Einsamkeit lässt sich theoretisch leicht bekämpfen: Man kann soziale Netzwerke pflegen und tun, was einem selbst und anderen Freude macht. Warum braucht es trotzdem den Verein «connect! – gemeinsam weniger einsam»?
Gemäss dem medizinischen Fachjournal «The Lancet» vom Juli 2023 sei Einsamkeit für die körperliche Gesundheit so schädlich wie 15 Zigaretten am Tag und schlechte soziale Beziehungen würden einher gehen mit «einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Diabetes, Infektionskrankheiten, beeinträchtigte kognitive Funktionen, Depressionen und Angstzustände».
Eine Gesundheitsbefragung (2022) des Bundesamtes für Statistik förderte zutage, dass sich gut ein Drittel der zuhause lebenden schweizerischen Bevölkerung 65+ «manchmal» einsam fühlt. Eine genauere Betrachtung der Daten hat ergeben, dass 5% bis knapp 9% der über 65-Jährigen sich «ziemlich bis sehr häufig» einsam fühlen. Da stark vereinsamte Menschen seltener an Befragungen teilnehmen, ist anzunehmen, dass die Einsamkeit bei Hochaltrigen 80+ weit höher liegt.
In der Schweiz gibt es im Unterschied zu anderen Staaten kein nationales Programm gegen Einsamkeit. Da will «connect!» aktiv werden. Recherchen in einem Vorprojekt haben ergeben, dass 85 000 bis 150 000 ältere Menschen in der Schweiz stark unter Einsamkeit leiden, was Krankheiten und damit auch gesundheitliche und soziale Kosten erzeugt. Da Einsamkeit sowohl individuelle wie gesellschaftliche Ursachen hat, will «connect!» die Einsamkeit mehrdimensional angehen und sich dabei langfristig ausrichten.
Am 20. Februar 2025 veranstaltete «connect!» eine erste Fachtagung zur Einsamkeit älterer Menschen in Schweizer Städten und Gemeinden. Der Anlass richtete sich an Fachpersonen aus allen Landesteilen aus dem Gesundheits-, Sozial- und Gemeindewesen, aus Politik und Verwaltung, NGOs, religiösen Institutionen, Freiwilligenorganisationen, Betroffenen- und Selbsthilfe-Organisationen, Universitäten und Fachhochschulen.
Ständerat Simon Stocker (SP, SH) referierte an der Tagung zum Thema «Und die Politik? Vorstösse und Handlungsbedarf zur Einsamkeit im Alter.» In Grossbritannien gibt es seit 2018 ein Ministerium gegen Einsamkeit und in Japan seit 2021. (Foto © PD «connect!»)
Ein Blick in den Workshop «Gemeinsam weniger einsam in den Kantonen» (Foto © PD «Connect!»)
Seniorweb stellte der Präsidentin des Vereins connect!, Pasqualina Perrig-Chiello, vier Fragen:
Seniorweb: Pasqualina Perrig-Chiello, welche Visionen hat der Verein «connect!»?
Pasqualina Perrig-Chiello: Der Verein «connect!» strebt eine Schweiz an, in der sich die Menschen
- sozial eingebunden fühlen
- Zugang zu Angeboten haben, welche Einsamkeit vorbeugen und reduzieren sowie die soziale Zusammengehörigkeit fördern
- im Umgang mit Einsamkeitsgefühlen befähigt sind
- die ihrem Bedarf und ihren Bedürfnissen entsprechende Unterstützung erhalten
Prof. em. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello, Präsidentin des Vereins «connect!»
Mit welchen Zielgruppen sollen diese Visionen umgesetzt werden?
Unsere primäre Zielgruppe sind ältere Menschen (65+), insbesondere hochaltrige, ihr soziales Umfeld, ferner Migrationsbevölkerung sowie vulnerable und sozial Benachteiligte.
Daneben sprechen wir intermediäre Zielgruppen an, namentlich Fachpersonen aus den Bereichen Gesundheit (v.a. medizinische Grundversorgung, Psychiatrie/Psychologie und Spitex), Soziale Arbeit, Freiwillige und Entscheidungstragende (in Organisationen, Verwaltung und Politik).
Haben Sie einen Aktionsplan?
Wir streben mit «connect!» eine schweizweit koordinierte Initiative zur Prävention und Reduktion von Einsamkeit an. Basierend auf Vorgesprächen und Expertisen wurde folgender Aktionsplan erarbeitet. Das Programm
- vernetzt Akteure und koordiniert gemeinsame Aktivitäten
- verfolgt nationale und internationale Entwicklungen und erarbeitet Grundlagen
- sensibilisiert und informiert die Bevölkerung, die Zielgruppen und die Akteurinnen und Akteure
- stellt Dienstleistungen, Hilfsmittel und so weit möglich Finanzen bereit
- setzt sich für kommunale interprofessionelle und intersektorale Versorgungsmodelle ein
- engagiert sich für bessere Rahmenbedingungen
- unterstützt dabei, bestehende Lücken im Wissen und im Angebot zu schliessen.
Wer soll das bezahlen?
Das Programm wird hauptsächlich durch Stiftungen finanziert, vor allem durch die Age-Stiftung. Daneben wird in verschiedenen Gremien von «connect!» einiges an ehrenamtlicher Arbeit geleistet. Allen sei hier ein herzliches Dankeschön gesagt.
Herzlichen Dank, Pasqualina Perrig-Chiello, für Ihre Ausführungen!
Seniorweb fragte auch bei der Geschäftsleiterin der Age-Stiftung, Fleur Jaccard, nach. Unter der Leitung der Age-Stiftung wurde ein Stiftungskonsortium gegründet, um das Vorprojekt, die Lancierung des Programms «connect!» und Teilprojekte zu finanzieren.
Fleur Jaccard, Geschäftsleiterin der Age-Stiftung
Seniorweb: Fleur Jaccard, wer ist Mitglied des Stiftungskonsortiums und was sind Ihre Beweggründe, den Verein «connect!» zu unterstützen?
Neben der Age-Stiftung sind die Dr. Kurt Fries Stiftung, die Elly Schnorf-Schmid Stiftung, die Ernst Göhner Stiftung und die Beisheim Stiftung vertreten. Weitere Stiftungen werden hinzukommen.
Wir unterstützen den Verein «connect!», weil wir gemeinsam mehr erreichen. Einsamkeit kann nur überwunden werden, wenn alle Akteure koordiniert zusammenarbeiten. Ein Tabu wird gebrochen, wenn wir offen darüber sprechen, Fachleute sensibilisieren und Betroffene erkennen, stärken und einbinden. Der Verein «connect!» bringt die dafür notwendige Expertise mit und bezieht die Erfahrungen anderer europäischer Länder ein, welche bereits wirksame Programme zur Bekämpfung von Einsamkeit umsetzen.
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Zum Titelbild: Sylviane Darbellay und Eve Pino, Co-Geschäftsleiterinnen des telefonischen Gesprächsangebots «Malreden» mit der Moderation der Tagung, Rahel Walser (v.l.n.r.).(Foto © PD «connect!»)
Mittlerweile können sehr informative Unterlagen und Präsentationen aus den Vorträgen und Workshops von Interessierten heruntergeladen werden:
- Tagungsunterlagen der Tagung vom 20. Februar 2025
- Kurzversion des Aktionsplans 2024 -2027
- Seniorweb hat vor kurzem über den Workshop «Digitale Ansätze zur Bekämpfung der Einsamkeit» berichtet.