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Ikaria, Insel des einfachen Lebens

Ikaria wird «Insel der Hundertjährigen» genannt, weil ihre Bewohner so gelassen und gesund seien. Wer ein Stück ursprüngliches und unverfälschtes Griechenland sucht, ist hier auf der richtigen Insel.

Nicht über Badeorte oder Sehenswürdigkeiten möchte ich berichten, sondern über Eigenheiten ihrer Bewohner, die mit der Topographie und der Geschichte der Insel zu tun haben.

Das Tal des Flusses Mirsana

Doch zuerst eine kurze Vorstellung der Insellandschaft. Durch das wuchtige Atherasgebirge mit Höhen bis 1100 m wird die Insel in eine Nord- und eine Südhälfte geteilt. In der Länge entspricht sie etwa dem Bodensee. Grüne Abhänge, fruchtbare Schwemmlandebenen mit Olivenhainen und terrassierten Rebbergen machen die Landschaft reizvoll. Bergdörfer, mehrere Klöster, wilde Schluchten und abenteuerlich geführte Passstrassen prägen die ländliche Vielfalt der Insel.

Blick von der Passhöhe auf die Südseite mit der Insel Fourni und der nahen Türkei

Die Südküste ist karg und steil. Ein Vorteil einer Insel ist, dass man je nach der Windrichtung die Seite wechseln kann. An stürmischen Herbsttagen mit Nordwind kann man meist im Süden angenehm schwimmen. Auch jetzt gegen Ende September ist das noch möglich.

Morgenstimmung in Armenistis

Die Insel war lange arm, das Leben einfach, und weit entfernt vom Massentourismus. Im Gegensatz etwa zur Nachbarinsel Patmos im Süden ist Ikaria auch nicht übersät von Zweitwohnungen und in den Häfen gibt es kaum luxuriöse Jachten zu sehen. Was hingegen auffällt, sind die vielen Wracks von Autos und auch von Bussen, die teilweise schon jahrelang am Strassenrand oder am Strand vor sich hin rosten.

Fischerboote verrotten in einer kleinen Bucht

Die Bergdörfer waren bis vor wenigen Jahrzehnten nur zu Fuss erreichbar und hatten lange kaum Kontakt mit der Aussenwelt. Es ist bekannt, dass viele Einheimische sehr alt werden. Nicht nur das naturnahe Leben, sondern die Entschleunigung des Alltags werden als Gründe genannt. Die hohe Qualität der lokalen Nahrungsmittel mag zum gesunden Lebensstil beitragen.

Kleine Geschäfte in Marathokambos verkaufen neben Souvenirartikeln selbst gesammelte Kräutermischungen und Honig.

Der Anteil der Neunzig- und Hundertjährigen soll deutlich höher sein als im europäischen Durchschnitt. Ikaria mit seinen 8500 Einwohnern sei neben Sardinien eine «Blue Zone» – ein Titel der in Reiseberichten oft aufscheint. Den Begriff prägte 2008 der belgische Demograph Michel Poulain. Auf der Nachbarinsel Samos hingegen alterten die Menschen wie üblich in westlichen Industrienationen.

Die Hochzeit eines amerikanischen Liebespaares fand unten am felsigen Strand unseres Hotels in Armenistis statt. Der Bezug: ein Onkel ist von der Insel ausgewandert.

Viele Häuser gehören Angehörigen der ikarischen Diaspora, von denen sich einige hier Ferienhäuser errichtet haben. Allerdings bietet die Insel wenig Arbeitsplätze. Junge Leute ziehen meist weg nach Athen oder ins Ausland.

Die landschaftliche Vielfalt der Insel reicht über eindrückliche Gebirgswelten mit Passtrassen bis zu tiefen Schluchten.

Bekannt ist Ikaria neben der inseleigenen Gelassenheit auch für seine Widerständigkeit. Aufgrund der Verbannung vieler Kommunisten und linken Intellektuellen während der Militärdiktatur von 1976 bis 1974 wird sie von manchen Griechen auch «die Rote Insel» genannt. Viele Einheimische solidarisierten sich mit den Verbannten. Dadurch wurden auch Inselbewohner Opfer dieses faschistischen Regimes.

Boote werden ins Winterquartier gebracht.

Schon früher, während des 2.Weltkrieges, litten die Iskarioten brutal unter der Naziherrschaft. Dem Besucher zeigen sich Zeichen nur in Spuren. Manche Parolen an Strassenmauern sind mit Initialen der Kommunistischen Partei Griechenlands KKE unterschrieben. Nationalfahnen vor den Häusern gibt es auf der Insel eher seltener als sonst auf anderen Inseln der Nordägäis. Soziale Einstellung und solidarische Werte – Elemente eines natürlichen Kommunismus – seien heute noch wichtig auf der Insel.

Fassadenmalerei mit dem fliegenden Ikarus in Marathokambos

Aus der griechischen Mythologie kennt man das Schicksal von Ikaros, von dem die Insel den Namen bekommen hat. Daidalos, Erfinder und Architekt, war Gefangener des Königs Minos in Kreta. Einzige Möglichkeit zu entkommen war der tollkühne Weg durch die Luft. Mit dem von seinem Vater Daidalus konstruierten Flügeln flog Ikarus aus Übermut zu nahe an die Sonne heran, wodurch das Wachs, das die Flügel zusammenhielt, schmolz. Er stürzte ins Meer und ertrank.

Titelbild: Kloster Moni Evangelistria, Ikaria
Fotos: © Justin Koller

Quellen:
Ikaria – Insel der Hundertjährigen (ard-Mediathek)
Gesund und stark… (NZZ Gesellschaft)
Das verborgene Herz der Weltrevolution (WOZ)
Tipps einer Inselbewohnerin für Ikaria 

 

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