StartseiteMagazinGesellschaftEin Zentrum für rätoromanische Musik

Ein Zentrum für rätoromanische Musik

In Mathon, einem Bergdorf im Park Beverin, soll ein Haus des Liedes entstehen

In der Bauernstube mit grossem Ofen stehen die Pantoffeln aus kariertem Wollstoff vor der Liege mit der Decke aus gestrickten Restwolle-Quadraten bereit zum Reinschlüpfen. Auf dem Tisch in der Fensterecke liegt eine Geige samt Kasten – spielbereit.

Aquarelle an den Wänden, Bücher und Schriften auf der Sitzbank – hier hat Tumasch Dolf gelebt

An der einen Wand hängt die Uhr mit Email-Zifferblatt , auf den Tellerregalen des Buffets gibt es eine kleine Ausstellung mit Zeichnungen und Aquarellen und gegenüber hängt schön gerahmt das Konfirmandengeschenk für Thomas Dolf, der als Tumasch Dolf (1889-1963) mit Unterbrüchen hier lebte und wirkte. Lehrer, Schulmusiker, Liedersammler, Autor und Komponist rätoromanischer Lieder, darunter die Schlager aus dem Great Romansh Songbook wie Allas Steilas. Tumasch Dolf war engagierter Musiker und engagierter Förderer des Rätoromanischen, vor allem seines Idioms, des Sutsilvan, welches nur noch im Schamsgesprochen wird. Sein Sohn Benedikt Dolf (1918-1985) setzte diese Arbeit als professioneller Komponist und Interpret fort.

Nebenan in der Kammer eine umfangreiche, eher chaotisch wirkende Bibliothek, bei deren Anblick manch ein Besucher spitze Finger bekommen könnte. Zu Besuch sind die Mitglieder des Bündner Heimatschutzes, der seine Jahresversammlung wegen des Dolf-Hauses nach Mathon am Schamserberg verlegt hat, sowie interessierte Einwohner.

Nebenkammer oder eher Wunderkammer – die Bibliothek von Tumasch Dolf mit Butterfass

Nach jahrzehntelangem Leerstand soll das Haus wieder leben: eine Existenz als Tgea da Tgánt(Haus des Liedes) wird ihm von den Erben, der Verwaltung des Naturparks Beverin und dem Bündner Heimatschutz zugedacht. Bereits gibt es eine Makette und ein Konzept, wie diese Herberge des rätoromanischen Chorgesangs aussehen soll: Der Stall wird Probelokal für Chöre, unterm Dach des Wohnhauses gibt es eine kleine Atelierwohnung, im Wohngeschoss soll eine Daueraustellung zu Tumasch Dolf und zum rätoromanischen Liedgut samt Dokumentationsstelle entstehen. Ausser Chören, die hier ihre Chorwochenenden verbringen werden, wird das kleine Museum Forscher und Fans des romanischen Liedguts anziehen und – so hoffen die Projektverantwortlichen – dereinst zum Katalog der Sehenswürdigkeiten der Region zählen.

Das Tumasch-Dolf-Haus wurde in sechs Jahrhunderten immer wieder umgebaut

Erste Ergebnisse der verworrene Baugeschichte kann der Archäologische Dienst des Kantons vorlegen. Der gemauerte Sockel , heute ein hoher Kellerraum, wurde 1463 erstellt, darauf wurde später ein Strickbau erstellt, dessen Balken gemäss dendrochronologischer Untersuchung auf 1570 sowie 1621 datiert werden können. Dann bleibt im Dunkeln, was wann an- oder umgebaut wurde, bis 1809 der grosse Stall auf der Nordseite erstellt wurde. 1834 wurde der Wohntrakt vergrössert, 1876 bekam das Haus den gemauerten Riegelmantel und somit mehr oder weniger sein aktuelles Gesicht: Der kleine Kernbau war zum Doppelwohnhaus ausgebaut worden. Architektonisch sei das Dolf-Haus nicht besonders wertvoll, sagt Michael Hemmi, der als Architekt im Auftrag des Heimatschutzes den Projektentwurf verantwortet. Aber es ist für das Dorfbild von Bedeutung, also erhaltenswert.

