Ihre heftige und rätselhafte Malerei, auch ihre gesellschaftskritische Grafik springt die Besucher der Ausstellung «Paula Rego. Machtspiele» im Kunstmuseum Basel an.
Paula Rego (1935-2022) ist drei Jahre nach der Machtübernahme von Diktator António de Oliveira Salazar in Portugal geboren. Sie zählt zu den bedeutendsten Vertreterinnen in der figurativen Malerei der Gegenwart, wurde aber hierzulande kaum wahrgenommen. Das soll sich nun ändern: Die thematisch aufgebaute Ausstellung in Basel bietet Schlüsselwerke aus dem jahrzehntelangen Schaffen der portugiesisch-britischen Künstlerin.
Im Vordergrund liegen Bücher, die Paula Rego umgesetzt hat. Foto: Jonas Schaffter
In Portugal und England hat Paula Rego ihr Leben verbracht. Ihr Werk ist der Spiegel ihrer Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen im Staat, in der Gesellschaft, in der Familie. In England zählt sie mit Lucian Freud oder Frank Auerbach zu den Grossen der figürlichen Kunst, in Portugal wird sie verehrt, die Regierung ordnete nach ihrem Tod Staatstrauer an.
Little Miss Muffet I (part of «Nursery Rhymes»), 1989 © Paula Rego. All rights reserved 2024 / Bridgeman Images
Wer hierzulande nach Paula Rego fragt, stösst selbst bei Kuratorinnen oder Kunsthistorikern auf Unkenntnis. Nur einem Schweizer Künstler bin ich begegnet, der sie hoch schätzt und persönlich kannte, weil er eine zeitlang neben ihrem Atelier in London seins hatte.
Angel, 1998 © Paula Rego. All rights reserved 2024 / Bridgeman Images
Schon als Kind hat sie regelmässig gezeichnet, gefördert von ihren gut situierten und antifaschistischen Eltern, die zeitweise vor der Diktatur nach England auswichen. Noch nicht zwanzig begann Paula Rego ihr Studium an der Slade School of Fine Art in London, wo sie ihrem späteren Ehemann Victor Willing (1928-1988) begegnete. Das Paar hatte drei Kinder, aber Willing bekam 1966 die Diagnose Multiple Sklerose und wurde mehr und mehr zum Pflegefall.
Battle of Alcácer Quibir, 1966. © Paula Rego. All rights reserved 2024 / Bridgeman Images
Paula Regos Kunst ist eine engagierte oder enttäuschte oder wütende Antwort auf die vorherrschenden sozialen, politischen und technologischen Veränderungen ihrer Zeit, ausgeführt auf Gemälden, Zeichnungen, Radierungen und in Textilarbeiten, die ihre Meisterschaft unterstreichen. Es sind gesellschaftskritische, feministische, regimekritische und agitatorische Werke, die von einer ersten, lesbaren Ebene die Betrachter im Rätselhaften, Grausamen oder auch Unheimlichen allein lassen.
The Bride, 1985. © Paula Rego. All rights reserved 2024 / Bridgeman Images
In Regos Arbeiten steckt auch Humor und Satire, vielleicht die Kehrseite von Zorn und Depression. Sie hat sich psychoanalytische Hilfe geholt und sich intensiv mit der Jungschen Psychoanalyse auseinandergesetzt. Schon sehr früh entdeckt sie die Welt der Disney-Trickfilme, etwas später die Oper, war an Märchenerzählungen wie Schneewittchen und literarischen Geschichten interessiert, die sie künstlerisch verarbeitete. Kafkas Ungeziefer, als das Gregor Samsa eines morgens erwacht, setzt Rego nicht surrealistisch als Käfer um, ihr Werk zeigt einen hilflosen jungen Mann auf dem Rücken liegend, der zu wissen scheint, dass er ein Ausgestossener ist.
Metamorphosing after Kafka, 2002. © Paula Rego. All rights reserved 2024 / Bridgeman Images
Rego wurde es immer wichtiger, sich so direkt und intensiv auf der Leinwand oder dem Papier zu manifestieren, dass sie Pinsel und Farbtube gegen den Stift tauschte: «Beim Zeichnen kannst du den Stift oder die Pastellkreide drücken, alles ist viel heftiger. Malen ist viel emotionaler. Deshalb habe ich mich für Pastell entschieden und nicht mehr aufgegeben.»
The Artist in Her Studio. 1993 © Paula Rego. All rights reserved 2024 / Bridgeman Images
Die Ausstellung ist thematisch aufgebaut. Mit Selbstbildnissen beginnt es, ein paar Zeichnungen – flüchtig und genial hingeworfen. Ein grosses Gemälde dominiert den Saal, The Artist in Her Studio zeigt eine in manspread Haltung sitzende Malerin, pfeiferauchend im roten weiten Rock und violetten Kittel. Rechts unten steht eine kleine Malerin an der Staffelei, diskret erdfarben. Links eine weitere Figur im blauen Malerkittel und undefinierbaren Alters vielleicht ein Kind, rechts hinten eine junge Frau mit Haarknoten bei der Hausarbeit. Viel Atelierkram gibt es, Bildtafeln, Statuen und Gipse, eine Eselsmaske, eine kleine Blumenvase und diverse Blütenstengel, dahinter ein blondes kleines Mädchen und ganz vorn neben Kohlköpfen auf einem weissen Tisch zupft eine winziges Tier, vielleicht ein Hund, ein Saiteninstrument.
