Die griechische Insel Ikaria in der östlichen Ägäis ist bekannt für ihre Volksfeste. Panagyria sind einfache Dorffeste, die auf den griechischen Inseln seit vorindustriellen Zeiten ein fester Bestandteil des Zusammenlebens sind.
Im ersten Bericht über Ikaria vom 24.10.2024 standen die landschaftliche Schönheit und die Lebensweise der Bewohner im Vordergrund. Die einfache Insel, weit weg vom Massentourismus, erinnert an das gemütliche, unverfälschte Griechenland der 1970er Jahre.
Mesachti Strand mit Kapelle Ag. Analipsi
Im Herbst am Ende der Touristensaison ist das Leben beschaulich. Die Inselbewohner sind mit Erntearbeiten beschäftigt. Im kleinen Hafen werden Boote und Netze eingeholt. Es ist auch die Jahreszeit vieler Volks- und Kirchenfeste.
Vom Taxifahrer hatten wir auf Nachfrage den Tipp, im Dorf Nas im Westen des bekannten Küstenortes Armenistis gebe es nicht nur einen prächtigen Sonnenuntergang zu erleben, sondern heute auch ein Volksfest zur Feier der Heiligen Kosmas und Damian, Ärzten und Märtyrer aus dem 3. Jahrhundert.
Ehemaliges Frauenkloster westlich von Nas
Zu den Namenstagen von Heiligen wird vor den ihnen geweihten Kirchen bis spät in die Nacht getafelt und getanzt. Gegen Abend werden längs der Strasse Reihen von Tischen und Bänken aufgestellt, in grossen Töpfen und Pfannen wird gekocht und in die Nacht hinein gefeiert. Der Überschuss wird für einen sozialen Zweck verwendet.
Sonnenuntergang über der Steilküste von Nas
Die Szenerie ist wirklich idyllisch. Vor der Mündung des Flusses hat das Meer einen Damm aufgeschüttet, der das Wasser zu einem kleinen See staut. Ein alter Kultplatz, von dem noch die Fundamente des Artemistempels zu sehen sind.
Der Festplatz entlang der Strasse
Inzwischen haben in kurzer Zeit längs der Strasse junge Leute Bänke und Tische aufgestellt. Eine Reihe von Besuchern hat schon damit begonnen, sich am einfachen Buffet die Teller füllen zu lassen. Es gibt griechischen Salat, Ziegenbraten und Inselwein. Wir haben schon gegessen. Darum kommen wir gar nicht in die Versuchung, hier eine solche Riesenportion zu bestellen. Unseren Tischnachbarn scheint das ganz ähnlich zu gehen. Sie fordern uns auf mitzuessen. Obwohl ich zuerst abwinke, kommt es mir unfreundlich vor, nichts anzunehmen. Das Ehepaar bemüht sich um uns. Der Mann holt sein Sackmesser hervor und schneidet mir mundgrosse Stücke zurecht. Griechische Gastfreundschaft!
Ein Quartett mit Gitarre, Geige, Bouzouki und Gesang macht Stimmung.
Die Musik spielt auf. Die Menschen beginnen zu tanzen, legen sich die Arme über die Schultern, bilden einen festen Kreis, der Rhythmus und Bewegung aufnimmt und weitergibt. Der bekannte Mikis Theodorakis war vom Obristen-Regime nach Ikaria verbannt worden. Elemente der Volksmusik finden sich in seinen Kompositionen. Unweit von hier, im Dorf Vrakades, habe er gewohnt, in einem inseltypischen Felsenhaus, heute sei es ein kleines Museum erfuhren wir von unseren neuen Bekannten.
Unter solchen Felsdächern verbargen sich Häuser und Ställe
Wie auf anderen Inseln war die Gefahr von Piratenüberfällen ständig akut. Es gibt auf Ikaria in einer geologischen Schicht riesige Felsdächer, die wie Dolmen unter sich Platz bieten für eine Behausung. Den zugemauerten, teilweise fensterlosen Teil kann man so vom Meer aus nicht sehen.
Zu einem weiteren Fest kamen wir am folgenden Tag. Wir suchten den vom Dorf ausgehenden Pfad zur kleinen idyllisch gelegenen Kapelle der Heiligen Sofia. Hinter uns parkte auf der engen Strasse ein Touristenbus. Wanderer im Pensionsalter, Griechen und Griechinnen und darunter das Paar, welches wir gestern in Nas am Volksfest kennen gelernt hatten.
Zuerst ein langer Abstieg in die Schlucht und dann ein Aufstieg zur Kirche der Ag.Sofia
Wir schlossen uns ihnen an und erlebten den religiösen Teil des Kirchenfestes. Der Weg führte an Steinhäusern vorbei, auf weiss bemalten Felsenstufen hinauf und hinunter bis zur kleinen Kirche, die unter einem riesigen Felsendach steht.
Unter dem Sonnendach findet die Segnung statt.
Einheimische und Touristen nehmen an der Segnung teil
Die Kirche ist zu klein für die Schar der Gläubigen. Der Papas segnet die Pilgerinnen und Pilger, die das Bild der Heiligen küssen, mit Weihwasser.
Jährlich einmal kommt Heimweh-Insulaner Giannis zur Zeremonie
In der kleinen Kirche lernte ich Giannis kennen, der von Australien aus jedes Jahr einmal in seine alte Heimat zurückkehrt. Das gehöre zum Ritual, bringe Segen und stärke das Dorf.
Der Reliquienschrein
Er zeigte mir in einem Kästchen die Gebeine der Heiligen, indem er die Blumen darauf kurz abdeckte. Die Gläubigen bekamen Brot und Loukoumi, eine Süssspeise aus Zucker und gelierter Stärke.
Platz genug für Pilger und Touristen
Der Weg führte uns zurück zum Festplatz, einer natürlichen Halle, geformt von riesigen Platanenbäumen und ausgestattet mit Tischen und Stühlen. Die Küche war modern, die ersten Gäste holten sich bereits ihr Essen. Leider gaben wir uns – rückblickend gesehen – die Zeit nicht, um zu schauen, wie sich das Fest weiterentwickelte. Wir hatten ja noch viel vor an diesem Tag und es war ja erst Mittag. Die Gelassenheit, sich auf den Lauf der Dinge einzulassen, lernt man doch nicht so schnell, wie man vielleicht möchte – auch nicht auf der «Insel der Hundertjährigen».
Titelbild: Tanz zu mitreissender Rembetiko-Musik
Fotos © Justin Koller
Hier gibt es eine Liste der Tanzfeste auf Ikaria
Bericht eins: Ikaria, Insel des einfachen Lebens