StartseiteMagazinKulturAls das Theater neu erfunden wurde

Als das Theater neu erfunden wurde

Unter dem Einfluss der Jugendstil-Bewegung entwickelt sich die Stadt München zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem Zentrum der Theaterreform. Das Deutsche Theatermuseum widmet der interessanten Epoche eine informative Sonderausstellung.

Wussten Sie, dass es in München ein Theatermuseum gibt? Ich auch nicht. Die Institution wurde am 24. Juni 1910 im Haus der königlich bayerischen Hofschauspielerin Clara Ziegler gegründet. Ab 1932 nutzten die Betreiber die Odysseesäle in der Münchner Residenz als Ausstellungsfläche. Im September 1979 wurde die Clara-Ziegler-Stiftung zum Deutschen Theatermuseum im Rang eines staatlichen Museums erhoben.

Das Museum ist in der 1781 von Karl Albert von Lespilliez erbauten Churfürstlichen Galerie in der Galeriestraße 4a am Hofgarten untergebracht. Leiterin war bis 2020 die promovierte Theater-, Kunst- und Literaturwissenschaftlerin Claudia Blank, die zugleich die Fotosammlung verwaltete. Seit September 2021 leitet die promovierte Theaterhistorikerin und Kulturwissenschaftlerin Dorothea Volz die Institution.

Das Deutsche Theatermuseum ist hinter den Hofgartenarkaden untergebracht.

Mit der Öffnung des Hofgartens unter Kurfürst Karl Theodor interessierte sich auch die Bevölkerung für das Museum. Das frühklassizistische Bauwerk gestaltete Lespilliez als nüchternen Zweckbau. Der Baukörper ist sehr schmal, aber rund 175 Meter langgezogen. Er umfasst beinahe die gesamte Nordseite des Hofgartens und reicht vom Bazar-Gebäude am Odeonsplatz bis fast zu den Hofgartenarkaden der Renaissancezeit an der Staatskanzlei.

Die Fassaden weisen nur noch wenige der ursprünglichen illusionistischen Architekturmalereien auf. Im Inneren lagen sieben Galeriesäle mit Nebenräumen, die Belichtung erfolgte durch die hochliegenden Fenster an beiden Seiten des Baus. An der Hofgartenseite liegt im Erdgeschoss der Arkadengang, der die gesamte Länge des Gebäudes umfasst.

Über 100 Bühnenbild-Modelle

Umfangreich ist die Theatersammlung. 2019 übernahm das Deutsche Theatermuseum das Gesamtwerk des legendären Bühnenbildners Jürgen Rose. Es umfasst mehr als 3600 grafische Blätter mit Zeichnungen und Kostümskizzen sowie 111 Bühnenbild-Modelle. Zentrales Thema ist die Entwicklung des deutschsprachigen Theaters: Bühne, Technik, Ausstattung, Regie, Publikum.

Ausserdem beherbergt das Museum die weltgrösste Sammlung von Theaterfotografien sowie ein umfangreiches Archiv und eine Bibliothek mit ca. 100’000 Schriften. Die wertvollsten Bestände der Bibliothek reichen zurück bis in die Renaissance. Die Erweiterung der Sammlungsbestände ist sowohl darauf ausgerichtet, wertvolle historische Bestände zu vervollständigen als auch zeitgenössisches Theater zu dokumentieren.

Künstlerinnen und Künstler, welche die Münchner Theaterreform prägten.

Eine Dauerausstellung gibt es im Theatermuseum nicht. In thematischen Sonderausstellungen werden in regelmässigen Abständen Bühnenbilder, Theaterbaupläne, Requisiten, Kostüme und Masken, aber auch audiovisuelle Dokumente ausgestellt. Die aktuelle Sonderausstellung unter dem Titel «Kunst und Bühne – Spielorte des Münchner Jugendstils» widmet sich dem Einfluss der Jugendstil-Bewegung auf die Gestaltung neuer Theatergebäude und -bühnen.

Umbruch in der Theaterästhetik

Die Jahrhundertwende markiert einen Umbruch in der Theaterästhetik: Quer durch die künstlerischen Disziplinen wurden die Forderungen nach einer Reform der Bühnenkunst lauter. Wichtige Exponenten wollten die Theaterkunst popularieren, neue Zielpublika begeistern. Der rasante Wandel um 1900 veränderte Sehgewohnheiten und Raumerfahrung. Der Anspruch einer exakten Nachbildung der Wirklichkeit auf der Bühne entsprach nicht mehr dem Zeitgeist.

Theaterarchitekt Bernhard Max Littmann

Künstler wie Richard Riemerschmid, Fritz Erler und Thomas Theodor Heine befeuerten den Diskurs der Bühnen-Erneuerer mit Vorschlägen. «Die künstlerischen Fragen der Schaubühne sind alte Probleme, die aber so lange nicht aus der Diskussion verschwinden dürfen, bis sie ihre Lösung gefunden haben», schrieb der legendäre Theaterarchitekt Bernhard Max Littmann 1907 unter dem Titel «Künstlerische Fragen der Schaubühne».

Stilbildend für den Aufbruch in die Moderne erwies sich das 1908 eröffnete Münchner Künstlertheater auf der Theresienhöhe, eine einzigartige Reliefbühne, die aus der Zusammenarbeit einer jungen Künstlergeneration mit Littmann entstand. Den intim wirkenden Raum verkleideten der Theaterarchitekt mit edlen Hölzern und erzielte damit eine exzellente Akustik. Die Beleuchtungsapparate verschwanden hinter einer Verkleidung, der Orchestergraben wurde zur Vorbühne. Innovative Lichteffekte, eine dezente Farbsymbolik, abgestimmte Kostüme – das Theater erhielt ein neues Gesicht.

