Eva Aeppli zum 100. Geburtstag: Grosse Werke hat sie geschaffen und mit grossen Künstlerinnen und Künstlern des 20. Jahrhunderts hat sie zusammengearbeitet. Im Kunstmuseum Solothurn erhält sie eine schöne Würdigung.
Solothurn und sein Kunstmuseum fühlen sich zu Recht berufen, der im nahen Zofingen geborenen Künstlerin eine besondere Ausstellung zu widmen. Bemerkenswert vor allem, weil die Besucherin sogleich vor Augen hat, wie eng Eva Aeppli in die Kunstszene – die schweizerische und die internationale – eingebunden war. Am 2. Mai 1925 wurde sie geboren, gestorben ist sie, gerade 90 Jahre alt geworden, am 4. Mai 2015 in Honfleur / Normandie.
«Die gemeinsame Geschichte von Eva Aeppli und dem Kunstmuseum Solothurn beginnt schon 1974, als Meret Oppenheim (1913-1985) dem Museum eine Skulptur ihrer jüngeren Kollegin schenkt», lesen wir in den Erläuterungen. A suivre: Eva Aeppli in der Sammlung des Kunstmuseums haben die Kuratorinnen – Katrin Steffen, Anna Bürkli und Tuula Rasmussen – diese Ausstellung ihr zu Ehren genannt. Die Präsentation aus der Sammlung wird ergänzt durch einige selten gezeigte Werken aus Privatbesitz. Da ist es nur logisch, dass Eva Aepplis Werke innerhalb der «Künstlerfamilie» im ersten Stock zu sehen sind, als Nachbarn befreundete Künstlerinnen und Künstler, jüngere Kolleginnen und Kollegen und diejenigen, die zur «Familiengeschichte» des Museums gehören, wie Ferdinand Hodler oder Cuno Amiet.
Eva Aeppli: Sonne. 1976, Kohle auf Papier, Privatbesitz Luzern
Seit sie als junge Frau von den Gräueln des Zweiten Weltkriegs und seinen katastrophalen Folgen erfahren hatte, engagierte sich Eva Aeppli – sie war 1945 gerade 20 geworden – für Menschlichkeit, für Respekt und Mitgefühl. Diese humanistische Haltung in verschiedenen Aspekten stellen die Kuratorinnen in den Mittelpunkt: Da sind neben Malereien Köpfe, von Hand aus Seide genäht und ebenso ausdrucksvoll wie kunstvoll modelliert.
Ob wir dem vorgesehenen Rundgang folgen oder uns gleich vom Blick in den Saal gegenüber der Treppe locken lassen, wir werden von einer Reihe bzw. einer Runde Köpfe fasziniert.
Eva Aeppli: Nuit blanche. 1953. Seide, Garn, Wolle. Seit 2018 im Besitz des Kunstmuseums Solothurn
Den ganzen Ausdruck in den Kopf gelegt
Gleichsam in der Mitte der Ausstellung sehen wir, was Eva Aeppli aus ihrer Beschäftigung mit der Astrologie geschaffen hat: Die Tierkreiszeichen des astrologischen Jahreskreises als zwölf Köpfe, jeder ein herausstechendes Charakteristikum des entsprechenden Zeichens darstellend, überzeugend in ihrer Ausdruckskraft. In den 1970er Jahren hatte die Künstlerin in Paris den Astro-Psychoanalytiker Jacques Berthon (1926-2014) kennengelernt. Daneben beschäftigte sie sich mit dem Werk von Emma Kunz (1892-1963), der Künstlerin und Heilpraktikerin, die im Aargau und im Appenzellerland daheim war und ihre astrologischen Erkenntnisse in einzigartigen geometrischen Zeichnungen niederlegte.
Eva Aeppli: Zwillinge (gemeint ist das Sternbild), Bronze, grün patiniert, Privatbesitz Basel. Im Hintergrund: Michael Biberstein (1948-2013) RCC Glider, Acryl auf Leinwänden, Galleria Giorgio Persona, Torino
Wenn wir die Ausstellung im Uhrzeigersinn anschauen, begegnet uns im ersten Saal eine Reihe von sieben Seidenköpfen. Sie stellen Einige menschliche Schwächen, so der Titel, dar, denen Eva Aeppli den Mond und die sechs Planeten unseres Sonnensystems zuordnet. Auch hier geht es der Künstlerin darum, mit ihren Köpfen aus gelbem Seidenstoff und gefüllt mit Watte und Kapok, menschliche Eigenschaften sichtbar zu machen, und wiederum bezieht sie sich auf astrologisches Wissen, das sie hier relativ frei interpretiert.
