Ist eine geringe Menge Alkohol der Gesundheit abträglich oder mindert sie im Gegenteil gesundheitliche Risiken wie Herzkrankheiten? Neue wissenschaftliche Arbeiten raten eher zum totalen Alkoholverzicht.
Alkohol in Massen kann für manche Menschen tatsächlich positive gesundheitliche Effekte haben, aber es kommt sehr auf die Menge und die individuelle Situation an. In kleinen Mengen (z. B. ein Glas Rotwein pro Tag) gibt es Hinweise, dass Alkohol möglicherweise positive Auswirkungen auf das Herz-Kreislaufsystem haben könnte, insbesondere wegen der enthaltenen Antioxidantien wie Resveratrol, die in Rotwein vorkommen. Studien haben auch gezeigt, dass moderater Alkoholkonsum das Risiko von Herzkrankheiten und Schlaganfällen verringern kann.
Massvoller Alkoholkonsum in der Kritik
Die wohlige Überzeugung, dass ein massvoller Alkoholgenuss unserer Gesundheit zuträglich ist, gerät offensichtlich ins Wanken. Neue wissenschaftliche Studien machen die Runde, wonach jede noch so geringe Menge Alkohol der Gesundheit abträglich ist. Unlängst publizierte das Tagi-Magazin einen längeren Beitrag mit dem Titel «Ist Alkohol gut oder schlecht für Sie? Beides». Darin zitiert der Autor des Beitrages, Christian Seiler, mehrere Publikationen, unter anderen die Zeitschrift «Nature», wonach bereits geringer bis moderater Alkoholgenuss «das Gehirn schrumpfen lässt wie im hohen Alter». Und in der Washington Post wird davor gewarnt, dass bei «mehr als ein alkoholisches Getränk pro Tag das Risiko für Herzkrankheiten bei Frauen erhöht wird».
Gemäss Christian Seiler ist es vorab der kanadische Wissenschaftler Tim Stockwell, ein Experte im Bereich Sucht und Alkoholkonsum, der mit seinen publikumswirksamen Studien auf die Gefahren des Alkoholkonsums hinweist und letztendlich für einen totalen Verzicht plädiert. Ein zentrales Argument von Stockwell ist, dass Alkohol ein bedeutender Risikofaktor für eine Vielzahl von Krankheiten und sozialen Problemen ist, einschliesslich Lebererkrankungen, Krebs, psychischen Erkrankungen und Verkehrsunfällen. Er fordert eine strengere Regulierung und eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Risiken des Alkoholkonsums.
In einer seiner bekanntesten Studien aus 2018 (mit dem Titel «Alcohol and public health: A systematic review and meta-analysis») hat er gezeigt, dass auch niedriger Alkoholkonsum, insbesondere über einen längeren Zeitraum, das Risiko für eine Vielzahl von gesundheitlichen Problemen signifikant erhöht. Eine seiner Schlussfolgerungen war, dass die von vielen Gesundheitsorganisationen empfohlene „sichere“ Menge von Alkohol pro Tag wahrscheinlich immer noch zu hoch ist, wenn man die langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen berücksichtigt. Inzwischen haben die Weltgesundheitsorganisation WHO und mehrere Länder (Kanada, Japan) die Richtlinien für den Alkoholkonsum verschärft.
Schweiz verfolgt eine vorsichtige Haltung
In der Schweiz sind gemäss Schätzung der Koordinations- und Fachstelle Sucht 250 000 bis 300 000 Menschen alkoholabhängig, davon sterben pro Jahr 1600 Menschen an den Folgen des Alkoholkonsums. Die sozialen Folgekosten für den Missbrauch von Alkohol pro Jahr werden auf 2,8 Milliarden Franken geschätzt. Angesichts dieser Zahlen sind präventive Massnahmen und Aufklärung vorab junger Menschen unerlässlich.
