In unserer Zeit über Frieden nachzudenken, ist eine brennende Notwendigkeit. Ursula I. Meyer widmet sich in ihrem Buch «Der philosophische Blick auf den Frieden» diesem Thema. Bewusst beziehen sich ihre Erörterungen auf Geschichte und Gegenwart.
Unabhängig von den aktuellen militärischen Auseinandersetzungen hat das Thema Frieden einen festen Platz in der philosophischen Diskussion, schreibt die Autorin Ursula I. Meyer. Von Platon bis Hannah Arendt, vom ewigen Frieden bis zum Pazifismus, erstreckt sich die Bandbreite der Theorien über den Frieden. Dabei müssen wir uns klar sein: Nicht nur reden, sondern den Frieden verwirklichen, das bleibt ein steiniger Weg.
Denkanstösse zu geben – ein Kerngebiet der Philosophie -, diese Aufgabe hat sich die Autorin gestellt. Ihre sehr konzentrierten, zugleich gut lesbaren Ausführungen mit Anmerkungen, einem guten Index und vielen Literaturangaben stellen moderne Friedenstheorien bzw. -bemühungen vor und beziehen die historischen Vorstellungen ein.
Der Krieg ist allgegenwärtig. Und der Frieden? Gibt es ihn überhaupt?
Dabei möchten die meisten Menschen in Frieden leben.
Frieden kennen wir in den unterschiedlichsten Zusammenhängen, sei es als Gruss Friede sei mit dir, den auch die Juden kennen. Shalom, Frieden, und im Arabischen Salam aleikum haben die gleiche Bedeutung. Viele Begriffe enthalten «Frieden»; Seelenfrieden und innerer Frieden sind uns ebenso geläufig wie der Begriff Hausfriedensbruch. Ein berühmter Friedensschluss ist der Westfälische Frieden von 1648, der nach dem Dreissigjährigen Krieg die Menschen in Europa aufatmen liess.
Le Corbusier – «offene Hand» oder Friedenstaube im Kapitol-Komplex in Chandigarh, Indien (commons.wikimedia.org)
Nach solchen Blicken auf die Vielfalt des Friedensbegriffs widmet sich Ursula I. Meyer den modernen Friedenstheorien. «Wenn der Grund für das Philosophieren laut Platon das Staunen ist, dann ist der Grund für die modernen Friedenstheorien laut dem Politikwissenschaftler Dolf Sternberger das Erschrecken über den Vernichtungswillen heutiger Waffenarsenale», schreibt die Autorin. Es ist nur logisch, dass daraus die Friedensbewegung entstanden ist.
Eine Friedensethik entsteht – sie umspannt die ganze Welt, von Hans Küng (1928-2021) als Weltethos definiert. Menschenrechte und Verantwortung (Hans Jonas 1903-1993) geben neben anderen Werten dem Friedensbegriff weiteres Gewicht. «Wenn alle friedfertig wären, gerecht wären, ihre Konflikte bewältigen würden – und wenn Männer und Frauen gleich wären», diese «Wenn», im Buch als Untertitel gesetzt, drücken aus, wie schwer sich die Friedensidee durchsetzen kann. Die Autorin erläutert anhand des Denkens der englischen Politikwissenschaftlerin J. Ann Tickner (geb. 1937), welche Bedeutung die feministische Perspektive hat. Internationale Beziehungen könnten so auf eine Basis gestellt werden.
Kann man Frieden lernen?
Über Friedenstrategien hat Karl Jaspers (1883-1969) nachgedacht in seinem damals vielbeachteten Text «Die Atombombe und die Zukunft des Menschen», 1982 erschienen, im Buch zusammengefasst unter dem Titel «Frieden durch neue Politik». Ausgehend von der Existenzphilosophie der Nachkriegszeit betrachtet Jaspers Grenzsituationen. Als wichtigen Baustein in Bezug auf die Mitmenschen sieht er Kommunikation, die Begegnung auf Augenhöhe. Friedliche Koexistenz, moralische Erneuerung und Freiheit sind weitere unabdingbare Voraussetzungen. Frieden braucht Demokratie, und die braucht politische Selbsterziehung. – Daran werden wir noch lange zu arbeiten haben, denkt die Schreibende.
