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Vom Tellerwäscher zum Geschäftsführer

1991 kam Imer Bajrami als 22-Jähriger aus dem Kosovo in die Schweiz. Anstatt sein Agronomiestudium fortzusetzen, wechselte er in die Gastronomie. Heute ist er Geschäftsführer der Alten Taverne in Adelboden. 

«Gastronomie ist meine Leidenschaft. Ich arbeite nun seit gut 33 Jahren im Gastgewerbe,» sagt Bajrami und ergänzt: «Ich liebe und lebe meinen Job wie am ersten Tag und bin sehr gerne unter Gästen. Am meisten Freude habe ich, wenn sie mir beim Abschied sagen, dass das Essen und der Service gut waren. Dann habe ich mein Ziel erreicht.»

Aufgewachsen ist der 55-Jährige auf einem Bauernhof mit Wasserbüffeln, Pferden, Kühen und Enten, vier Kilometer von der kosovarischen Stadt Ferizaj entfernt. «Wir waren zu Hause sieben Kinder, ich das Jüngste.» Zwei Geschwister leben heute in Deutschland, vier im Kosovo, die Eltern sind inzwischen gestorben.

Imers Heimatstadt Ferizaj im Kosovo. Foto Alban / Wikipedia

Von 1989 bis Ende 1990 studierte er in Pristina Agronomie, aber die politischen Bedingungen wurden für ihn unerträglich: «Jeden Tag Tränengas in den Strassen, gewalttätige Polizisten, die Regierung entliess alle albanisch-stämmigen Arbeiter,» erinnert er sich. Dann begann der jugoslawische Bürgerkrieg.

Auf Einladung seines Bruders, der damals in der Region Thun lebte, zog Imer Anfang 1991 in die Schweiz und arbeitete anfänglich einige Monate bei einer Baufirma in Amsoldingen. Als diese in Konkurs ging, machte er sich in einem Altersheim nützlich. Da er aber über keine Jahresaufenthaltsbewilligung verfügte, stand er im Herbst 1992 auf der Strasse. Freiheit und Unabhängigkeit waren ihm wichtig. Deshalb wollte er unter allen Umständen in der Schweiz bleiben und nicht nach Jugoslawien in den Krieg zurückgehen. Deshalb meldete er sich bei der Fremdenpolizei in Thun.

Sternstunde in Adelboden

Deren damaliger Leiter, Herr Anliker, machte ihm den Vorschlag, sich bei Hotels und Restaurants umzuschauen. Imer Bajrami reiste nach Grindelwald, Mürren, Kandersteg und suchte das Gespräch mit Hoteliers sowie Restaurantbesitzern. «Es war nicht einfach. Teilweise wurde ich gar nicht erst vorgelassen. Da ich kein Englisch sprach, fand ich vorerst keine Stelle im Gastgewerbe.»

Das Hotel-Restaurant Adler in Adelboden. Foto ZVG

Dann fuhr er nach Adelboden und erlebte am 19. November 1992 im Lohnerdorf eine Sternstunde: Der Geschäftsführer des Hotels «Adler», Lothar Loretan, empfing ihn zu einem Gespräch und bot ihm einen Job als Küchengehilfe an. «Ich sagte sofort zu und begann am 1. Dezember 1992 im «Adler» als Tellerwäscher zu arbeiten.»

Seinem damaligen Ex-Chef ist Imer bis heute dankbar: «Dank Lothar und Käthi Loretan lebe ich heute in einem Land, in dem ich arbeiten und mein Leben so gestalten darf, wie ich will.» Die Loretans ermöglichten ihm 1993 einen Kurs für Serviceangestellte in Bern. Auf die Sommersaison wechselte er im «Adler» in den Service. 1995 wurde er zum «Chef de Service» befördert.

Ehefrau ist rechte und linke Hand

Ende 1996 heiratete Imer im Kosovo seine Jugendfreundin Fatbardha und holte sie nach Adelboden. Den Tag ihrer Ankunft wird er nie vergessen: «Am 17. Februar 1997 lag im Engstligental so viel Schnee, dass Fatbardha unverzüglich wieder abreisen wollte.» Zum Glück konnte er sie zum Bleiben überreden. «Meine Frau ist meine rechte und meine linke Hand. Wenn ich sie nicht hätte, wäre ich nicht da, wo ich heute bin», erzählt er voller Dankbarkeit.

Gastgeber aus Leidenschaft.

Anfänglich arbeitete auch seine Frau im «Adler», wo sie das Frühstücksbuffet betreute. Nach einer Ausbildung zur Fachfrau für «Sport-, Gesundheits- und klassische Massagen» in Bern sowie einer Kosmetikschule in Thun wechselte sie die Stelle und ist heute in Interlaken in einem grossen Hotel angestellt.

