Der Jura in Vergangenheit und Gegenwart ist Gegenstand der aktuellen grossen Ausstellung in Solothurn. Malerei und Fotografie neben Filmdokumenten und Videos nehmen die Besucherinnen und Besucher mit auf eine Reise aus unterschiedlichen Perspektiven.
Unter dem Titel Jurabilder / Imaginaires du Jura wandern wir nicht nur durch die Kunstgeschichte, sondern auch durch die Geschichte der Fotografie und vertiefen uns in Videos und Dokumentarfilme, in Landschaften, Berge, Wälder, Weiden, Wasserfälle und Höhlen, nicht zu vergessen die Tätigkeiten der Menschen – sei es zu ihrem Lebensunterhalt, seien es Zeugen ihrer Freuden und Leiden. «Jedes einzelne Werk hat einen direkten Bezug zum Jura», erklärt Kuratorin Marianne Burki.
Weite Landschaft und geheimnisvolle Höhlen
Ein Blick über einen langgezogenen Berg Au sommet (Mont-Racine) zieht im ersten Saal unsere Aufmerksamkeit auf sich, 1904 gemalt von Charles l’Eplattenier, der 1874 in Neuchâtel geboren wurde und später in La-Chaux-de-Fonds wirkte. Neben seiner künstlerischen Gestaltung von Jugendstilelementen, die man bei einem Spaziergang durch die Uhrenstadt allenthalben entdeckt, unterrichtete er auch den später weltweit wirkenden Le Corbusier. Die Landschaften seiner Umgebung waren l’Eplattenier stets wichtig. Auf der Suche nach einem Bildmotiv am Doubs verlor er 1946 durch einen Fehltritt sein Leben.
Charles l’Eplattenier, Au sommet (Mont Racine) 1904, Öl auf Leinwand, Musée des Beaux-Arts de La Chaux-de-Fonds (Foto mp)
In unmittelbarer Nähe «antworten» Fotoaufnahmen in ähnlichem Format von Balthasar Burkhard aus dem Vallée de Joux, sie strahlen wunderbar melancholische Stimmungen aus.
In diesem Haus darf ein Bild der Bärenhöhle bei Welschenrohr nicht fehlen, ein «Solothurner Motiv». Caspar Wolf (1735-1783) lebte zwei Jahre in Solothurn. Sein Gemälde Das Innere der Bärenhöhle bei Welschenrohr entstand in diesen Jahren. Sich quasi ins Innere der Landschaft, hier in die Höhle, hineinzubegeben, galt damals als mutig und ungewöhnlich. Dieses Gemälde, im Format eher klein, fasziniert durch die Verbindung von genauer Darstellung und emotionalem Naturerlebnis. Es steht damit an der Schwelle zur Romantik und zur kommenden wissenschaftlichen Betrachtung der Welt.
Caspar Wolf, Das Innere der Bärenhöhle bei Welschenrohr. 1778, Öl auf Leinwand, 42,5 x 34,5 cm. Kunstmuseum Solothurn. Foto: David Aebi
Jurassisches Gestein
Im 19. Jahrhundert entwickelten sich die Naturwissenschaften explosionsartig, auch die Geologie. Die findet im Jura reiches Anschauungsmaterial. Methoden, Gestein und Felsformationen abzubilden, gibt es in der traditionellen Malerei und – revolutionär: als Fotografie, die in diesem Jahrhundert laufend verbessert wurde. Beide kamen den neuen Ansprüchen der Forschenden entgegen.
Gustave Courbet, 1819 in Ornans (franz. Jura) geboren, pendelte zwischen dem Jura und Paris, bis er schliesslich aus politischen Gründen in die Schweiz floh. Er starb 1877 in La Tour-de-Peilz. Mit den Gebirgsformen des Jura war er vertraut, was sich in vielen seiner Gemälde zeigt. Er schuf das Werk La Roche Pourrie, étude géologique (1864) im Auftrag des Geologen Jules Marcou, der erkannt hatte, dass Courbet mit seiner Kunst die Schichtung des Gesteins hervorragend darstellen konnte. – Auch in Paysage du Jura ist diese Genauigkeit zu erkennen.
Gustave Courbet, Paysage du Jura. 1872, Öl auf Leinwand. Canton du Jura, Collections du Jura des beaux-arts
Ein magischer Ort im Jura
Pierre Pertuis, ein Pass zwischen dem Tal der Schüss im Süden und dem der Birs im Norden, gilt als geschichtsträchtiger Ort seit Römerzeiten. Es ist eine Felsformation mit einem natürlichen und künstlich erweiterten Felstunnel, die einen Einschnitt markiert im Berner Jura. Die heutige Autobahn führt dort in den jüngsten Kanton der Schweiz. Ein Ort voller Erinnerungen, Gefahren und Kämpfe.
