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Künstler und Querkopf

Zum 80. Geburtstag des Solothurner Künstlers Schang Hutter gibt es in Bern eine eindrückliche Retrospektive

„Der Verletzlichkeit Raum geben“, das ist das Grundthema des gelernten Steinbildhauers, welches ihn durch sein ganzes Leben begleitet hat. Schang Hutter, am 11. August 1934 geboren, kam als junger Erwachsener nach München an die Akademie. Es war eine kaputte Stadt, Hutter erinnert unzählige Beinprothesen in der Garderobe des Stadtbads, und alle seine Studienkollegen erzählten sich ihre Geschichten aus dem Krieg. Geboren sei er in Solothurn, pflegt Hutter zu sagen, auf die Welt gekommen sei er in München, also da, wo er sein Thema angesichts der Versehrtheit rundherum fand.

Der Verletzlichkeit Raum geben – Installation

Im Grunde wollte Hutter so arbeiten wie sein Vorbild Karl Geiser, nämlich schöne Menschenfiguren schaffen. Aber als er gewahr wurde, dass der Krieg, das „gegenseitige Umbringen“nie ende, und dass dem nichts entgegenzusetzen sei, war er nahe daran, aufzugeben. Geheilt habe ihn seine Parisreise, sagte er dem Vernissagepublikum: er wollte Alberto Giacometti begegnen, fuhr per Autostop nach Paris, stand vor der Ateliertür, wagte aber nicht anzuklopfen und stöppelte zurück nachhause. Dann kam der Durchbruch mit Beate – einmal die in München, dann die Solothurner Beate, welche er vor einer Skulptur der anderen kennenlernte: Merkmal war der runde Kopf, die spitze Nase und die grossen Ohren. Zuerst figürlich, dann immer abstrakter begleitete ihn die Figur durch sein ganzes Künstlerdasein.

Zweimal Beate. Foto © Caroline Obrecht

In der Berner Schau lässt sich verfolgen, wie sich der Künstler Hutter mit seiner Figur konsequent entwickelt hat, ohne das aufzugeben, was am Beginn war: eine verletzliche menschliche Figur mit einer fast lächerlichen Pinocchio-Nase, mit einem staunenden, oft lächelnden Ausdruck und Ohren, die genau hören wollen. Es ist fast ein Wunder, dass diese grosse Retrospektive genau zum achtzigsten Geburtstag eröffnet werden konnte, aber es hat auch mit Schang Hutters Konsequenz und seinem unermüdlichen Arbeitswillen zu tun. Als die beiden Ausstellungsproduzentinnen Ute Winselmann Adatte und Marianne Reich Arn vor zwei Jahren die Jubiläumsschau anregten, habe Schang Hutter eine Bedingung gestellt: der Raum müsse gross genug sein, um sein Himmelsgras zu zeigen, eine fragile Installation, welche zu Tode gekommenen jungen Soldaten zugedacht ist.

Himmelsgras im Tramdepot während der Vernissage am 10. August

Die Suche nach diesem speziellen Raum führte schliesslich zu einem Abbruchobjekt in Bern: Bis zum 10. November ist das Himmelsgras zusammen mit der Schlachtfeldbühne und der dritten grossen Installation, eben,der Verletzlichkeit Raum geben im Berner Tramdepot Burgernziel zu sehen, selbstverständlich ergänzt durch eine umfassende und fast ist man geneigt zu sagen, genial gehängte und komponierte Rückschau auf fünfzig Jahre Kunstschaffen von Schang Hutter.

Gezeichnet und geformt – Hutters Figur

Klar, dass der umtriebige Berner Stadtpräsident Alexandr Tschäppät bei seiner Vernissagenansprache den Solothurner damit begrüsste, dass er die richtige Stadt gewählt habe, die schönste und politisch am nächsten stehende, wo 73 Prozent im Februar die Masseneinwanderungsinitiative abgelehnt hatten. Tschäppät erinnerte jedoch auch daran, wie Schang Hutter – verzweifelt und enttäuscht von dem courant normal der Politiker – seine Plastik Shoah in einer Nacht- und Nebel-Aktion vors Bundeshaus stellen liess. Der Hype in den Medien war riesig, mit dem Werk dagegen kam kaum eine Auseinandersetzung zustande. Nun ist der besprayte Quader mit der eingezwängten fragilen Figur wieder da: auf einem Tramgleis vor dem Depot – oder sind es doch die Bahnschienen von Auschwitz?

Schang Hutter, engagierter SP-Ex-Ständeratskandidat in den 80er Jahren, der bei den Wahlen leider scheitern musste, umtriebiger Vermittler zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland und Schöpfer von Kunstwerken, mit denen er auf die Gesellschaft reagiert, anklagt, hinweist aufruft, Schang Hutter macht engagierte Kunst – bis heute. Die Figuren sind stark abstrahiert – sie tragen Masken, meint der Künstler, damit sie nicht ein Individuum darstellen, sondern den Menschen. Sie haben gebrochene Glieder, sind Opfer, oder sie haben lange Arme, die ein Gegenüber suchen, sie achten aufeinander.

Der 80jährige Künstler Schang Hutter freut sich über eine Standing Ovation seiner Vernissage-Gäste.

Wer Hutters Werk kennt, freut sich an der Wiederbegegnung mit den unzähligen Zeichnungen und grafischen Arbeiten, welche an den Wänden die Figuren aus Holz, Gips oder Metall umfassen. Wer sich noch nie mit Schang Hutter auseinandersetzte, erlebt im Tramdepot Burgernziel, was es bedeutet, wenn einer gradlinig und aufmerksam ein Leben lang macht, was es muss, nämlich sich in unserer „Wohlfühloase“ (Tschäppät) für Gerechtigkeit und Menschlichkeit mit den Mitteln der Kunst einzusetzen.

Bis 10. November. Öffnungszeiten: Do und Fr. 15-19 Uhr, Sa und So 10-17 Uhr
www.hutter2014.ch

Zum Jubiläum ist ein Bildband erschienen: 
Hanspeter Gschwend: Schang Hutter. Der Verletzlichkeit Raum geben. Till Schaap Edition, Bern 2014
Buchvernissage: 24. August 15 Uhr in der Ausstellung

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