Von Leuten, die in Dietikon wohnen, hört man mitunter entschuldigend sagen, sie kämen aus der «Agglo». Tatsächlich, Dietikon gehört zur Agglomeration von Zürich, und dennoch bietet die Kleinstadt im Limmattal viel, sowohl kulturell als auch als Naherholungsgebiet. Bericht über einen faszinierenden Rundgang durch eine geschichtsträchtige Region.
Am ältesten Stationshäuschen der Schweiz fahren die Züge vorbei. Nach dem Bahnhof Dietikon steht es Richtung Bern auf der rechten Seite. 1847 wurde es für die Spanisch-Brötli-Bahn erbaut und ist heute denkmalgeschützt. Die erste Limmattal-Strassenbahn, liebevoll Lisbethli genannt wegen der Abkürzung L.S.B., verkehrte von 1900 bis 1930 zwischen Zürich und Dietikon. Seit Dezember 2022 ist die bis Killwangen führende Limmattalbahn unterwegs. So treffen am Bahnhof Dietikon – zusammen mit der S-Bahn der SBB sowie der Bremgarten-Dietikon-Bahn, die bis nach Wohlen fährt– drei Bahnen aufeinander.
Das älteste noch erhaltene «Stationsgebäude» der Schweiz von 1847 steht in Dietikon.
Vor dem Bahnhof empfängt ein aufrechtstehender Hirsch die Reisenden, eine Skulptur von Bruno Weber (1931-2011). Der Künstler und Architekt hat oberhalb von Dietikon seinen visionären Skulpturenpark verwirklicht. Mitten in der Natur schuf er getreu seinem Leitsatz «wie es die Wirklichkeit gibt, so gibt es auch die Fantasie» eine Gegenwelt zur urbanen Welt der Technik und des Kommerzes. Der Bruno Weber Park ist der grösste Skulpturenpark der Schweiz.
Skulpturen von Bruno Weber begegnet man an verschiedenen Stellen in Dietikon.
Spaziert man limmataufwärts, stösst man auf ein Denkmal, den sogenannten Masséna-Stein. Er erinnert an die siegreiche zweite Schlacht um Zürich während Napoleons Koalitionskriegen. In der Nacht vom 24. zum 25. September 1799 setzten französische Truppen unter General Masséna innert weniger Stunden mit rund 16’000 Mann bei Dietikon über die Limmat und überrannten die russischen Truppen am andern Ufer. Von diesem damals bedeutenden Sieg zeugt auch die eingemeisselte Inschrift DIETIKON am Arc de Triomphe in Paris.
Masséna-Stein an der Limmat zum Gedenken an die zweite Schlacht um Zürich. Foto: Wikimedia Commons
Schon in der Ur- und Frühzeit lebten Menschen auf dem heutigen Gebiet von Dietikon. Von den Römern ist ein grosser Gutshof bekannt, der um 340 n. Chr. unter dem Druck der Alemannen aufgegeben wurde. Auf den alemannischen Anführer Dieto geht auch der Name Dietikon zurück. 1259 verkauften die Habsburger den Ort an das Kloster Wettingen. Während der Helvetik kam Dietikon 1798 kurzzeitig an den Kanton Baden. Da dieser aber durch Napoleons Mediationsverfassung 1803 aufgelöst wurde, wechselte die Gemeinde vom ländlich geprägten Kanton Aargau zum wirtschaftlich aufstrebenden Kanton Zürich.
Die Reppisch fliesst mitten durch Dietikon, Mühlen förderten das frühe Gewerbe, aber ihre Hochwasser waren gefürchtet.
Das historisch bedeutendste Gebäude in Dietikon ist die denkmalgeschützte Krone. 1259 wurde sie erstmals als Taverne des Klosters Wettingen erwähnt. Nur eine Taverne durfte nebst Trank auch Speisen anbieten, Gäste beherbergen und ein Gasthausschild aufhängen. Die gut frequentierte Unterkunft war eine wichtige Einnahmequelle des Klosters. 1703 wurde der Grundstein für den heute bestehenden frühbarocken ländlichen Repräsentationsbau gelegt. Seit 2005 gehören die Liegenschaften der Krone der Stadt Dietikon. Das Gebäude wurde vom Zürcher Architekturbüro Tilla Theus renoviert. Seit 2010 sind die Tore der Taverne zur Krone wieder geöffnet.