Anne und Jean Rochat: Pierre Pertuis. Jura Elizabeth Campbell (1783-1861). 2024-25. Videostill der Performance-Reihe Doris et Alain Magico: Le bon boulot au Jura. © Anne et Jean Rochat
Anne und Jean Rochat (als Zwillinge 1982 im Vallée de Joux geboren) haben dort zwischen 2009 und 2020 Performances ohne Publikum durchgeführt und diese gefilmt. Die Video-Sequenzen strahlen einen ganz speziellen Reiz aus. Ihre gefilmten Aktionen, die Landschaft zu pflegen und zu «verschönern», berühren unmittelbar.
Eugène Cattin, Frau mit Kind im Kinderwagen (1900 bis 1930). Digitalisat nach Glasplatte. Archives Cantonales du Jura, Porrentruy.
Im Jura leben Menschen
Sei es ein Familienausflug aufs Land wie bei Frank Buchser (1828-1890) oder eine Darstellung des ländlichen Lebens wie bei Max Burgmeier, der Jura ist eine bewohnte Landschaft. Wir sehen auch, was ein Sturm (nicht der Lothar-Sturm 1999) in den Wäldern anrichten kann, zumal Holzen und Arbeiten in den Jurawäldern durchaus zum Leben im Jura gehören. Die Uhrenindustrie – im 19. Jahrhundert stetig wachsend und wirtschaftlich wichtig – wird in Gemälden dargestellt und wirkt sehr realistisch.
Ausstellungsansicht: Symbol für die Metallindustrie im Jura, im Vordergrund: Jean Tinguely, Eos V. 1966. Stahlplatte und -stangen, Metallräder, Holztafel, Gummiriemen, schwarz bemalt, Elektromotor 220 V (Foto David Aebi)
Kriegszeiten
Blickfang ist Eva Aepplis lebensgrosse textile sitzende Figur, ganz in Schwarz. Die mahnende Trauer angesichts früherer und gegenwärtiger Kriege kann nicht eindrucksvoller gestaltet werden. Wir sehen auch Entwürfe zum Luzerner Bourbaki-Panorama und Fotografien aus den Kriegsjahren. Sie dokumentieren, dass der Jura in den beiden Weltkriegen verschont worden ist, weitgehend, aber nicht vollkommen.
Ausstellungsansicht: In der Mitte: Eva Aeppli (1925 in Zofingen – 2015 in Honfleur / Frankreich), Textile Figur aus der Groupe de 3, 1972. Seide, Kapok, Watte, Samt, Metallstab, Schenkung Josef Imhof und Ursula Winkler. Foto: David Aebi
Eine inspirierende Video-Kombination
Auf zwei fast saalhohen Leinwänden verbindet Marie-José Burki (1961 in Biel) handgeschriebene Texte von Robert Walser mit atmosphärischen Videos aus Biel, seiner Umgebung und der Petersinsel. Walsers legendäre Spaziergänge werden umgesetzt in imaginäre Bilder, manchmal klar, manchmal vollkommen unscharf. Ob wir selbst uns auf eine Wanderung mit unbekanntem Ziel begeben oder ob wir uns in Walsers Welt versetzen wollen – in unserer Vorstellung ist alles gleich.
Ausstellungsansicht Foto: David Aebi
Vergessen Sie nicht das Grafische Kabinett (Treppe im ersten Saal). Dort sind interessante Bilder und Fundstücke ausgestellt, etwa der Beweis, dass der grosse englische Maler William Turner in Solothurn übernachtet hat, und Le Voyage pittoresque de Basle à Bienne. Schliesslich können wir dort auch Daguerreotypien und Kalotypien mit frühen Ansichten aus dem Jura-Raum betrachten. – Exotisch wirken diese Vorfahren der Fotografie heute allemal.
Jura / Imaginaires du Jura haben Marianne Burki, Kunsthistorikerin und Gastkuratorin, und Markus Schürpf, Fotografiehistoriker und Gastkurator, gemeinsam mit weiteren Experten konzipiert. Über 200 Werke von mehr als 80 Kunst-, Foto- und Filmschaffenden wurden zusammengetragen. Alle Beiträge stammen aus verschiedenen Archiven und Sammlungen der Schweiz und dem französischen Jura. Das Projekt entstand in Kollaboration mit den Solothurner Filmtagen (Spezialprogramm).
Die Ausstellung im Kunstmuseum Solothurn dauert bis 4. Mai 2025.
Super Artikel, vielen Dank!!
Interessant, anregend, informativ
Muss ich mir unbedingt ansehen! Danke für den schönen Hinweis.
Die Artikel von Maja Petzold schätze ich immer sehr.
Ganz allgemein finde ich es als Kunstschaffende grossartig, wieviel Raum Kunst und Kultur im Seniorweb erhält.
Vielen Dank für den interessanten Hinweis. Der Jura ist immer eine Reise wert, auch wenn er im Kunsthaus zu Gast ist.