Der Beruf der Sekretärin eröffnete Frauen in den 1950er Jahren ein eigenständiges Leben. Im Buch «Die Sekretärin» erzählt die Kulturwissenschaftlerin Annegret Braun anhand von Tagebuchaufzeichnungen, wie der Alltag der Sekretärinnen aussah und wovon sie träumten.
Während der Kriegszeit übernahmen die Frauen vielfach die Arbeit der abwesenden Männer. Danach kehrten die Männer wieder in ihre alten Stellungen zurück, und die Frauen zu Heim und Herd. Noch bis 1977 mussten sie das Einverständnis des Ehemanns einholen, wenn sie berufstätig sein wollten; obwohl Frauen in Deutschland seit 1949 gesetzlich gleichberechtigt waren. In der Schweiz dauerte es – auch nach dem Frauenstimmrecht von 1971 – noch länger. Erst ab 1988 durften sie ohne Einwilligung des Ehemanns gegen ein Salär arbeiten oder ein eigenes Bankkonto eröffnen.
Tagebücher als lebendige Quelle des Alltags
Annegret Brauns Recherchen für das Buch Die Sekretärin basieren auf Tagebüchern, die sie im Deutschen Tagebucharchiv entdeckte. Dabei stellte sie fest: «Tagebücher beschreiben die Zeit ungefiltert, offen, ehrlich und oft auch detailliert», wie beispielsweise die Aufzeichnungen der Sekretärin Doris Kraus, die als Zugsekretärin arbeitete, heute ein vergessener Beruf. In deutschen Fernzügen gab es von den 1950er bis in die 1980er Jahre einen besonderen Service, ein fahrendes Büro, wo Geschäftsleute Briefe diktieren und von der Zugsekretärin auf der Schreibmaschine tippen lassen konnten.
Doris Kraus schrieb fast ihr Leben lang Tagebuch und erzählt darin von ihrer Arbeit, ihrer Freizeit, ihren Lebensvorstellungen, auch von ihren Enttäuschungen. Ihre Tagebucheinträge nutzt die Autorin als roten Faden durch das ganze Buch, zusammen mit Erinnerungen und Zeitzeugnissen aus Tagebüchern von anderen Sekretärinnen, auch solchen aus der DDR, sogar aus dem Nationalsozialismus.
Ein Schritt in die Männerwelt
Der Beruf der Sekretärin war zu Beginn der 1950er Jahre ein Schritt in die Männerwelt. Frauen hatten die Möglichkeit, beruflich voranzukommen, auch wenn es selbstverständlich war, dass Sekretärinnen für den Chef Kaffee kochten. Dieses Machtgefälle zeigte sich nicht nur gegenüber den Vorgesetzten, auch gegenüber den Kollegen. Als Doris anfänglich in einer Firma von den Herren geduzt wurde, was damals nicht üblich war, verbat sie sich dies, und «alle sagten auf einmal wieder Frl. Kraus». Nicht nur für den Respekt, auch für einen angemessenen Lohn mussten sich die Frauen damals wie heute einsetzen.
Während im Büro die Männer Sachbearbeiter oder Buchhalter wurden, waren Sekretärinnen hauptsächlich für die Geschäftskorrespondenz zuständig. Sie stenografierten Diktate, schrieben auf der Schreibmaschine Geschäftsbriefe und beantworteten das Telefon. Die Ratgeberbücher wie Hohe Schule der Sekretärin unterstützten Sekretärinnen, sich beruflich weiterzubilden und beruflich aufzusteigen. Empfahlen aber auch das richtige Styling, Frisur und Make-up, was Doris zuwider war, wie sie dem Tagebuch anvertraute.
Zugsekretärin im fahrenden Büro
Als Zugsekretärin hatte Doris Kraus ab 1956 ein eigenes Office, ohne Chef vor der Nase. Dank der Dienstkleidung entfiel der Druck des eleganten Stylings. In ihrem fahrenden Büro empfing sie die Schreibkunden. Sie beherrschte Französisch und Englisch, tippte Geschäftsbriefe, Reden von Politikern und Artikel von Journalisten. Es war ein geschätzter Service, der der Zeit entsprechend vorwiegend von Männern in Anspruch genommen wurde. Allfällige Zudringlichkeiten von Kunden musste sie wie jede Frau auf ihre Weise abwehren. In der Öffentlichkeit war dies nicht der Rede wert.