Die Schweiz verfolgt in Bezug auf Alkoholkonsum eine eher vorsichtige und gesundheitsorientierte Haltung. Die Fachstelle für Suchtfragen und die Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin geben klare Empfehlungen zum Konsum von Alkohol: So sollen Männer nicht mehr als zwei Standardgetränke und Frauen nicht mehr als ein Standardgetränk pro Tag konsumieren. Ein Standardgetränk entspricht etwa 10 – 12 Gramm reinem Alkohol. Das ist ungefähr die Menge von einem Glas Bier (0,3 l), einem Glas Wein (0,1 l). Weiter wird empfohlen, mindestens zwei Tage pro Woche alkoholfrei zu bleiben, um den Körper zu entlasten und einem gewohnheitsmässigen Konsum vorzubeugen.
Bekannt ist, dass übermässiger Alkoholkonsum den Alterungsprozess auf verschiedene Weisen beschleunigen kann – von der Zellalterung über sichtbare Hautalterung bis hin zu Schäden an wichtigen Organen wie der Leber und dem Gehirn, während moderate Mengen Alkohol möglicherweise keine sofort sichtbaren oder schwerwiegenden Auswirkungen auf den Alterungsprozess haben. In seinem Beitrag schlussfolgert Christian Seiler, dass es nicht allein um die Mengen an Alkohol geht, die man konsumiert, sondern auch darum, wie man sie konsumiert und welches Leben man führt, und zitiert den Philosophen Robert Pfaller, der den folgenden versöhnlichen Rat gibt, mit der Mässigung massvoll umzugehen, «weil sie selbst sonst zum Exzess wird».
Der erwähnte Experte und WHO-Berater Tim Stockwell steht religiösen Abstinenzler-Kreisen nahe («Guttempler») und ist ein ideologisch motivierter, prinzipieller Alkoholgegner. Entsprechend selektiv ausgewählt hat er die Quellen für seine alarmistischen Studien – unter Verschweigung der zahlreich nachgewiesenen positiven Effekte v.a. von Rotwein auf Herz und Kreislauf. Darauf hat auch Christisn Seiler hingewiesen – neben diversen anderen Autoren und Wissenschaftern. Lassen wir uns also von Fanatikern und ihrem zweifelhaften Datenmaterial das (natürlich massvolle) Geniessen von alkoholischen Getränken nicht verderben!
Geschätzter Linus Baur, ihre Zusammenfassung hinlänglich bekannter Studien von “Experten”, die “Washington Post” und jetzt noch Christian Seiler ergeben ziemlich viel Text und entsprechen scheinbar auch Ihre Meinung. Es sei Ihnen gestattet.
Gesichert ist, dass übermässiger Alkoholkonsum in mancher Hinsicht schädlich ist. Bis dahin bin ich noch bei Ihnen, sehr sogar. Alles andere ist Spekulation. Die Argumentation mit vielen Annahmen, bis 300’000 Alkoholabhängige mit statistisch ausgewiesenen 1600 Toten, nota bene im Promilleteilbereich, berechtigt niemanden, die restlichen 95% der erwachsenen Bevölkerung zur Mässigung aufzurufen. Niemand!
Zugegeben, das gemeinsame Geniessen von Wein und Bier verleitet manchmal “den Ernst des Lebens” zu vergessen, verleitet zu Wohlgefühl, zur Fröhlichkeit und Zufriedenheit. Weil: Ein gut gelebtes Leben mit geliebten Mitmenschen ist es wert, dass es nicht unbedingt hundert Jahre dauert. Obgleich Mme. Hélène von gegenüber am 17. Mai ihren 102. Geburtstag feiert, selbstverständlich mit Cremant. Man muss das Leben aushalten können und wollen. Endlich ist es ohnehin.
Mein “gewohnheitsmässiger” Konsum, 1 dl Rot-, Weiss- oder Roséwein zum Mittagessen ist Ausdruck einer sehr sehr alten Kultur. Eine liebenswerte Gewohnheit.