Friedenstaube in Cēsis im Gauja-Tal / Lettland. Foto: Dieter Schütz / pixelio.de
Die Taube gilt nicht nur als Friedenssymbol, sondern im Christentum auch als Symbol des Heiligen Geistes. Im Alten Testament der Bibel kündigt eine Taube mit einem Olivenzweig das Ende der Sintflut an.
Hannah Arendt (1906-1975) war eine Zeitlang Schülerin von Jaspers und zeitlebens mit ihm befreundet. Sie hat nicht explizit über Frieden geschrieben. Ursula I. Meyer findet aber viel Wichtiges in ihren Schriften, kurz zusammengefasst: Frieden durch Verantwortung. Jean-Paul Sartres (1905-1980) Ideen charakterisiert die Autorin als Frieden durch sozialistische Demokratie und Bertrand Russells (1872-1970) Position als Frieden durch Neutralität. Russell, der beide Weltkriege als Erwachsener erlebt hatte, wandte sich 1955 gemeinsam mit Albert Einstein (1879-1955) mit dem Russell-Einstein-Manifest an die Weltöffentlichkeit, einem Manifest gegen die Atombombe.
Diese Gedanken kommentiert die Autorin mit der Einsicht, «dass man sich zur Friedenssicherung nicht auf den Staat verlassen sollte.» Der Staat könne sich als Kriegstreiber zeigen, vor allem, da er in erster Linie seine eigene Erhaltung anstrebe – und dafür sogar den Krieg als adäquates Mittel erklären könne.
«Ich mahne unablässig zum Frieden.»
Dieser Satz, den Cicero vor 2000 Jahren sagte, gilt bis heute.
Mit dem Hinweis, dass in der Antike alles wissenschaftliche Denken als Philosophie galt, beginnt die Autorin den historischen Teil des Buches. «In der griechischen Antike hielt man Kriege für unvermeidbar. Frieden war die von den Göttern gewährte Pause . . .», schreibt sie und weist darauf hin, dass die antiken Sagen über viele gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den Göttern erzählen. – Neben Ares, dem Kriegsgott, gab es Athene, zugleich Kriegs- und Friedensgöttin. Vielleicht erst durch Hesiod (8. Jh. vor Chr.) kannte man Eirene (Irene), die ausschliesslich dem Frieden zugeordnet wurde, im römischen Götterkosmos heisst sie Pax.
Sokrates und Platon lehrten die Tugenden, zu denen auch ein friedliches Miteinander zählte. Platon dehnte das Thema auf seine Staatsutopie Politeia aus. Ursula I. Meyer erklärt klar und gut verständlich Platons Philosophie und den Fortgang des Denkens. Zenon von Kition (344-262 vor. Chr.) schreibt den klugen Satz: «Der Krieg hat seinen Ursprung nicht in Gott, sondern in der Unvernunft der Menschen.» Zenon ist es auch, der das Weltbürgertum propagiert, angespornt von den weitreichenden Eroberungen Alexanders d. Gr. – die aber durch Kriege entstanden, wendet die Schreibende ein.
Die Philosophie zeigt Wege auf. Gehen muss der Mensch selbst.
Sowohl Seneca (1. Jh.) wie auch – ausführlich – Marcus Tullius Cicero (106-43 vor Chr.) erwähnt die Autorin, und Kaiser Augustus, der als Erster eine Friedensordnung schuf, die pax Augusta. Der Gang durch die Geistesgeschichte der letzten zwei Jahrtausende sei denen überlassen, die das Buch lesen. Dazu gehören der Kirchenvater Aurelius Augustinus, Erasmus von Rotterdam, Thomas Hobbes, Jean-Jacques Rousseau, Immanuel Kant und weitere.
Beim Lesen erkennen wir, wie «alt» einige Ideen schon sind, etwa der Völkerbund oder der Contrat Social. Hier sei nur noch auf die bahnbrechende Tätigkeit der tschechisch-österreichischen Friedensaktivistin und Schriftstellerin Bertha von Suttner (1843-1914) hingewiesen. – Sie war im 19. Jahrhundert nicht die einzige Philosophin und Frauenrechtlerin, aber sie fand Gehör bei wichtigen Persönlichkeiten wie Alfred Nobel (1833-1896), den sie zum Friedensnobelpreis bewegte.