Über das Thema Liebe im Büro wurde viel diskutiert. Auch Doris berichtet darüber. Dabei kommen Moralvorstellungen und Zwänge zum Ausdruck, auch die Sehnsucht nach einem Leben zu zweit. Dies allerdings hätte das Ende ihrer Arbeit bedeutet, denn eine Ehefrau gab den Beruf auf und blieb Hausfrau und Mutter. Der Mann sorgte für den finanziellen Lebensunterhalt der Familie.
Sekretärinnen in einer düsteren Zeit
Der Exkurs im Kapitel Sekretärinnen von Machthabern gibt einen eindrücklichen Einblick in die düstere Vergangenheit der NS-Zeit anhand von Tagebüchern, etwa von Joseph Goebbels’ Sekretärin Brunhilde Pomsel oder von Adolf Hitlers Sekretärin Trudl Junge. Die Frauen verdrängten, was sie sahen. Viel später, oft erst im Alter, kam ihnen das Erlebte ins Bewusstsein. So setzte sich eine Lore Walb mit ihren Jugendtagebüchern von 1933-1945 erst in späten Jahren auseinander und musste entsetzt lesen, mit welcher Begeisterung sie Hitler zugejubelt hatte.
Protest und Alltag in den 60er Jahren
Das Schlusskapitel thematisiert die 1960er Jahre: Eine Zeit des Umbruchs, als die untergeordnete Rolle der Frau, autoritäre Machtstrukturen und die Prüderie der 50er Jahre hinterfragt wurden. Die Forderung nach sexueller Befreiung diente in erster Linie den Männern als Freipass. Die Tagebucheinträge der jungen Sekretärinnen sprechen von Ängsten einer ungewollten Schwangerschaft, die das Leben und den Berufsalltag grundsätzlich in Frage stellten.
Das Schlusswort kommt Doris zu: Sie heiratete nicht und blieb ihrer Arbeit als Sekretärin treu. Als ihr Traumberuf 1981 aufgrund von Sparmassnahmen endete, arbeitete sie im Innendienst der Deutschen Bahn. Das Reisen rund um die Welt gab sie nicht auf.
Foto: «Porträt einer Frau an einer Schreibmaschine», 1951. Deutsche Fotothek. Wikimedia Commons
Annegret Braun, «Die Sekretärin. Frauenkarriere und Lebensträume in den 1950er Jahren», Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurt am Main 2024.
ISBN 978-3-96251-173-9
Vielen Dank für die Anregung. Werde das Buch anschaffen oder in einer Bibliothek ausleihen, wenn möglich.
Meine Mutter hat nach ihrer Scheidung als Sekretärin gearbeitet. Mit 4 Jahren war ich manchmal bei ihr im Büro (vermutlich wenn Grossmutter mich nicht hüten konnte. Ich erinnere mich an die leeren Döschen der Farbbänder, mit denen ich gespielt hatte. Das war ca. 1956, 1957
Ein wichtiges Stück Frauengeschichte; danke für den Buchtipp.
Auch meine Mutter, sie war alleinerziehend, war Sekretärin und sie arbeitete bis 17 Uhr. Da der Arbeitsort nicht weit weg war von meiner Schule, ging ich oft nach Schulschluss zu ihr ins Büro. Ihr Chef sah es nicht gern, wenn ich mich im Büro meiner Mutter aufhielt und deshalb musste ich «unsichtbar» sein. Ich verbrachte die Zeit bis zum «Fyrabe» unter ihrem Schreibtisch, wie ein artiger Hund. Diese Demütigung, unter vielen anderen in meiner Kindheit, machte mich als Erwachsene zu einer Rebellin, was ich zu meiner Überraschung, heute mehr denn je bin und bis zu meinem Tod bleiben werde. Es hat sich zwar vieles für die Frauen in unserem Land verbessert, die Herabwürdigung von Mädchen und Frauen jedoch ist noch immer Alltag. Die Kriminalstatistik zeigt, dass in unserem Land häusliche Gewalt wieder zugenommen hat und fast alle zwei Wochen eine Frau von einem Mann getötet wird, nur weil sie eine Frau ist.