StartseiteMagazinGesellschaftAlte Leute kosten Geld – immer mehr Geld

Alte Leute kosten Geld – immer mehr Geld

Ein neues Modell zur Finanzierung von Pflege und Betreuung im Alter – vorgestellt von Senesuisse

In der Schweiz hat eins von zwei Neugeborenen die Chance, über hundert Jahre alt zu werden. Die Schweiz hat mit 83 Jahren die durchschnittlich höchste Lebenserwartung aller OECD-Länder. So führte der Präsident von Senesuisse (Verband wirtschaftlich unabhängiger Alters- und Pflegeeinrichtungen Schweiz) Clovis Défago die Tagung im Gottlieb Duttweiler Institut GDI, Rüschlikon, ein, bei der es um ein Finanzierungsmodell der Altenpflege für die Zukunft ging.

Heute gibt es eine Pflegeheimliste und ein sehr kompliziertes Finanzierungsmodell, welches zum Geld verbrauchen anheizt, dafür ist das Selbstbestimmungsrecht fürs Wohnen im hohen Alter stark eingeschränkt. Also Zeit für neue Denkmodelle.

Kreative Zukunftsphantasie von 1910 für den Salon im Jahr 2000

GDI-Hausherr David Bosshart entwarf zunächst eine schöne neue Welt mit Robotern und smarten Maschinen, die uns rund um die Uhr unterstützen. Spätestens 2030, wenn jeder Berufstätige für einen Rentner aufkommen muss, braucht es Automatisierung. Japan sei bereits weiter, beispielsweise mit Fütterungsautomaten, gesteuert von jenen, die gefüttert werden wollen, dann wenn sie wollen, statt dann, wenn die Pflegeperson es unter Zeitdruck tun will.

Trendforscher David Bosshart vom GDI

Weil die Arbeitskraft immer teurer werde, brauche es kreative Lösungen für die Finanzierung, und dazu gehörten intelligente Maschinen, welche die Menschen in einer immer komplexeren Gesellschaft als zweites Gehirn beim Entscheiden unterstützen. Beim Senken von Pflegekosten wird Roboter einsetzen unvermeidlich, sagt Trendforscher David Bosshart, wie und wo einsetzen, sei die Frage.

Handfester geht es weiter mit dem Finanzierungsmodell, vorgestellt vom Geschäftsführer der Senesuisse Christian Streit: Heute braucht das Abrechnen eines einzigen Pflegetags wegen des komplizierten Systems, bei dem sich die Aufwendungen auf mehrere Kostenträger verteilen, viel Zeit – administrative Arbeit statt Zuwendung, fasst Streit die Ausgangslage zusammen. Als Beispiel: Was ist bei einem Pflegebett als Pflegekosten zu verrechnen, was als Hotelleriekosten? Die heutige Finanzierung gibt Fehlanreize:

– Die Gesundheitskosten steigen, weil das System animiert, möglichst viel zu konsumieren – zur Freude der Leistungserbringer – mehr Leistung bringt mehr Profit.

– Da der Staat mit Ergänzungsleistungen einspringt, wenn nur ungenügende Eigenmittel da sind, reizt es manche, ihr Alterskapital zu verjubeln, so lange sie noch fit sind.

– Spitex-Leistungen werden von Bezügern der Heimpflege vorgezogen, weil sie dafür weniger zahlen müssen. Die maximale Patientenbeteiligung bei ambulanter Pflege beträgt heute 15.95 Franken pro Tag, bei Heimpflege 21.60 Franken, aber schon bei 60 bis 90 Minuten Spitex täglich fallen höhere Kosten an als im Heim. Die intransparente Finanzierung mit den vielen Kostenträgern führt auch zu überhöhten Hotelkosten. So wird Essen im Bett als Pflegeleistung abgerechnet, einen Bewohner aber zum Essen in den Speisesaal begleiten lediglich als Betreuung in Rechnung gestellt Diese Details führt Jérôme Cosandey von Avenir Suisse aus, der an der Studie mitgearbeitet hat.