Über die Autorin:
Ursula I. Meyer, Philosophin, Autorin und Verlegerin, sagt von sich, dass sie während ihres ersten Studiums, einem Ingenieurstudium, über Science Fiction und Schriften zu Staatsutopien auf die Philosophie, ihr Zweitstudium, gestossen ist. Besonders Platon interessierte sie. Sie bezeichnet sich selbst als Feministin. Das kommt im Buch dadurch zum Ausdruck, dass sie den philosophischen Horizont durch die Gedanken vieler kluger, aber wenig bekannter Frauen erweitert.
Ursula I. Meyer: Der philosophische Blick auf den Frieden. ein-FACH-verlag Aachen 2024. 200 Seiten; ISBN 978-3-928089-96-8
Titelbild: Friedenstaube (pixabay.com)
Alles in unserem Leben hat eine Ursache und eine Wirkung. Krieg resp. Unfrieden ist die Wirkung; was ist die Ursache? Was genau ist die Ursache von Krieg, Gewalt und Zerstörung und wer übt sie seit Menschengedenken in aller Regel aus?
Diese Frage stelle ich mir seit ich politisch denken kann. Die Antworten waren sich über die Jahre ähnlich: Verteidigung von Besitz und Leben, eigenmächtiger Land- und Machtanspruch; die Herrschenden, die Kirche und die Religionen sind unfehlbar und berechtigen deshalb, zu unterdrücken, zu demütigen, zu enteignen, zu bestrafen, zu töten im Namen Gottes, im Namen des Königs, im Namen der Kirche usw.
Eines Tages, ich las wieder einmal ein Buch zur Menschheitsgeschichte, von der Gegenwart bis in die Urzeit, fiel mir auf, dass das bisher übliche Teilen und das Miteinandersein sich veränderte, als die Menschen sesshaft wurden. Es gab nun eigene Häuser, eigene Äcker, die neben der Jagd und dem Sammeln von Essbarem in der Natur, die Lebensgrundlage bildeten. Es begann das Zeitalter des Besitzes und seiner Vermehrung. Klar, dass die Männer am längeren Hebel waren, denn sie hatten ja keine Kinder und eine Wohnstätte, die sie versorgen mussten; die Frauen und ihre Kinder blieben zuhause und waren zuständig für den Erhalt der familiären Strukturen. Der Mann schwang sich auf zum Beschützer, zum Verteidiger und hatte von nun an das Sagen.
Obwohl es in gewissen Volksstämmen noch lange Gleichberechtige unter Frau und Mann gab, der Machtanspruch des Mannes setzte sich über Jahrhunderte durch und die Frauen und Mädchen hatten und haben bis heute das Nachsehen. Es ist geschichtlich überliefert, dass auch Frauen um ihr Überleben und das ihrer Kinder gekämpft haben, wenn sie angegriffen wurden. Doch Krieg führen nur um des Machterhalts oder der Vermehrung des eigenen Reichtums, das ist nachgewiesener Massen Männersache, Ausnahmen bestätigen die Regel. Oder kennt jemand eine Kriegsherrin die ohne Rücksicht auf Verluste andere Länder überfällt, ganze Landstriche und ihre Bevölkerung auslöscht oder eine Regierungspräsidentin einer Diktatur, die auf der heutigen Politbühne das Sagen hat?
Mein Fazit: Die Männer sind weltweit seit über 2000 Jahren an der Macht, bestimmen die Geschicke der Menschheit und zeigen auch heute noch kein offensichtliches Bedürfnis nach einem friedlichen Zusammenleben. Ausnahmen gibts immer, doch was nützt das der Mehrheit, wenn sich Männer nicht endlich eingestehen, dass sie die Verursacher und damit verantwortlich sind, für das viele Elend auf unserer Welt. Wir sollten endlich «das Kind» beim Namen nennen: Krieg ist männlich und der Frieden beginnt im Kopf.