Der Regisseur Bastian Kraft inszeniert Max Frischs Roman «Homo Faber» am Schauspielhaus Zürich als morbides Laufbanddrama.
Das Leben, die Zukunft, die Welt – Walter Faber hat alles im Griff. Als Ingenieur belächelt er Menschen, die sich von Naturphänomenen aus der Ruhe bringen lassen und kann nicht verstehen, was andere am Schicksal finden. Doch ausgerechnet Faber gerät aus dem Tritt. Zufälle bringen seine Ordnung durcheinander. Er schlägt ungewohnte, nicht planbare Wege ein, lässt sich treiben, verliebt sich in die junge Sabeth, begleitet sie auf ihrer Reise durch Europa und findet sich selbst auf einer Reise in die Vergangenheit wieder: Sabeth ist seine Tochter. Faber verdrängt diese Wahrheit. Doch dann geschieht ein tragischer Unfall und Walter und seine ehemalige Geliebte Hanna treffen sich am Sterbebett ihrer gemeinsamen Tochter wieder.
Nichts an Aktualität verloren
Max Frischs «Homo Faber» gehört zu den berühmtesten männlichen Figuren der Weltliteratur. Sein Roman ist die vorzüglich erzählte Beichte eines Egomanen, eines Machos, dessen Weltsicht heute, 60 Jahre nach dem Erscheinen, nichts an Aktualität verloren hat. In seinem Glauben an Technik und Beherrschbarkeit muss Faber am Ende erkennen, im Kampf gegen das Schicksal sein Leben verpasst zu haben. Der Regisseur Bastian Kraft, der in Zürich zuletzt Frischs «Andorra» inszeniert hat, erzählt die Geschichte in Rückblenden und lehnt sich damit dramaturgisch eng an den Roman an. Er inszeniert das Stück als morbides Laufbanddrama.
Ein Ödipus in Ketten: Matthias Neukirch als Walter Faber.
Die Schauspieler agieren auf einem breiten Laufband, das je nach Fortgang der Geschichte mal schnell, mal langsam rotiert oder ganz stillsteht und so die Zerrissenheit seiner Figuren deutlich macht. Über ihren Köpfen ist ein riesiger Spiegel angebracht, der die Handlung auf dem Laufband reflektiert (Bühnenbild: Peter Baur). Auf der Bühne live gespielter Schlagzeug-Soundtrack (Arthur Fussy) verstärkt das frostige Geschehen. In Grossaufnahmen werden einzelne Szenen videoästhetisch übermalt.
«Ich glaube nicht an Fügung und Schicksal»
Walter Faber betritt die Szenerie als eleganter Anzugmann, läuft auf dem Laufband seine Kilometer ab, gibt den prototypischen Technokraten, wird nicht müde zu betonen, wie einseitig technisch veranlagt er ist, dass er von Mystik und Sentimentalität nichts hält. «Ich glaube nicht an Fügung und Schicksal, als Techniker bin ich gewohnt, mit den Formeln der Wahrscheinlichkeit zu rechnen.» So nüchtern antwortet er auf alle Unberechenbarkeiten des Lebens. Dabei hat er gerade eine Notlandung in der mexikanischen Wüste überlebt. Dann trifft ihn das Schicksal in Form einer klassischen Tragödie. Er verliebt sich in seine Tochter, von der er nicht weiss, dass sie seine Tochter ist, und als er etwas zu ahnen beginnt, ist es schon zu spät.
Videoästhetisch übermalt: Dagna Litzenberger Vinet als Sabeth und Matthias Neukirch als Walter Faber (Fotos: Toni Suter / T+T Fotografie)
Matthias Neukirch spielt seinen Homo Faber mit spröder Morbidität, um ihn später umso lockerer und lustgreisiger werden zu lassen. Seine Gefühlswelt ist jedenfalls ein einziges Chaos, das er sehr differenziert und glaubwürdig darzustellen weiss: ein Ödipus in Ketten, ein Kindsvater wider Willen, ein Scheiternder, der sich keiner Schuld bewusst ist und diese doch auf sich nimmt. Eine grossartige Vorstellung.
Stille Beobachterin am Laufbandrand
Dagna Litzenberger Vinets Sabeth präsentiert die weibliche Unschuld, die jugendliche Natürlichkeit und Verführbarkeit äusserst zurückhaltend, etwas gar farblos. Lena Schwarz reagiert als Mutter Hanna auf das intime Vater-Tochter-Verhältnis panisch, hat sie doch als Übermutter das Kind ganz für sich alleine beansprucht, weshalb es ja auch erst zum Inzest kommen konnte. Tragik pur. Ansonsten dominiert sie in adrettem Anzug und in bewusster Eleganz als stille Beobachterin und gestrenge Ex-Flamme am Laufbandrand mit eigenem Pult das Geschehen, dirigiert scheinbar Fabers Rückblenden als heimliche Regisseurin. Grandios ist der Auftritt Miriam Maertens als Geliebte Ivy und singendes Showgirl im dunkelroten Glitzerkleid.
Bastian Kraft bietet mit «Homo Faber» wieder einen gelungenen Theaterabend. Er zeigt eine durchwegs zeitgemässe Umsetzung dieses schwierigen Stoffs in eine rasante, mitreissende und sprachlich glänzende Aufführung. Dafür gabs am Premierenabend grossen Applaus.
Weitere Spieldaten: 6., 10., 12., 16., 18., 20., 27. Oktober, 5., 8., 11., 15., 18. November