Jean Tinguely, einer der bedeutendsten Schweizer Künstler des 20. Jahrhunderts, wäre 2025 hundert Jahre alt geworden. Sein Jubiläum wird mit zahlreichen Veranstaltungen und Ausstellungen gefeiert. Im Christoph Merian Verlag ist eine reich bebilderte Neuauflage einer Tinguely-Biografie erschienen, die das Leben des Künstlers <en détail> würdigt.
Jean Tinguely wurde am 22. Mai 1925 in Fribourg geboren und wuchs in Basel auf. Bereits in jungen Jahren experimentierte er mit mechanischen Konstruktionen, die von Wasserrädern angetrieben wurden. Nach einer Ausbildung zum Schaufensterdekorateur studierte er an der Kunstgewerbeschule in Basel, wo er sich für Künstler wie Paul Klee und das Bauhaus begeisterte. 1952 zog er nach Paris, wo er Teil der Avantgarde-Bewegung wurde.
Tinguely präsentiert sich in New York vor dem dampfenden Abfall- und Aschehaufen. Fotograf unbekannt. Buch Seite 75.
Der Künstler war Mitbegründer des Nouveau Réalisme und wurde rasch bekannt für seine kinetischen Skulpturen, die Bewegung und Zufallselemente integrierten. Seine berühmten Werke wie Méta-Matics (Zeichenmaschinen) und Homage to New York (1960), das erste autodestruktive Kunstwerk, hinterfragten die Beziehung zwischen Kunst, Technologie und Konsum.
Tinguelys Skulpturen sind in mehreren renommierten Museen weltweit ausgestellt. Zu den wichtigsten gehören:
• Das Museum Tinguely, Basel: Die grösste Sammlung seiner Werke, darunter rund 100 kinetische Skulpturen, wie Méta-Harmonie II und Fatamorgana Méta-Harmonie IV. Auch der düstere Mengele-Totentanz ist hier zu sehen.
• Espace Jean Tinguely – Niki de Saint Phalle, Freiburg: Ein Raum, der Werke von Tinguely und seiner Partnerin Niki de Saint Phalle zeigt.
• Centre Pompidou, Paris: Hier ist der bekannte Fontaine Stravinski, ein Gemeinschaftswerk mit Niki de Saint Phalle, dauerhaft zu sehen.
• Le Cyclope, Milly-la-Forêt: Eine begehbare Metallskulptur im Wald von Frankreich, die Tinguely mit anderen Künstlern realisierte.
Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely 1966 während der Arbeit an einem Theaterstück in Paris. Foto: Monique Jacot. Buch Seite 41.
Mannigfaltige Jubiläumsfeierlichkeiten
Zu seinem 100. Geburtstag finden weltweit mehrere Retrospektiven statt. Eine grosse Ausstellung im Hangar Bicocca in Mailand zeigt seit Dezember 2024 vierzig seiner Skulpturen aus verschiedenen Jahrzehnten. In seiner Geburtsstadt Freiburg wird ein Volksfest organisiert, begleitet von Ausstellungen im Museum für Kunst und Geschichte sowie im Espace Jean Tinguely – Niki de Saint Phalle.
WEITERE VERANSTALTUNGS-LINKS
Liste der Tinguely-Events in diesem Jahr
Derweil bleibt Künstler durch seine ironischen, oft aus Schrott gefertigten Maschinen ein Pionier der kinetischen Kunst, dessen Werke die Grenzen der traditionellen Kunst sprengten und bis heute faszinieren. Besonders zu reden gab einst seine Heureka-Skulptur, die er für die Landesausstellung 1964 erschuf. Es ist eine Installation, die sich ohne Sinn bewegt, mit grossen Rädern an der Seite und einem Teil eines Turms ganz oben. Es war das erste Werk, das er öffentlich ausgestellte. Heute steht die Skulptur in Zürich.
Ende April 1964, kurz vor der Eröffnung der Landesausstellung in Lausanne, legte Tinguely höchstpersönlich letzte Hand an die Skulptur Heureka. Foto: Monique Jacot. Buch Seite 94.
