Das Wagnis hat sich gelohnt und ein Wagnis ist diese russische Parodie nach wie vor. Auch wenn die Oper «Leben mit einem Idioten» von Alfred Schnittke (1934-1998) als bissige Lenin-Karikatur gedacht ist. Das Publikum am Zürcher Opernhaus spendete begeisterten Applaus.
Russland ist ein Land der kommunistischen Diktatur, bis heute. Ein schwieriges Land für die Menschen, vor allem für die Intellektuellen und Künstler, die ihre kritische Meinung zum System äussern. Auch dem russischen Autor Viktor Jerofejew, der die Idioten-Geschichte geschrieben hat, erging es so: Man schmiss ihn überall hinaus, und sein Vater verlor seinetwegen sein Amt als Botschafter in Wien. In «Leben mit einem Idioten» verarbeitet er diese Gewalt an seiner Familie. Jerofejew war an der Zürcher Premiere anwesend.
Inszenierung trotz Hausarrest
Auch der Regisseur dieser Neuproduktion, Kirill Serebrennikov, war diesem Willkür-Regime ausgeliefert. Als er vor sechs Jahren am Opernhaus Zürich Mozarts Oper «Cosí fan tutte» hätte inszenieren sollen, wurde er in Russland unter Hausarrest gestellt und konnte nicht anreisen. Die Inszenierung machte er aber trotzdem, mit seinen Assistenten per Video.
Schnittkes „Leben mit einem Idioten“ wird eigentlich immer politisch inszeniert, mit dem Idioten ist Lenin gemeint. Die Geschichte ist absurd. Als Strafe für mangelndes Mitleid soll der Schriftsteller «Ich» einen Idioten bei sich zuhause aufnehmen. Scheinbar eine leichte Aufgabe. «Ich» begibt sich in eine Irrenanstalt und sucht sich einen «heiligen Narren» aus.
Familienidylle mit einem «Idioten»: «Ich» (BonSkovhus), Idiot/Double Campell Caspary, «Frau» (Susanne Elmark).
Der Idiot scheint sich brav in das Leben von «Ich» und seiner Frau einzufügen, er kann aber nicht sprechen und sagt immer nur «Äch!». Als dann der Idiot ohne Vorwarnung erstmals auf den Teppich scheisst, beginnt eine unkontrollierbare Spirale aus Gewalt, Sex und Anarchie. 1992 wurde diese bitterböse Parodie auf den sowjetischen Alltag in Amsterdam uraufgeführt.
Keine Avantgarde-Musik
Die Musik, die Alfred Schnittke dazu komponiert hat, ist ausdrucksstark und eng mit den Worten verbunden. Sein Stilmittel ist die Polystilistik. Schnittke lässt vieles in seine Musik einfliessen: Tango, Walzer, Märsche und russische Folklore. Es ist keine Avantgardemusik, aber sie wirkt surreal, bissig übersteigert und dramaturgisch offen in der Form. Und trotz ihrer massiven Bläser-Partien ist sie gut durchhörbar, man versteht jedes Wort, das gesungen wird.
Dies ist auch das Verdienst des Dirigenten Jonathan Stockhammer. Er ist ein ausgewiesener Fachmann für neue Musik. Unvergessen ist mir seine Luigi Nono-Produktion am Theater Basel. Stockhammer vermochte den hintergründigen Einsatz von Tango und Walzer herrlich auszukosten. Aber auch die koloraturhaften Intervallsprünge und rhythmisch virtuosen Eskapaden gelangen der Philharmonia Zürich bravourös.
Schwierige Rollendebüts
Für die Sängerinnen und Sänger waren es bis auf eine Ausnahme Rollendebüts. Auch traten sie erstmal am Opernhaus Zürich auf. Es sind unheimlich schwierig zu singende Partien. Nicht nur die extremen Sprünge, auch das Falsett und die expressive Kraft sind enorm anstrengend.
Susanne Elmark als «Frau». (Opernhaus Zürich/Frol Podlesny)
Die Sopranistin Susanne Elmark hat die «Frau» schon einmal gesungen. Es ist eine diffuse Figur, eigentlich von ihrem Mann ermordet, und dennoch da. Sie singt und spielt die Rolle mit engagiertem Einsatz und brillanter Intonation. Sie ist fast ständig auf der Bühne, so wie auch der Bariton Bo Skovhus als «Ich». In ihren meist gehässigen Dialogen entfalten die beiden eine bewundernswerte stimmliche Virtuosität.
Splitternackter Idiot
Der Idiot wird in dieser Neuproduktion nicht als Lenin parodiert, es geht Kirill Serebrennikov weniger ums Politische als um die Mächtigen der Wirtschaft. Sein Idiot ist splitternackt. Campell Caspary ist ein schöner Mann und bewegt sich ganz frei von Scham über die Bühne. Aber ist diese Nacktheit wirklich notwendig? Caspary ist das Double des lyrischen Tenors Matthew Newlin, der die surrealen «Äch!»-Koloraturen agil und hoch expressiv präsentierte.
«Ich» und der «Idiot», respektive das nackte Double des Tenors Matthew Newlin.
Der Chor ist während der ganzen Produktion auf der Bühne. Eigentlich ist er Teil des Bühnenbilds, sitzt er doch hinten auf den weissen Treppenabstufungen. Zudem sind alle weiss gekleidet. Mal spielt der Chor die Party-Gesellschaft des «Ichs», mal kommentiert er das Geschehen. Er singt die ausdrucksstarken, schwierig zu intonierenden Chorpartien mit Bravour.
Charakterstarke Personenführung
Die Bühne ist in gleissend hellem Weiss gehalten. Es ist ein Einheitsraum, der auf der einen Seite das Schlafzimmer zeigt, auf der andern das eher steril wirkende Esszimmer. Weitere Farben bringen einige schwarze Kostüme, und das Rot des Blutes und der Tomatensauce. In diesem kahlen Raum wirkt die charakterstarke Personenführung von Serebrennikov, der von der Schauspielregie kommt, umso eindringlicher. Exzessiv brutal, wie es der Text fordert, wurde sie aber nie.
Weitere Aufführungen: 8, 10, 14, 16, 22, 22 Nov; 1.Dez 2024