Eva Aeppli: Einige menschliche Schwächen. Zyklus von 7 Seidenplastiken. 1993 -94. Metallstab. Privatbesitz Basel. Foto David Aebi © Susanne Giger
Im Hintergund ganz links: Daniel Spörri: Grappa
Beim Betreten des nächsten Saales hatte ich unwillkürlich das Gefühl, in einer Ecke sässe jemand, eine Person von ungeheurer Präsenz. Es war, wie ich gleich erkannte, die Figur einer Dame: Madeleine de Neuilly-sur-Seine (geschaffen 1968). Ein charakteristischer Kopf, Körper, Arme und Beine in einen alles bedeckenden dunklen Mantel gehüllt, nur eine auffällig grosse Hand ist sichtbar, die Füsse unter dem Mantel.
Eva Aeppli: Madeleine de Neuilly-sur-Seine, 1968, Seide, Kapok, Watte, Samt, Metallstab, Privatbesitz Luzern
im Hintergrund: Paul Cézanne, Drei Totenköpfe auf einem Orientteppich. 1904. Öl auf Leinwand. Dübi-Müller-Stiftung
Eine elegante Erscheinung. Bei einer anderen, früheren Ausstellung hatte mich die grosse Ausstrahlungskraft dieser allein für diese Künstlerin charakteristischen Art der Darstellung schon einmal beeindruckt.
Die Einfachheit berührt zutiefst
Eva Aeppli: La petite Marie. 1990. Seide, Kapok, Watte, Metallstab. Privatbesitz Luzern
Im nächsten Saal ist Honoré (1974) ausgestellt, und im kleinsten Saal begegnen wir Maria in einer spätmittelalterlichen Malerei und schräg gegenüber Eva Aepplis Darstellung: eine kleine, schmale Frau eingehüllt in roten Stoff, nicht in ein blaues Gewand, wie es der Tradition entspricht, sondern mit einem schwarzen Tuch auf dem Kopf, die Hände, auch hier wieder extrem filigran, aufs Knie gestützt.
Sie sitzt auf einer Säule, als sollte so ihre Würde gezeigt werden. Mitgefühl und Verzweiflung sprechen aus dieser Figur. Eine Reduktion auf das Wesentliche – die Vergänglichkeit ist mitgedacht.
Eva Aeppli und ihr Freundeskreis
Zu den Werken der in diesem Jahr zu ehrenden Künstlerin haben die Kuratorinnen Arbeiten ihrer Freundinnen, Freunde und Kollegen platziert. Vor Eva Aepplis Anemonen IV (1958), einer Kohlezeichnung, steht die Urzeit-Venus (1933/1962) von Meret Oppenheim, im Nebenraum eine witzige Arbeit von Daniel Spörri (1930-2024): Grappa (1969-71), seine erste Bronzeskulptur.
Les Livres de Vie (1954 – 2002), 15 Bände mit collagierten Zeichnungen, Briefen, Fotos, Einladungskarten, Zeitungsausschnitten von Eva Aeppli und ihren Freund*innen. Kunstmuseum Solothurn, Schenkung der Künstlerin 2005 Foto David Aebi © Susanne Giger.
Über dem Schaukasten: Zeichnung des Crocodrome (s.u.)
Im letzten Saal des Rundgangs werden uns Les Livres de Vie (1954-2002) präsentiert, übergrosse Folianten, in denen Eva Aeppli alle Dokumente, Erinnerungen, Fotografien, Rechnungen und kleine künstlerische Arbeiten als gewaltige Collage sammelt. Sie schenkt diese als «Autobiografie ohne Worte» dem Kunstmuseum Solothurn. Anzuschauen sind einzelne Doppelseiten in Schaukästen oder elektronisch zum Durchblättern in einem Videokasten. An den Wänden hängen Erinnerungen an den Freundeskreis in Paris.
Bemerkenswert sind Skizzen zum Crocodrome, geplant 1977 von Jean Tinguely zusammen mit Bernhard Luginbühl, Daniel Spoerri und Niki de Saint Phalle für die Eröffnung des Centre Pompidou in Paris. Bemerkenswert deshalb, weil jetzt, im Mai 2025 im Tinguely-Museum Basel ein «Nachbau» dieses Werks ausgestellt wird zu Tinguelys 100. Geburtstag, ebenfalls – wie das Original in Paris – mit einer Geisterbahn, die neu konzipiert wurde.
Die Ausstellung «A suivre. Eva Aeppli» im Kunstmuseum Solothurn dauert bis 31. August 2025.
Das Kunsthaus Zofingen zeigt Eva Aeppli im Dialog. Bis 15. Juni 2025
Titelbild: Der Tierkreis, Zyklus von 12 Seidenplastiken (Mai 1979 – Februar 1980). Seide, Kapok, Watte, auf Eisensockel gefertigt von Jean Tinguely. Privatbesitz Basel. Foto David Aebi © Susanne Giger
wenn nicht anders vermerkt: Foto mp