«Of Light, Wind and Waters» heisst der zweite Ballettabend dieser Saison am Opernhaus Zürich. Der dänische Choreograf Kim Brandstrup widmet seine Produktion seinem grossen Landsmann Hans Christian Andersen und beweist, dass Märchen und Tanz gemeinsam zu reiner Lyrik werden können. Das Premierenpublikum am Samstagabend liess sich gerne verzaubern.
Der Abend beginnt denn auch mit dem Dichter, dessen Todestag sich 2025 zum 150. Mal jährt und der mit Märchen wie «Die Schneekönigin», Das hässliche Entlein», «Die kleine Meerjungfrau» oder «Der standhafte Zinnsoldat» Weltruhm erlangte. Da liegt er nun, zusammengerollt in Embryohaltung auf einem Bett und wird von der Mutter (Shelby Williams) geweckt. Nicht sanft: sie kippt das Bett, stösst ihn hinunter, zieht ihm das Möbel weg, stösst ihn weg – und zeichnet so die unglückliche Jugend des Märchendichters nach, die ihn prägte. Lebenslang. Er war nie ein Liebling der Massen, kämpfte immer um Anerkennung und Zuneigung und verarbeitete all seine Gefühle, seine Sehnsucht nach Liebe, nach Akzeptanz, so ist anzunehmen, in seinen fantastischen Erzählungen. Lucas Valente tanzt den Dichter verhalten und fast unauffällig, ein stiller Zuschauer am Rande.
Die kleine Meerjungfrau und der Prinz: Sie werden nicht glücklich zusammen. (Opernhaus Zürich/Gregory Batardon)
Da ist die Geschichte der kleinen Meerjungfrau, der jüngsten Tochter des Meerkönigs, die sich in den Prinzen verliebt, den sie bei einem Schiffsunglück aus den Fluten rettet. Um ihn für sich zu gewinnen, opfert sie der Meerhexe ihre Stimme und erhält dafür Menschengestalt. Licht. Wind und Wasser bringen bei dieser Szene etwas romantisches Flair auf die steingraue, düstere Bühne. Max Richter als zarte Meerjungfrau und Wei Chen als Prinz zeichnen diese zauberhafte Liebesgeschichte nach, die, wie so oft, nein, wie meist, bei Andersen, unglücklich ausgeht.
Ineinander verwobene Geschichten
Das Märchen wird indes nicht linear erzählt, sondern verwoben in weitere Episoden. Denn da sind noch der kleine Kay und seine Spielgefährtin Gerda. Kay, gar nicht so klein, getanzt von Mlindi Kulashe, wird von einer Spiegelscherbe aus dem Besitz der Schneekönigin getroffen, was zur Folge hat, dass er alles, was schön und gut ist, nun schlecht und böse sieht. Und der Schneekönigin (Elena Vostrotina) in ihr Reich folgt. Gerda, anmutig und doch kraftvoll getanzt von Ruka Nakagawa, macht sich auf den Weg ins kalte Reich und kann Kay erlösen. Ein Happy End!
Gerda rettet Kay aus den Fängen der Schneekönigin.
Sehr dominant choreografiert Kim Brandstrup das dritte, beinahe unbekannte Märchen, «Der Schatten». Es ist die fantastische Geschichte eines Mannes, der seinen Schatten als Kundschafter ausschickt und zum Schluss seine Identität – und sein Leben – verliert. Den Part der Poesie tanzt Nancy Osbaldeston, die dritte im Bunde dieser Tanzsequenz, die erst vom etwas sehr ausgewalzten Spiel der Schatten und dann von den Spiegelszene lebt. Und wohl typisch ist für den Dichter, der zeitlebens um Anerkennung ringt und wohl doch immer nur im Schatten der Mächtigen und Erfolgreichen agieren musste.
Der Dichter für einmal nicht einsam am Rande stehend, sondern in einem Pas de deux mit der Poesie.
Interessant ist die Tanzsprache von Kim Brandstrup. Sie lehnt sich stark an das klassische Ballett an, ohne aber wesentliche Elemente wie Spitzentanz, Positionen der Füsse oder Sprünge wie «Grand Jettés» oder «Changements» zu verwenden. Das Bühnenbild Richard Hudson, mit seinen ziemlich gleichförmigen Versatzstücken, die aber faszinierend variabel eingesetzt werden können, korrespondiert mit den grauen Kostümen des Corps, die nur durch die Kleider der Solisten aufgelockert werden. Diese aber sind mit ihren fliessenden Schwingungen schlicht märchenhaft.
Licht und Schatten
Interessant ist die Lichtgestaltung von Martin Gebhardt, die besonders in den «Schatten»-Szenen eine wesentliche Rolle übernimmt. Und, was selten ist, über die Bühne hinausreicht, das reich verzierte Deckengewölbe mit einbezieht. Und eindrucksvoll ist auch die Klanggestaltung von «Sounddesigners» Ian Dearden, der aus einer Vielzahl von Kompositionsfragmenten eine massgeschneiderte Klangcollage geschaffen hat.
Übrigens: Die Mutter versöhnt sich, wenigstens auf der Bühne des Zürcher Opernhauses, zum Schluss mit ihrem erfolgreich gewordenen Sohn aus. Hebt ihn sozusagen in den Himmel. Immerhin.