Imer dagegen blieb Adelboden treu. «Ich wollte den Loretans zurückgeben, was sie mir gegeben haben. Sie waren immer so nett zu mir», erinnert er sich. So holte er Nick, einen Landsmann, aus dem «Bodenhüttli» in den «Adler». Im Restaurant bildeten die beiden während 16 Jahren ein von vielen Gästen geschätztes Service-Team. Ihre Geburtstagsständchen mit der Ziehharmonika sind legendär. Nick wurde Imers Stellvertreter. Inzwischen haben sich ihre beruflichen Wege getrennt. Nick leitet heute das Team im Hotel-Restaurant Bären.

Einbürgerung als logischer Schritt

Im Lohnerdorf ist Imer bestens integriert.

Eine Rückkehr in ihre alte Heimat war für die Bajramis nie ein Thema. In den Kosovo reist die Familie nur noch in den Ferien. Leben wollen sie für immer in der Schweiz. Inzwischen sind Imer, seine Frau Fatbardha und die beiden Kinder Schweizer Bürgerinnen und Bürger.

Einfach war die Integration für die Familie im Lohnerdorf nicht. Die Bajramis essen kein Schweinefleisch, sind aber keine praktizierenden Moslems. Ihre Kinder haben sie «als Menschen erzogen, nicht als Christen oder Moslems», betont der Vater. Doch im Dorf und vor allem in der Schule bekamen die Kinder zu spüren, dass sie anders sind als die «Hiesigen». «Wir mussten ihnen mehr als einmal erklären, weshalb sie als einzige in der Klasse nicht zu einer Kinderparty eingeladen wurden», erinnert er sich.

«Ich habe in der Schweiz gelernt, dass die Kulturen doch sehr verschieden sind. Ich muss mich als Zugezogener anpassen. Wer das nicht kann, ist am falschen Ort. Wir haben als Familie daran gearbeitet», bilanziert er seine Integrationserfahrungen. Heute haben die Bajramis im Dorf viele Freunde: «Man kennt mich in Adelboden.» Fünfmal besuchte er sogar eine Probe des lokalen Männerchors. «Aber ich kann nicht singen, ich treffe die Töne nicht.» Deshalb wurde er nicht Vereinsmitglied.

Neue Stelle in der Alten Taverne

Neuer Arbeitsort: die Alte Taverne.

Als Lothar und Käthi Loretan 2022 in Pension gingen, suchte sich nicht nur Nick, sondern auch Imer eine neue Stelle. Nach einem «sommerlichen Intermezzo» in Thun, holte ihn Werner Schmid im November 2022 als Geschäftsleiter in die Alte Taverne. Hier organisiert er seither den Service, die Küche, die Firmenessen und berät den Koch bei der Menüwahl.

Inzwischen hat er dem historischen Lokal ein äusserst originelles Konzept verpasst: Jeweils am Wochenende lässt er – in alter Tradition – die Live-Musik aufleben. Neben Schwyzerörgeli wird auch Jazz gespielt. Einmal pro Woche legt ein DJ auf. Mit diesen Begleitmassnahmen, einer hervorragenden Küche und einem professionellen Service ist dem Geschäftsleiter eine Steigerung des Umsatzes gelungen.

Imer hat in den letzten zwei Jahren der Alten Taverne ein tolles Unterhaltungskonzept verpasst.

«Ich werde auch weiterhin jeden Tag Vollgas und mein Bestes geben. Das ist Teil meines Berufsverständisses,» betont der «Geschäftsführer mit Zukunft» und verabschiedet den Journalisten mit einem kräftigen Händedruck.
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ZUR PERSON

Geboren wurde Imer Bajrami am 21. Oktober 1969 im Kosovo. Nach Schulen, Matura und zwei Jahren Agronomie-Studium in Pristina kam er im Februar 1991 aus politischen und wirtschaftlichen Gründen in die Schweiz. Ab dem 1.Dezember 1991 arbeitete er im Hotel-Restaurant «Adler» in Adelboden, zuerst als Küchenhilfe, dann als Kellner und schliesslich als Serviceleiter. 1997 heiratete er Fatbardha. Seit 2022 ist Imer Bajrami Geschäftsleiter in der Alten Taverne. Er besitzt das Wirtepatent.
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Titelbild: In einer Arbeitspause geniesst Imer Bajrami selber gerne den Blick von der Terrasse auf den Lohner. Fotos PS / ZVG

Das Porträt ist vorgängig im Frutigländer erschienen.

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