Die neue Doppelintendanz mit Pinar Karabulut und Rafael Sanchez am Schauspielhaus Zürich startet mit dem 1983 erschienen Roman «Blösch» von Beat Sterchi in einer Bühnenfassung von Mike Müller in ihre erste Spielsaison. Geboten wird eine amüsante, aber wenig inspirierende Aufführung.
«Blösch» ist die Geschichte des spanischen Gastarbeiters Ambrosio, der als Melker auf den Schweizer Bauernhof des Knuchelbauers kommt und dort Freundschaft schliesst mit den Tieren – insbesondere mit der Leitkuh Blösch. Jahre später begegnet er ihr an seinem neuen Arbeitsort wieder – im Schlachthaus. Abgemagert bis auf die Knochen hinkt sie aus dem Viehtransporter, «sang-und klanglos wird der ehemalige Stolz des langen Berges, die Stütze der Innerwaldner Zucht, aufs Schaffott geführt.» In seinem Buch zeichnet Beat Sterchi ausdruckstark und eigenwillig ein gnadenlos-reales Bild von Schweizer Landwirtschaft und Seelenlosigket von Schlachthöfen der 60er-Jahre. Bauer Knuchel hält fest an Tradition und Handwerk und holt statt einer Melkmaschine einen Spanier.
Schön aufgereiht vor der Hausfassade jodeln
Abgesehen von einigen Erzählerpassagen, wird das Stück in der Regie von Intendant Rafael Sanchez in Mundart gespielt – ein Novum zum Saisonstart. Zu Beginn steht die Familie des Knuchelbauers zusammen mit weiteren Figuren aus dem Dorf und der Leitkuh Blösch schön aufgereiht vor einer Hausfassade mit Schindeldach und jodelt den Alpsegen als Sinnbild für unsere ländliche Schweiz. Dann erscheint der neue Melker Ambrosio aus Spanien in Sandalen, wird erstmals von der Leitkuh Blösch begrüsst, dann argwöhnisch von der Knuchelfamilie willkommen geheissen. Der Bauernalltag nimmt seinen Lauf, Ambrosio, neu eingekleidet mit Stiefeln und grünem Stallanzug, macht seinen Job sehr gut, verbringt die Nächte bei den Kühen. Er bleibt ein Aussenseiter, das Dorf begegnet ihm mit wachsender Feindseligkeit. Der Knuchelbauer vermittelt ihm schliesslich eine Stelle im Schlachthof. Die Leitkuh Blösch gebiert «Himmelheilanddonner» zum Ärger des Knuchelbauers nur Munelis, deren Fleisch nichts wert ist, sie wird später in den Schlachthof geführt.

Oben: Mouataz Alshaltouh als Knecht Luigi und Alexander Angeletta als Melker Ambrosio betrachten ein Familienfoto. Unten: Florian Voigt als Gemeindeammann und Mirjam Rast als Leitkuh Blösch vollführen ein Tänzchen.
Im rund anderthalb Stunden dauernden ersten Teil der Aufführung wird exemplarisch deftiges Bauernleben mit ironischen Einschüben vorgeführt. Die Spielenden agieren in fliegenden Wechseln mal als Bauernmenschen und mal als Kühe, die den neuen Melker Ambrosio umgarnen. Ein absurdes Wechselspiel, das amüsant daherkommt, aber eher komisch wirkt. Auch sonst bietet dieses Bauerntheater – so die Bezeichnung für diesen ersten Teil – wenig prägnante Charaktere – ausgenommen Michael Neuenschwander als knorriger Knuchelbauer, der meist fluchend den Bauernalltag meistert, und Karin Pfammatter als keifende Grossmutter, die lieber den fremden Melker durch eine Melkmaschine ersetzt sehen möchte.
Ein Schlachthaus mit gebrochenen Biografien
Wird im ersten Teil der Aufführung eher ein wenig packender Bauernalltag mit einer als Bauernstube oder Wirtshaus öffnenden Schindelfassade geboten, wird im zweiten Teil nach der Pause ein düsteres, seelenloses Sittenbild eines Schlachthauses präsentiert. Bühnenbildner Simeon Meier verwandelt den Schauplatz in einen mit rosaroten Tüchern ausgekleideten Schlund, der an Innereien eines geschlachteten Tieres mahnt. Vorgeführt wird eine routinierte Schlachtmaschine mit gebrochenen Biografien. Die Schlachtertruppe mit anfänglich weissen, später blutverschmierten Schürzen agiert schön choreografiert im Schlund, im Befehlston werden die Abläufe beim Schlachten verteilt, einzelne Biografien der Arbeitertruppe vorgestellt, so jene des Wallisers Gilgen (wiederum grandios gespielt von Michael Neuenschwander), der als Verdingbub misshandelt wurde und mehrfach im Gefängnis sass. Endlich wird die Leitkuh Blösch (wunderbar zerbrechlich gespielt von Margot Gödrös, der 86jährigen Grande Dame des Ensembles) hereingeführt. Ihre Schlachtung entpuppt sich als wenig ertragsreich, der grösste Teil des Fleisches ist ungeniessbar und muss entsorgt werden.
Kurz vor der Schlachtung: In der Bildmitte Margot Gödrös als zerbrechliche Leitkuh Blösch, umrahmt von der Schlachtertruppe.
Man verlässt die fast dreistündige Aufführung inklusive Pause mit gemischten Gefühlen. Geboten wird ein in vielen Szenen unterhaltsamer Abend mit ironischen Verfremdungen. Mit von der Partie ist auch eine Hündin, die über die Bühne springt und Männchen macht. Mike Müller, der selbst als neues Mitglied des Schauspielhaus-Ensembles mitwirkt und im Stück den Viehhändler Fritz Schindler und den protzigen Zuchtstier Pestalozzi spielt, sorgt mit seiner Bühnenfassung für etliche heitere satirische Momente. Doch insgesamt wird eine eher flache Inszenierung mit einem durchwegs spielfreudigen Ensemble zum Auftakt der Spielsaison unter neuer Intendanz präsentiert.
Titelbild: Michael Neuenschwander als knorriger Knuchelbauer, links Karin Pfammatter als Grossmutter und rechts Rahel Hubacher als Knuchelbäuerin. Fotos: Krafftt Angerer
Weitere Spieldaten: 21., 23., 29. September, 2., 8., 10., 21.,24. Oktober, 1. November


The article vividly captures the contrasting rural charm and grim reality of a slaughterhouse, blending humor with social commentary. The characters are memorable, and the description of the performance is engaging. It’s a thought-provoking read!