Dieses Bild ist voller Rätsel. Bekannt ist, dass Paula Rego ihre Freundin Lila Nunes, die einst als Au Pair in die Familie kam, als Modell wählte und dass ihr Atelier mit Gegenständen, Werken und Bildern vollgestopft war, unter anderem mit Kostümen, die sie bei der Arbeit für die Modelle verwandte.
The Family.1988. © Paula Rego. All rights reserved 2024 / Bridgeman Images
Vielleicht noch verstörender ist das Tableau The Family von 1988, eine simple Szene bei der vieles im Dunkeln bleibt. Zwei Frauen versuchen in einem Schlafzimmer einem hilflosen Mann den Anzug auszuziehen, ein Mädchen steht am Fenster mit zum Gebet gefalteten Händen, im Hintergrund gibt es ein Puppenspiel mit dem Heiligen Georg in der Drachentöter-Szene, ganz vorn liegt eine rote Tulpe neben einem Wasserkrug. Irritierend die Blicke der Figuren. Die übliche Machtkonstellation in der Familie ist ins Gegenteil gedreht, die zwei Frauen machen sich an dem wehrlosen Mann zu schaffen.
The Interrogator’s Garden, 2010 © Paula Rego. All rights reserved 2024 / Bridgeman Images
„Ich bin daran interessiert, die Dinge aus der Perspektive des Underdogs zu sehen. Normalerweise ist das eine weibliche Perspektive“, sagt Paula Rego. Es ist ihre Antwort auf die vorherrschenden Macht- und Kontrollsysteme ihrer Zeit, die Diktatur, die Unterdrückung der Frauen, die Gewalt. Schon mit 15 malt sie Interrogation, eine Folterszene, die unter die Haut geht: Links und rechts Männerstiefel, eine Bohrmaschine, dazwischen ein hilfloses weibliches Opfer. Viel später, 2000, folgt das verstörende Bild The Interrogator’s Garden.
War, 2003 © Paula Rego. All rights reserved 2024 / Bridgeman Images
Als Salazar stürzt und mit ihm das Kolonialreich Portugal zerbricht, wird Paula Rego zur politischen Kämpferin gegen das Abtreibungsverbot, denn noch ist die Kirche stärker als die junge Demokratie. Und sie hat Erfahrung. Mit Pastellen von Frauen vor oder nach einer illegalen Abtreibung in der Einsamkeit eines schäbigen Raums reagiert sie auf das knapp gescheiterte Referendum 1998 und produziert dazu auch eine Serie von Radierungen, die mehr Reichweite haben, als ein Einzelwerk. Schwangerschaftsabbruch bis zur 10. Woche wird in Portugal 2007 legalisiert.
Aus der Serie Abtreibung 1999 © Paula Rego. All rights reserved 2024 / Bridgeman Images
Diese Radierungen erinnern an Goya. Fast noch grauslicher sind die Arbeiten zur weiblichen Genitalverstümmelung. Sie macht Unrecht und Macht gegen wehrlose Opfer einer Gesellschaft sichtbar, in der auch die Täterinnen Opfer sind.
Beschneidung, 2009 © Paula Rego. All rights reserved 2024 / Bridgeman Images
Leidende auf beiden Seiten sind auch im Werk Oratorio, einem Altar mit Seitenflügeln, acht Bildflächen und acht Figuren, zu Themen wie sexuelle Übergriffe, Geburtsschmerz, Säuglingspflege oder eher -missbrauch und einer unheimlichen Pietà – insgesamt ein irritierendes, bösartiges, schmerzendes und letztlich rätselhaftes Werk.
Auf sieben grossformatigen Pastellen im letzten Raum der Ausstellung sucht eine Frau auf einer gelben Liege ruhelos und verkrampft aus der inneren Gefangenschaft herauszufinden. Die Couch hat Rego ihrem Psychoanalytiker abgekauft. Im selben Raum hängt ihr wohl bekanntestes Bild The Angel, eine kämpferisch und überlegen auftretende Frauenfigur mit dem Schwert in der rechten, dem Schwamm in der linken Hand auf dem Weg gegen Männerdominanz.
Titelbild:Paula Rego vor der Arbeit «Oratorio» in ihrem Atelier, London 2009. Photo Credit: Shutterstock
Alle auf diesen Fotos gezeigten Arbeiten sind urheberrechtlich geschützt: © Paula Rego. All rights reserved 2024 / Bridgeman Images
Bis 2. Februar 2025.
Informationen für den Besuch von Paula Rego.Machtspiele finden Sie hier.
Zur Ausstellung ist ein Katalog mit zahlreichen erhellenden Beiträgen, herausgegeben von Eva Reifert, Kuratorin der Ausstellung, erschienen. ISBN 978-3-7774-4309-6
In Cascais, Portugal, nicht weit von Lissabon steht das Paula-Rego-Museum, Casa das Histórias Paula Rego, der Besuch lohnt sich.
Grossen Dank an Eva Caflisch für diesen ausführlichen und informativen Bericht. Die ausgewählten Bilder vermitteln einen starken Eindruck. Ich habe diese Künstlerin auch nicht gekannt.