Buch mit bislang unveröffentlichten Abbildungen
Anlässlich des 100. Geburtstags hat der Christoph Merian Verlag in Basel das Buch «Jean Tinguely – Motor der Kunst» von Dominik Müller in einer überarbeiteten und reich bebilderten Version neu aufgelegt. Es enthält bislang unveröffentlichte Abbildungen und bietet Einblicke in Tinguelys Leben sowie Werkphasen. Vervollständigt wird das Buch durch eine Zeittafel, ein ausführliches Literaturvereichnis und eine Liste interessanter Anmerkungen. Die Biografie zeigt den Menschen hinter der radikalen Kunstauffassung und lässt Tinguelys kreative Werke lebendig werden.
Schweissarbeiten sind für einen Grossplastiker wie Tinguely unumgänglich. Foto: Hans Stoecklin. Buch Seiten 62/63.
Beschrieben und dargestellt wird im Buch auch das persönliche und künstlerische Umfeld, das Tinguely bei seinen Arbeiten motivierte und mit dem er sich austauschte. Dazu gehörten: Eva Aeppli, Niki de Saint Phalle, Iris Clert, Yves Klein, Constatin Bräncusi, Joe Siffert, Bernhard Luginbühl, Seppi Imhof und viele andere.
LINK: Homage an Jean Tinguely und seine Künstlerfreunde
Ist Tinguely ein unbekannter Bekannter und unterschätzter Künstler? wie der Kunsthistoriker Heinz Stahlhut im Buch einleitend fragt. Seine scheinbar wild zusammengeschraubten Skulpturen lösen Staunen und Begeisterung, aber auch Kritik und offene Empörung aus. Sein Werk hatte – und hat! – das Zeug zum Wach- und Aufrütteln.
Tinguely 1974 an der Basler Fasnacht, auf dem Wagen der Kuttlebutzer, wo er als Kostümgestalter und Sprengmeister amtierte. Foto: Foto Helen Sager. Buch Seite 159.
Das entsprach Tinguelys Selbstverständnis als wichtigstem Vertreter der kinetischen Kunst und des Nouveau Réalisme. Tinguely schuf eine sinnlich erfahrbare, fesselnde Kunst, die Spass machen sollte. Dahinter steht eine radikale Kunstauffassung, die er zeit seines Lebens nie aufgab.
Offener Geist und Pionier
Tinguelys oft riesige Apparate erleichtern Kindern spielend den Einstieg in die Kunst und regen Erwachsene zum Staunen oder Schmunzeln an. Dahinter steckt ein pralles Künstlerleben, das in der Biografie umfassend beschrieben wird. Von dem bekannten Fasnachtsbrunnen über die riesige Expo-Skulptur Heureka und die Feldherrenmaschine Hannibal bis zum faszinierenden Mengele-Totentanz führt Autor Dominik Müller durch Tinguelys Leben, dessen Werkphasen und den kometenhaften Aufstieg.
Der Fasnachtsbrunnen in Basel. Foto: Kurt Wyss. Buch Seite 150.
«Jean Tinguely liebte die Bewegung, und er setzte die Kunst in Bewegung. Das wird in diesem Buch aufs Schönste gewürdigt», schrieb Gerhard Mack in der NZZ am Sonntag. In der Tat: Das Buch ist mehr als nur eine Biografie: Es ist eine Hommage an einen Künstler, der es geschafft hat, die Grenzen der traditionellen Kunst zu sprengen. «Es ist ein Werk, das sowohl visuell als auch inhaltlich überzeugt», findet der Kunstkritiker Daniel Pietrzik auf mediennerd.de.
Titelbild: Unterwegs: Der musikalische Traktor «Klamauk» beim Verlassen des Museums in Basel. Foto: Christian Baur. Buch Seite 179.
Dominik Müller, «Jean Tinguely – Motor der Kunst», Christoph Merian Verlag, 2024, 2. (überarbeitete) Auflage, ISBN 978-3-03969-042-8
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