StartseiteMagazinLebensartFeuer und Flamme für das Chluri

Feuer und Flamme für das Chluri

Seit bald 100 Jahren wird in Sissach BL zum Schluss der Fasnacht das Chluri verbrannt. Diese Tradition zieht jeweils Tausende an.

Während die Aktiven der «drey scheenschte Dääg» in Basel mutmasslich erst ins Bett gefunden haben oder noch heftig am Schlafen sind, treffen sich am frühen Donnerstagmorgen neun «Chluribouer» und eine «Chluribouerin», um das Sissacher Chluri präsentabel zu machen. Denn immer am Abend nach dem «Ändstraich» wird in Sissach, dem Bezirkshauptort des gleichnamigen Oberbaselbieter Bezirks, das «Chluri» auf die Grosse Allmend geführt.

Ursprung vor über 90 Jahren

Mit diesem Brauch, der «Chluriverbrennung» eben, verstehen es die Fasnächtlerinnen und Fasnächtler von Sissach und Umgebung, die Fasnacht um einen Tag (bzw. Nacht) zu verlängern. Als anno 1932 ein gewisser Hans Hodel diese Chluriverbrennung ein erstes Mal organisierte, weil er noch nicht genug hatte vom fasnächtlichen Treiben, konnte er nicht ahnen, dass sich diese «Schnapsidee» zu einem festen, unverrückbaren Bestandteil der Sissacher Fasnacht entwickeln würde. Damals bestand das Chluri aus einer ausgestopften Puppe, die nach einer Prozession auf dem Gemeindeplatz verbrannt wurde. Unter gedämpftem Trommelklang und begleitet vom Geheul der «Klageweiber» habe sich der Zug zum Gemeindeplatz bewegt. Damals hätte das Chluri einen Vergleich mit dem Zürcher Böögg standhalten können.

Heute ist der Böögg vom Sechseläutenplatz – mit Verlaub – ein laues Lüftchen im Vergleich. Denn ebenso wie die Fasnacht dynamisch ist und sich wandelt, hat sich auch das Chluri mit den Jahrzehnten gewandelt. Heute ist das Sissacher Chluri gut 8 Meter hoch und der untere Durchmesser beträgt gut 3 Meter. Die Chluribouer verbauen bis 4 m3 Holz (Schwartenbretter, Balken, Latten etc.) und bauen 3-4 weitere Ster Holz und einen Ballen Holzwolle ins Chluri ein.

Eingeschworene «Bouer»

Zurück zu den «Chluribouern». Um 8 Uhr morgens treffen sie sich. Wer mehr als eine Viertelstunde zu spät kommt, der muss später eine Runde Kaffi Luz bezahlen. Bruno «Nöggi» Kaderli, seit gut 25 Jahren beim erlauchten Kreis der «Chluribouer», gibt Anweisungen und verteilt die Aufgaben. Die einen sollen den Hals auf den Oberkörper befestigen, die anderen den untersten Teil des Chluri mit Holz füllen.

Diese letzten Arbeiten werden in einer grossen Halle einer Holzbaufirma erledigt. Es wird geschraubt, gehämmert und getackert. Zum Montageteam gehört auch Brunos Tochter Patrizia, die bei der Chluribouer-Truppe seit einem Dutzend Jahren mittut. Sie ist das zweite und derzeit einzige weibliche Mitglied in der kollegialen Gruppe. Und das zweite Team befüllt den «Unterleib» mit 3-4 Ster Holz sowie ein paar dürren Weihnachtsbäumen.

Die erste Gruppe kleidet das Chluri mit einem bunten Tuch ein. Besonders rücksichtsvoll gehen die Chluribouer mit den so genannten Büppi um. Diese, also die Brüste, sind der ganze Stolz der (männlichen) Chluribouer. «Lepi» und «Niedi» haben eine jahrelange Erfahrung mit dem Formen der Büppi. Dazu brauche es halt «besonderes Augenmass, Gschpühri und Fingerspitzengefühl», sagen sie dem Reporter augenzwinkernd. Deshalb dürfe da nicht jeder ran… Übrigens: Bösartige Zungen behaupten zuweilen, das Chluri sei nur ein richtiges Chluri, wenn es Brüste habe – egal, ob es sich beim Chluri um ein männliches, weibliches oder sächliches Chluri handelt.

