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Konkrete Kunst Schweiz-Brasilien

Der Zurich Art Price geht an Artur Lescher aus Brasilien. Seine Pendel und Linien schweben durch das Museum Haus Konstruktiv, wo eine weitere Ausstellung auf Max Bill und dessen Einfluss auf die brasilianische Kunst des Neoconcretismo verweist.

Zum ersten Mal ist der Zurich Art Price am neuen Standort verliehen worden. Das Museum Haus Konstruktiv und die Zurich Versicherung haben im Löwenbräu den brasilianischen Künstler Artur Lescher gefeiert. Die traditionelle zweite Ausstellung des Museums für Konkrete und Konstruktive Kunst ist ebenfalls in Brasilien zu verorten: Es geht um die Rolle von Max Bill bei der Entstehung des Neoconcretismo. Und bei der Vernissage wurde noch etwas gefeiert: die allererste Zusammenarbeit des Museums Haus Konstruktiv mit dem Zürcher Kunsthaus, welches demnächst eine Retrospektive der brasilianischen Künstlerin Lygia Clark eröffnet. Sie ist eine der wichtigsten Vertreterinnen des Neoconcretismo.

Artur Lescher: Entangled Fields. Ausstellungsansicht, Haus Konstruktiv 2025, Courtesy Studio Artur Lescher, © Artur Lescher. Foto: Stefan Altenburger

«Was du siehst, ist was du siehst», definiert Artur Lescher die konkrete Kunst, die in seinem Fall ein weiter Kosmos ist. Mit «Entangled Fields» (verschränkte, verschlaufte Felder) bezieht sich Lescher auf Astrophysik und Quantenmechanik, er deutet darauf hin, dass alles mit allem in Verbindung steht. Konkret geht es um Pendel aus Holz, Eisen, Kupfer, Stein und anderen Materialien, die den Ausstellungsraum in eine Art Tanzboden verwandeln, in dessen Choreographie sich die Menschen zwischen den Objekten bewegen. Die Skulpturen hängen an feinen Fäden, die mit der Schwerkraft ebenso zum harten Material werden, wie etwa Eisen, das Lescher Hephaestos zuschreibt, während das weichere Kupfer zu Aphrodite gehört. Die beiden seien verheiratet, sagt er, also «entangled», untrennbar verbunden und verschränkt.

Artur Lescher und Sabine Schaschl, Direktorin Haus Konstruktiv. Foto: ec

Die Pendelskulpturen sind von höchster technischer Präzision, das Befragen ihrer Materialität verbindet das Rationale des Industriedesigns mit einer poetischen Sinnlichkeit. Der Künstler ist über ein Philosophiestudium zur Kunst gelangt, neben der sichtbaren Form geht es ihm auch um das Unwägbare, das Kosmische, die Vergänglichkeit. Mit der Arbeit V Sagittae verweist Lescher auf den Doppelstern, der in einigen Jahrzehnten zur Supernova wird. Sie besteht aus zwei Pendeln aus Messing und Multifilamentschnüren (Angelruten- oder Tennisschlägerbedarf), welche in einer Quadrat- und einer Kreisform der Wand entspringen, zur Decke fahren und den Pendeln, eins eckig, eins rund, als Aufhängung dienen: Der Galerieraum ist für Artur Lescher nicht nur der Ort, um Kunstwerke zu zeigen, sondern integrativer Bestandteil der Arbeit.

Artur Lescher: Zwischen den Zeilen. Detailansicht Haus Konstruktiv 2025. Courtesy Studio Artur Lescher und Nara Roesler Gallery, © Artur Lescher. Foto: Stefan Altenburger

Deshalb seine Forderung, den Durchgang zum Nachbarraum als Fenster zu gestalten. Der Durchblick auf eine Art Schweizerkreuz aus roten Schnüren auf weisse Wand eröffnet sich. Der Raum – betretbar durch die andere Ausstellung ist ein integraler Bestandteil der Installation «Zwischen den Zeilen», die Lescher genau für diesen Ort geschaffen hat. Gespannt werden die zwei Bahnen aus roten Schnüren – die eine horizontal, die andere über Boden und Decke – durch goldglänzende Metallstäbe. Können die Fäden wie Saiten bespielt werden? Sie berühren nirgendwo Wände oder Boden.

Max Bil: Quinze variations sur un même thème, 1938,  Sammlung Museum Haus Konstruktiv. © 2025, ProLitteris, Zürich. Foto: Stefan Altenburger

Artur Lescher ist der 18. Preisträger des Zurich Art Prize, neben einer Preissumme von 20’000 Franken für den Künstler besteht er aus einem grosszügigen Betrag für die Ausstellung im Haus Konstruktiv. Mit der Notwendigkeit, den zweiten Lescherraum nur durch die Ausstellung Konkrete Kunst.Neoconcretismo zu erreichen, verweist Lescher auf seine künstlerischen Wurzeln. Und damit auch auf Max Bill, der 1951 in São Paulo eine Ausstellung hatte. Höhepunkt war die Skulptur dreiteilige einheit, die auf dem Prinzip der Endlosschleife basiert.

Kuratorin Evelyne Bucher spricht neben der Skulptur dreiteilige einheit von Max Bill über «Wirken und Wirkung der Zürcher Konkreten in Brasilien». Foto: ec

In Zürich steht nun eine Fassung aus Bronze, das Original aus Chromstahl wurde damals vom Museu de Arte Moderna in São Paulo angekauft, nachdem das Werk bei der 1. Bienal de São Paulo den Grand Prix für Plastik bekommen hatte. Um dieses Werk hat Kuratorin Evelyne Bucher Malereien und weitere Plastiken von Max Bill angeordnet, welche teils damals in Brasilien gezeigt worden waren.

Konkrete Kunst. Neoconcretismo, Ausstellungsansicht Haus Konstruktiv, 2025. © 2025, Pro
Litteris, Zürich. Foto: Stefan Altenburger

Ein Amuse Bouche von Lygia Clark, die damals von Max Bill in das Geheimnis des Möbiusbands eingeweiht wurde, ist Verweis auf die grosse Ausstellung im Kunsthaus. Clark hat mit weiteren Kollegen eine Neuinterpretation der rationalen Konzepte von konkreter, also auch objektiver Kunst angestrebt. Der Neonocretismo nutzt zwar weiterhin das geometrische Vokabular, aber die Kunstwerke sollen mit allen Sinnen erlebbar sein, auch anfassbar und veränderbar, aktive Beteiligung und Intuition sind gefragt, wie in der Berliner Ausstellung der weltberühmten Brasilianerin diesen Sommer zu erleben war.

Im Durchgang zwischen den beiden Ausstellungen hängt ein grosses Holzpendel von Lescher, welches sich bewegt, wenn Menschen vorbeischreiten, sprechen und so etwas Wind machen. An den Wänden ist die Geschichte der Kunst in Brasilien von der Autonomiebewegung in den 20er Jahren bis zum Neoconcretismo mit Fotos und Texten dokumentiert.

Handarbeit mit Schere und Papier: Wichtig ist entscheiden beim schneiden. Foto: ec

Und am Arbeitstisch kann auf Ulmer Hockern von Max Bill mit Schere, Klebband und Papierstreifen ein Möbiusband erstellt werden: Dank der Anleitung von Lygia Clark basteln grosse und kleine Besucher eine Endloschleife, diese faszinierende Form ohne Anfang und Ende.

Titelbild: Artur Lescher, Gewinner Zurich Art Prize 2025. Courtesy der Künstler. Foto: Bettina Diel

 

 

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