Ein Saal voll aufmerksamer Fachleute in Sachen Alterspflege im GDI

Beim neuen Modell geht es um eine radikale Umkehr der Finanzierung: Statt dass die Leistungserbringer finanziert werden, steht die Subjektfinanzierung im Zentrum:

Der Pflegebedürftige wird finanziert, und er hat Wahlfreiheit. Er wählt die beste Leistung, was konkret zur Schliessung schlechter Angebote führen muss. Durch die Eigenverantwortung wird der Anreiz, mehr zu konsumieren als nötig verhindert. Es gibt keine Pflegeheimlisten, sondern freier Wettbewerb. Planung wird überflüssig, aber Qualitätskontrolle muss sein. Die Kantone lizenzieren und überwachen die Leistungsträger – die Anforderungen sind möglichst identisch in der ganzen Schweiz.

Die druckfrische Broschüre über ein neues Modell zur Pflegefinanzierung im Alter 

Konkret umgesetzt soll dieses Modell durch eine einfache Abrechnung über die Kantone werden, unter Verzicht auf die Kostenbeteiligung der Krankenkassen (welche dafür in der Spitalfinanzierung mehr leisten werden). So entfällt auch das unheilvolle Auseinanderdividieren was Pflege- und was Betreuungsleistung ist. Für das Wohnen und Essen wird die erste und zweite Säule sowie das Vermögen des Pflegebedürftigen beigezogen.

Eine obligatorische Pflegekapitalfinanzierung, ähnlich der zweiten Säule soll es bringen. Gespart wird vom 55. Altersjahr an – dann beginnen die Menschen ans Alter zu denken und viele von ihnen können erben. Was von diesem Pflegesparkapital schliesslich nicht konsumiert wird, geht an die Erben, nicht an die Solidargemeinschaft wie bei der zweiten Säule. Die Sparquote läge bei astronomisch erscheinenden rund 285 Franken pro Monat. Aber im Gegenzug müssten die Krankenkassenbeiträge sinken, und der Staat, also der Steuerzahler würde entlastet. Selbstverständlich haben die Erfinder den Solidaritätsgedanken für finanzschwache Mitmenschen nicht vergessen – sie bekommen heute ja auch einen Teil der Krankenkassenprämie erlassen.

Eine weitere Facette beim Andenken des Themas Kostenreduktion bei der Altenbetreuung brachte Reinhold Harringer von der Zeitvorsorge St. Gallen ins Spiel: Zwar ist Freiwilligenleistung hier und dort bereits organisiert, aber in St. Gallen wird sie nun mit finanzieller Unterstützung der Stadt so ausgebaut, dass man für seine Leistungen bei hilfsbedürftigen Menschen nicht Geld, sondern Zeitgutschriften ansparen kann, die man später, wenn man selber Hilfe braucht, wieder einlösen darf. Das Ziel ist nicht nur ein finanzpolitisches, sondern auch ein gesellschaftspolitisches: es bringt Menschen in Kontakt, steuert der Vereinsamung.

Philosoph Wilhelm Schmid redet an Gottlieb Duttweilers Schreibtisch über Gelassenheit im Alter

Ganz zum Schluss der Tagung – der Anfangsschock mit den pflegenden Robotern sitzt bei den Pflegefachfrauen, Managern von Altersheimen und Behördenmitgliedern immer noch tief, die Unsicherheit über eine weitere obligatorische Versicherung beschäftigt nachhaltig – bringt der Philosoph Wilhelm Schmid aus Berlin alle wieder auf den Boden der Gelassenheit:

Wir seien „in einem Experimentierstadium mit dem älter werden wie keine Generation vor uns,“ sagt er und erläutert seine zehn Punkte, wie man Gelassenheit erwirbt, begonnen mit dem Nachdenken über die verschiedenen Phasen des Lebens.

Zufrieden in der aktuellen Lebensphase leben wollen

In Stichworten: Die aktuelle Lebensphase auch leben wollen; akzeptieren, dass man älter wird; Gewohnheiten pflegen (kostet keine Kraft); Genuss von Lüsten (vom Wein übers Erzählen bis zum Sex); Dinge hinnehmen können, auch die Melancholie als Bestandteil des Lebens; Berührung suchen und zwar körperliche, seelische, geistige; Beziehungen wie Freundschaft, Partnerschaft oder zu Kindern pflegen; Besinnung auf den Sinn des Lebens; die Grenze des Lebens bedenken; sich Gedanken über das Danach machen. Zum Sterben sagt Schmid: die Energie gehe weg (die elektrische der Hirnströme, die Wärme), aber sie werde nicht vernichtet, sie werde verwandelt; „nur das Ich verschwindet, sonst nichts.“

Fotos © Eva Caflisch

http://www.senesuisse.ch/index.php/de/

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