Ein Dutzend Samstage

Etwa um halb 10 werden die Chluribouer zum Znüni gerufen. Es gibt Sandwiches und Kaffee (oder Bier). Roli skizziert dem Reporter den Jahresverlauf: Immer am ersten Freitag nach den Sommerferien treffen sich die Chluribouer bei einer Sissacher Waldhütte, essen gemeinsam Fondue und diskutieren «bei zwei, drei Luz», wen oder was sie als Sujet für das nächste Chluri bestimmen. Diskutiert werden alle Vorschläge, die auf den Tisch kommen. Gegen die Morgenstunden dann findet man sich. Denn jedes Jahr soll eine andere Persönlichkeit zu Ehren kommen, als Chluri verbrannt zu werden. In den Anfangsjahren war dies eher ein Fingerzeig, heute allerdings ist es eine grosse Ehre.

Danach trifft man sich Samstag für Samstag, um das Chluri zu bauen. So kommen etwa zwölf Samstagmorgen zusammen bis zur Fasnacht. Weil die Chluribouer keine eigene Chlurischeune mehr haben, müssen sie das Chluri in mehreren einzelnen Komponenten herstellen: Wagen, Grundkonstruktion bzw. Unterleib, Mittelteil bzw. Brust, Hals und Kopf. Dazu die Unter- und Oberarme.

Kevin Schläpfer und der Sport

Nach der Pause gehen die Arbeiten an den einzelnen Bauteilen des Chluri weiter. Und es ist für den Reporter noch nicht ersichtlich, wer da ausgespielt werden… besser gesagt, geehrt werden soll. Schon stehen zwei Angehörige der Stützpunktfeuerwehr Sissach auf der Matte – zusammen mit einem Hubretter.

Nun werden die einzelnen Komponenten aus der Halle ins Freie gefahren. Der Hubretter hievt den Oberkörper auf den Rumpf; die Chluribouer verschrauben die Teile. Schon bald schwebt der Kopf hoch oben und der Skylift setzt den ihn auf den Hals. Wieder wird verschraubt und das Chluri «eingekleidet» mit Stoff.

Langsam gibt sich das riesige Chluri zu erkennen. Es handelt sich um den bekannten Sissacher «Eishockeygott» Kevin Schläpfer (55), der u.a. mit dem HC Lugano die Schweizer Meisterschaft gewann. Als Interimstrainer des EHC Biel hatte er erheblichen Einfluss darauf, dass der Club in die Nationalliga A aufstieg. Aktuell ist er als Sportchef beim EHC Basel tätig. Schläpfer, sagt Chluribouer Roli, stehe symbolisch für die Sissacher Sportszene, die immer wieder gute und erfolgreiche Sporttalente hervorbringe.

Mittlerweile ist es 12 Uhr mittags und der Hubretter der Feuerwehr hat seine Arbeit geleistet. Das Chluri steht in voller Pracht bereit. Nur noch die Hände müssen montiert werden. Doch die Chluribouer legen eine Mittagspause ein, um sich mit einem währschaften Cordon bleu und einem Luz zu verpflegen.

Gut genährt vervollständigen sie das imposante Chluri mit den Händen, bevor sie es per Traktor ins Dorfzentrum von Sissach überbringen. Da muss es nun einige Stunden vor dem Gemeindehaus warten, bis es mitten im «Trauerzug» der in weisse Leintücher gehüllten vereinigten Guggen und Cliquen auf den Richtplatz – die Grosse Allmend – verfrachtet wird. Unterdessen lassen es sich die Chluribouer nicht nehmen, in «ihrer» Beiz, dem Stöpli, den einen oder anderen Kaffi Luz zu genehmigen.

«Leichenrede»

Hier, auf der Allmend, lässt der anonyme Chluriredner die letzten Fasnachtstage Revue passieren. Er lobt und lästert und er legt den Finger auf möglicherweise vorhandene Ungereimtheiten. Und er erklärt dem zur Chluriverbrennung gekommenen Volk, was es sich mit dem Chluri auf sich hat und wer nun demnächst in den Fasnachtshimmel eingehen wird. Dann beschliesst er mit den Worten «Aadie Chluri – aadie Fasnecht!», was die Chluribouer als Zeichen deuten, das Chluri dem Feuer zu übergeben.

Schon bald brennt das Chluri hell und erwärmt die Umgebung. Nach einigen Minuten ist das Holzgerüst in den Flammen erkennbar und schon bald fällt der Kopf. Damit ist die Fasnacht endgültig vorbei – zumindest bis zum nächsten Mal. Das Publikum weicht zurück und macht sich allmählich zufrieden auf den Heimweg. Die Chluribouer selber bleiben noch auf dem Platz. So kommt es, dass sie um Mitternacht an der Chluri-Glut noch Klöpfer (für Zürcher: Cervelat) braten und sich das eine oder andere Bierchen genehmigen. Es kann vorkommen, dass hie und da der Chluribouer-Schlachtruf angestimmt wird:

«Chluri … Bouer! – Chluri … Bouer! – Büppi … Bouer!» So sei es. 

Fotogalerie (alle Fotos Robert Bösiger)

 

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