Die «Taverne zur Krone» nach der Renovation, 2011. Foto: Wikimedia Commons
Nicht nur zu Napoleons Zeiten war Dietikon vom Krieg betroffen. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde das umliegende Waldgebiet zur militärischen Sperrzone erklärt und mit Panzersperren versehen. Im Zentrum entstand eine Festung mit Bunkern und einer Betonringmauer, deren Mauerkronen mit einbetonierten Glasscherben bewehrt waren. Das zentrale Schulhaus, wo 5200 Soldaten einquartiert wurden bei einer Einwohnerschaft von damals 6200, diente als Mobilisationsplatz. Auf dem Pausenplatz fanden Wachablösungen und Hauptverlesen statt. Teile der Befestigung sind heute noch sichtbar.
Hinter den beiden Schulhäusern von 1900 und 1932 erinnern Teile der inzwischen vermoosten Befestigungsmauer an den Zweiten Weltkrieg, als das Zentralschulhaus Mobilisationsplatz war.
Mitten durch Dietikon fliesst die Reppisch, ein 27 Kilometer lange Zufluss zur Limmat, der am Albis entspringt. Wie die Sihl war die Reppisch für ihre Hochwasser gefürchtet. Der Name heisst so viel wie die Wütende, Wilde oder Reissende. Seit dem Mittelalter wurde die Wasserkraft der Reppisch beispielsweise für Mühlen genutzt – Ausgangspunkt späterer Gewerbe- und Fabrikbetriebe. So ist von der Rotfärberei bekannt, dass sie von Zeit zu Zeit den Fluss rot färbte. Nur das Färberhüsli ist noch erhalten, später als Wöschhüsli genutzt und heute hin und wieder als Galerie. 1900 ging die Färberei Rotfarb an die Reppischwerke AG über, eine Metallgiesserei und Maschinenfabrik.
Das «Färberhüsli» an der Reppisch ist ein Zeitzeuge früher Industrie in Dietikon.
Im oberen Bereich der Reppisch gab es von 1895 bis 1962 ein Marmor- und Granitwerk, die sogenannte Marmori. Die schweren Steinblöcke kamen per Bahn aus Italien und wurden vom Bahnhof her mit Pferdewagen zur Fabrik gekarrt, dafür musste die Brücke bei der Krone verstärkt werden. «In der Marmori droben», schreibt ein Zeitzeuge, «entwickelte sich ein emsiger Geschäftsbetrieb. Die Sägen zertrennten die mächtigen Marmor- und Granitblöcke in mehr oder weniger dicke Platten, die von Steinhauern in die geplante Form gebracht wurden, um dann wieder auf den Poliermaschinen glänzend glatt geschliffen zu werden». Die Fabrik beschäftigte in ihren besten Zeiten rund 100 Arbeiter, vor allem Italiener und Tessiner, und galt in den 1920er Jahre als grösstes Marmorwerk der Schweiz. Der Name hat sich im Marmori-Weiher erhalten.
Der Mamori-Weiher ist ein langgezogener Stadtweiher, ein beliebtes Naherholungsgebiet, auch mit einem grossen Kinderspielplatz.
Unter schattenspendenden Bäumen führt ein längerer Wanderweg vom Marmori-Weiher der Reppisch folgend bis zum Weiler Wiesental. Hier war von 1886 bis 2004 die Strickgarn-Zwirnerei Fröhlich angesiedelt. Heute erinnern noch die Fabrikantenvilla und die Aussenwände eines der Fabrikgebäude an das Gewerbe, ansonsten stehen hier neue Wohnhäuser. Zudem hat sich 2008 die Kunstgalerie von Béatrice und Hanns Bachlechner hier niedergelassen. In der Galerie und im umgebenden Skulpturenpark sind Werke von verschiedenen Kunstschaffenden zu sehen. In der angeschlossenen Art Besenbeiz kann man sich gegen Voranmeldung bei Kaffee und Kuchen von der Wanderung erholen.
Kunstgalerie Bachlechner im Wiesentalpark, Bergdietikon AG
Vom Wiesentalpark ist es nicht mehr weit bis zum Reppischhof, wo die Bremgarten-Dietikon-Bahn im Viertelstundentakt nach Dietikon oder Wohlen fährt.
Titelbild: Schneckenskulpturen von Bruno Weber neben dem «Färberhüsli».
Fotos: rv
Heinz Lüthi, bekannt geworden als Mitglied des Cabaret Rotstift, schrieb einen zweibändigen Roman «Strömungen» (Band I, 2018 / Band II, 2023) über die Entwicklung der Region des Limmattals zwischen 1909 und 1971. Seniorweb hat über den ersten Band berichtet.