Kleine Dörfer abseits der grossen Touristenorte verfügen oft über schützenswerte Ortsbilder. Die wurden in einem aufwendigen Projekt des Bundes, dem ISOS, katalogisiert. Das Mathoner Ortsbild gilt als regional bedeutend. Wie gut der Schutz dieser Ortsbilder ist, hängt vor allem von der Sorgfalt ab, wie Gemeinde und Baubehörden Neues in die erhaltene Bausubstanz einfügen. Das erläutern die Fachleute vom Heimatschutz anhand von Mathon am Schamserberg. In der Gemeinde mit rund einem halben Hundert Einwohnern, vorwiegend Bauernfamilien, stehen grosse, moderne Ställe am Dorfrand, einer gar mittendrin, aber der Ortskern ist immer noch weitgehend intakt. Mathon ist ein typisches alpines Dorf, eins mit einer grossen Barockkirche, aber leider ohne Schule. Diese wurde umgebaut zu einem Gruppen-Ferienhaus. Falls das Millionenprojekt Tgea da Tgánt zustande kommt, ist es als Unterkunft für Chorsängerinnen und -sänger mehr als nützlich.

Mitglieder vom Bündner Heimatschutz lassen sich über das Tumasch-Dolf-Haus informieren

Weitere Umbauten und Renovationen im Dorfkern könnten ein Umdenken auch jener Mathoner bewirken, denen immer breitere Strassen für die Landwirtschaftsmaschinen, die immer grösser werden, und immer mehr Raum für Parkplätze und die Schneeräumung entscheidende Kriterien für den Dorfzentrumsausbau sind. „Die Herausforderung besteht darin,“ sagt Ludmila Seifert, Geschäftsführerin des Bündner Heimatschutzes, „die historischen Häuser in zeitgemässem Sinne aufzuwerten, ohne sie zu zerstören.“ Ausserdem sei der Kauf und Ausbau einer Stallscheune oder eines schützenswerten Wohnhauses der legale Weg, zu einer Zweitwohnung zu kommen, auch wenn das Kontingent von 20 Prozent (wie in Mathon) weit übertroffen ist. Seifert verweist auf eine Bestimmung des Zweitwohnungsgesetzes, wonach „ortsbildprägende“ Bauten innerhalb der Bauzone zu Ferienzwecken umgenutzt werden können, wenn keine andere Möglichkeit für ihre Erhaltung besteht. Die Möglichkeit des Ausbaus allerdings ist an strenge Auflagen geknüpft. So muss die Struktur des Baus erhalten bleiben und der Schutzwert des Objekts darf nicht verloren gehen.

Als Ferienhaus umgebaute Stallscheune im Dorfkern von Mathon

Zwei Ställe wurden mittlerweile so umgebaut, dass die äussere Struktur kaum etwas vom Innenleben preisgibt. Der eine hat zwar Panoramascheiben, die nur selten hinter Holztoren verborgen werden, der andere dagegen ist ein Beispiel, wie es sich auch ohne grosse Fenster in der Fassade in einem Strickbau bei Tageslicht gut leben und arbeiten lässt. Sowohl Severin Hausenbaurs „Erstling“ nach dem Studium als auch der aussergewöhnliche Atelier-Stall des Architekturbüros haratori aus Zürich wurden in Fachzeitschriften gewürdigt. Noch gibt es weitere alte Ställe im Dorf, die nicht mehr gebraucht und zu Wohnzwecken aufgewertet werden könnten.

So könnte die Tgea da Tgánt dereinst aussehen (Modell von Michael Hemmi)

Auch beim Haus Dolf bleibt die Stallscheune mit dem historischen Bauernhaus als Ensemble erhalten. Die Machbarkeitsstudie, verantwortet vom Bündner Heimatschutz, und der Umbauvorschlag des Architekten Michael Hemmi überzeugten die Programmverantwortlichen, die sich nun ans Geldbeschaffen machen. Das Haus des Liedes wird einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der strukturschwachen Region Schamserberg leisten. Es wird über die regionalen Grenzen ausstrahlen und ein Publikum anziehen, welches hoch schätzt, dass in einem Naturpark die Natur nicht nur zur Unterlage für sportliche Aktivitäten degradiert wird, also zum Freizeitpark für Biker, Freerider oder Jäger verkommt, sondern auch Kulturelles, hier konkret Musikalisches seinen Platz hat – ganz im Sinne der keineswegs bildungsfernen Tradition der Bergdörfer.

Links:
Naturpark Beverin
Mathon

Fotos: Eva Caflisch

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