainieren, findet der Autor. «Offene Ohren sind in unserer hektischen Zeit eine Kostbarkeit. Seniorinnen und Senioren könnten über diese Rarität verfügen». Das offene Herz sei unabhängig von medizinischen Befunden wertvoll, auch ein gesundheitlich angeschlagenes Herz könne offen sein, findet er.
Mit der Metapher meint er die Sozialkompetenz im Alter sowie die Pflege von Freundschaften und Netzwerken. Gemeinsame Reisen, Spaziergänge oder auch nur Kaffeenachmittage seien Mittel gegen die Einsamkeit und förderten den Optimismus. Als Beispiel aus seinem beruflichen Alltag erwähnt Tobler die Gründung eines Männerstammtisches in seinem Dorf. Zu seiner grossen Freude habe er erlebt, wie aus den eher scheuen Männern Stammgäste wurden.
Humor als beste Medizin
Mit regelmässigem Humor lässt sich der grösste Pessimist aus der Reserve locken. Mit Humor liessen sich auch grössere Probleme im Alter aufwiegen, findet der «Wort-Werker» und präsentiert in diesem Kapitel eine ganze Reihe von lustigen Gedichten, Wortspielen und Geschichten. Für all jene, denen eine volle Blase regelmässig einen Streich spielt, hat er den «Blasen-Blues» erfunden. Damit lässt sich ein verbreitetes Ärgernis – wenigstens vorübergehend – überwinden.
Gute Gründe, dankbar zu sein
Im Zentrum von Toblers «Medikamentenliste» steht die Dankbarkeit: «Grundlage des Optimismus ist die Dankbarkeit. Dabei hilft es mir, immer wieder gründlich anzuschauen, was ich habe, und sparsam zu sein beim Betrauern und Beklagen dessen, was nicht mehr geht, was verloren und vergangen ist. Ich habe das Glück, mir darüber Gedanken machen zu können. Ich habe Zeit und Kraft, mich mit dem Älterwerden zu befassen. Schon nur, dass ich das Pensionsalter erreicht habe, ist keine Selbstverständlichkeit und zeigt Gründe auf, dankbar zu sein,» schreibt Ueli Tobler in seinem neusten Werk.
Optimismus im Alter, Erfahrungen und Hoffnungen, Ueli Tobler, Weber Verlag AG, 2024, ISBN 978-3-03818-590-1
Titelbild: Gemeinsamkeiten, positive Erlebnisse und Dankbarkeit fördern den Optimismus. Fotos: Freepik und PS
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Positives Denken im Alter
Voraussetzung für ein optimistisches Altern sind positive Gefühle. Das bestätigt auch eine Wissenschaftlerin: Judith T. Moskowitz ist Professorin für Medizinische Sozialwissenschaften an der Northwestern University Feinberg School of Medicine in Chicago. Sie hat acht Aktivitäten zusammengestellt, die positive Gefühle ganz gezielt fördern sollen. Dies sind ihre Tipps:
- Jeden Tag ein positives Erlebnis erkennen.
- Einen positiven Moment auskosten, ihn aufschreiben oder jemandem davon erzählen.
- Ein Dankbarkeitstagebuch führen.
- Eine eigene positive Eigenschaft aufschreiben und sich selbst beobachten, wie man sie einsetzt.
- Sich selbst ein erreichbares Ziel setzen und den eigenen Fortschritt beobachten.
- Etwas aufschreiben, das nur ein bisschen Stress macht. Und dann Strategien finden, wie man dem Ganzen etwas Positives abgewinnen kann.
- Täglich gute Taten erkennen und üben. Zum Beispiel auch durch das Ausmisten und Entrümpeln des Haushalts.
- Die Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt richten. Nicht auf die Vergangenheit und nicht auf die Zukunft.
Porträt von Ueli Tobler
Viel Gutes dabei. Doch gelten diese Ratschläge nicht für das ganze Leben? Ja und ich glaube, dass der Alterspessimismus eine alte Mär ist, ein einmal mehr von den Medien gepuschtes Narrativ ist. Es passt so gut zu den Klischees des alten Menschen und fördert nebenbei die Auflage der Themenbücher. Wers braucht, nur zu.