Das Künstlertheater auf der Theresienhöhe.

Am 17. Mai 1908 wurde es mit «Faust I» eröffnet. Auf dem Spielplan standen zudem Werke von William Shakespeare, August von Kotzebue, Josef Ruederer, Andreas Gryphius, Miguel de Cervantes und das Stück «Tanzlegendchen» von Georg Fuchs.

Kammerspiele und Kabarett

Parallel zur Errichtung des Künstlertheaters arbeitete Littmann an einem privat finanzierten Theaterbau für das moderne Schauspiel im Stadtzentrum, dem neuen Münchner Schauspielhaus. Zusammen mit dem Architekten Richard Riemerschmid ging er neue Wege in der Raumkunst. Mit der Innenausstattung wie der Farbgestaltung und Ornamentik schufen Littmann und Riemerschmid ein einzigartiges Juwel des Jugendstils. Das Theater, das später in «Münchner Kammerspiele» umbenannt wurde, gehört zu den wichtigsten Zeugnissen dieser wichtigen Epoche.

Am 20.April 1901 eröffnete das neue Münchner Schauspielhaus mit der Tragödie «Johannes» von Hermann Sudermann seine Türen.

Am Isarufer entstand ab 1893 ein weiteres Festspielhaus, das bereits 1865 von Richard Wagner angeregt worden war. Erneut wurde Bernhard Max Littmann als Berater beigezogen. Der Prunkbau war nur für den Sommerbetrieb ausgelegt und zielte auf ein eher zahlungskräftiges Publikum. Seiner Grösse wegen wurde das Festspielhaus bereits anlässlich seiner Eröffnung 1901 von jungen Künstlerinnen und Künstlern als «grossbürgerlicher Spielbetrieb» verspottet.

Als Reaktion auf die Kritik entstand eine Gegenbewegung: Mitten im Schwabinger Künstlerviertel schloss sich ein Kreis aus Volksschriftstellern, Musikern, Malern und Bildhauern zu einem Bühnenensemble zusammen. Sie gründeten das erste Münchner Kabarett. Im April 1901 öffnete der Spielort an der Türkenstrasse. Der umgebaute Fechtboden entwickelte sich rasch zu einem wichtigen Treffpunkt. Das «Künstlerbrettl» mit elf Scharfrichtern (Kabarettistinnen und Kabarettisten) gehörte bis zu seiner Schliessung 1904 zu den wichtigsten Attraktionen Münchens.

Licht und Schatten

Legendär waren die Schwabinger Schattenspiele, zu denen der Dichter Alexander von Bernus ab 1907 in seine Wohnung einlud. 1908 erhielten die Veranstalter auf der Theresienhöhe einen neuen Spielort mit 120 Plätzen. Die Schnittkunst zwischen Licht und Schatten, aufgeführt in schlichtem Rahmen, zielte auf die Innenwelt und das persönliche Erleben des Geschehens durch die Zuschauenden.

Der Blick des Publikums konzentrierte sich bei den Schattenspielen auf eine nur 80 cm hohe und 120 cm breite, hinterleuchtete Leinwand. Die Spielenden sassen unter dem «Guckfenster» und bewegten die Figuren – ähnlich wie Marjonetten – mit den Händen und sprachen dazu.

Wagner-Spielstätte

Gigantisch war das 1901 eröffnete Prinzregententheater, in dem Wagner-Opern zur Aufführung gelangten. Es ist eine Nachbildung des Festspielhauses in Bayreuth. Der amphitheatralische Zuschauerraum umfasst 1029 Plätze im Parkett und sechs Logen mit jeweils neun Sitzplätzen. Der höhenverstellbare Orchestergraben bietet Platz für bis zu 95 Musikern.

Die Einzelplätze und Logen sind in Kreissegmenten angeordnet. Von sämtlichen Plätzen aus öffnete sich ein optimaler Blick auf die Bühne. Die Akustik war vorzüglich. Die Form des Zuschauerraums markierte eine Abkehr von der Tradition der hufeisenförmigen Hoftheater mit Rängen und Logen sowie die Hinwendung zu einer bürgerlichen Form des Theaterbaus.

Modell des Bühnenbilds von Richard Wagners «Meistersinger von Nürnberg» (Premiere am 21.8.1901).

Die Münchner Sonderausstellung macht deutlich: Die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert markiert in der deutschsprachigen Theaterwelt eine Zeit tiefgreifender Veränderungen. Quer durch diverse künstlerische Disziplinen wurden die Rufe nach einer Reform der Bühnenkunst immer lauter. Die neuen Häuser und Theaterproduktionen reflektierten den rasanten gesellschaftlichen sowie technologischen Wandel jener Zeit.

Titelbild: Der Eingang zur Ausstellung «Kunst und Bühne – Spielorte des Münchner Jugendstils». Fotos: PS und ZVG

Ausstellung dauert noch bis zum 23.3.2025

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Deutsches Theatermuseum

Angaben zur aktuellen Ausstellung

Kuratierung: Birgit Kadatz-Kuhn
Ausstellungsgestaltung: Christoph Sauter
mit Unterstützung der THEATERMUSEASTEN – Freunde des Deutschen Theatermuseums München e.V.

Literatur

Deutsches Theatermuseum. Entdecken, was dahinter steckt! München, edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag, München 2010, ISBN 978-3-86916-073-3.

 

 

 

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