Pressefotograf Klaus Miklós Rózsa wurde dreimal nicht eingebürgert, weshalb, dokumentiert der Film Staaatenlos
Am Anfang von Staatenlos steht eine Freundschaft: Erich Schmid, einst Fernseh-Reporter, und Klaus Rózsa, Fotograf, lernten sich in der Helvti, einem Restaurant im Kreis 4, kennen, und Schmid engagierte den Bildermacher in den 80er Jahren als Kameramann für eine Reportage in Sri Lanka. Von den Schwierigkeiten einesStaatenlosen, Reisepapiere zu bekommen, hatte er nichts geahnt. Irgendwie kam Rózsa zu den nötigen Dokumenten, und das Projekt konnte in Angriff genommen werden. Seither sind Jahrzehnte vergangen. Erich Schmid ist Filmautor, der sich hartnäckig in politische Porträts von Menschen im Abseits (Er nannte sich Surava, Meier 19) verbeisst.
Nur Polizei und Staatsschutz kannten seine jüdische Herkunft: Klaus erhielt anonyme Briefe mit antisemitischen Schmähungen
Dass ein Staatenloser, ein Linker, ein Jude nicht aufs Maul hockte, sondern immer wieder an vorderster Front auftauchte, zunächst als halbes Kind in den späten 60er Jahren bei der Heimkampagne und im Bunker, später bei der Jugendbewegung 1980 – zugleich Aktivist und Dokumentarist – diesem Leben wollte Erich Schmid auf die Spur kommen, und zugleich – so scheint es – gaben die Dreharbeiten Klaus Rózsa die Möglichkeit, seiner Biographie auf den Grund zu gehen. Er lebt heute mit seiner Schweizer Frau mehrheitlich in Budapest, wo 1956 seine Flucht in die Schweiz begann. Und er wurde fünf Jahre nach der Eheschliessung ganz normal eingebürgert. Zuvor hatte er sein ungarisches Bürgerrecht wieder erlangt.
Erich Schmid erzählt die Geschichte seines Freunds chronologisch: Die Deportationen der ungarischen Juden durch die Nazi, die Rückkehr von Vater Egon Rózsa aus Dachau, als einer der wenigen lebenslang versehrten Überlebenden, die Familiengründung, das Trauma des kleinen Miklos und seiner vier Jahre älteren Schwester Olga, als die Wohnung bei einerGranatenexplosion 1956 in Brand gerät, während die Kinder allein zuhause sind. Kurz darauf Flucht in die Schweiz, Versuche eines Neubeginns, doch erst in einer prekären Zürcher Unterkunft gelingt das der Familie. Daran erinnern sich Klaus und seine Schwester im längst umgebauten Hinterraum der einstigen koscheren Metzgerei im Kreis 4.
Egon Rózsa mit Klaus: Staatenlos, jüdisch und mit dem nackten Leben davongekommen
Unzählige Dokumente, Filmclips, Fotos hat Erich Schmid in dem Film verwertet, angefangen bei Kinderbildern bis zu jenen, die Ehefrau Susanne am 4. Juli 2008 vor dem Hardturmstadion bei einer (gerichtlich festgestellten nicht rechtmässigen)Festnahme von Rózsa knipste, oder Filmausschnitte vom Flüchtlingstrek 1956, vom brutalen katholischen Internat in Bayern, wo Klaus sein Abitur machen sollte, bis zu endlosen Aufnahmen Steine werfender Jugendlicher und prügelnder Polizisten.
Bei den Zürcher Jugendunruhen 1980-82 wurde Klaus Rózsa als „Rädelsführer“ präventiv verhaftet
Was bleibt: Ein mutiger, anwaltschaftlicher Dokumentarfilm, eine spannende Dokumentation über ein Stück Zürcher Geschichte und Politik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die Rückschau darauf im Gespräch mit dem Protagonisten sowie die Einordnung der damaligen Geschehnisse durch den Rechtsanwalt Franz Schumacher und den Bezirksanwalt Peter Meier, der damals kündigte, weil er die Verbiegung des Rechtsstaats nicht mehr vertreten konnte.
Beispiel: Klaus Rózsa wurde immer wieder inhaftiert, dennoch „reichte“ es nie zur Verurteilung des Pressefotografen. Dafür steht in einem Polizeibericht: „Hält Übergriffe der Polizei in allen Einzelheiten fest und behindert dadurch die Arbeit der Polizei.“Die Verursacher der „Übergriffe“, Knüppeln und Treten von wehrlosen Opfern, Tränengas-Spraystösse in den Kastenwagen mit Verhafteten undsoweiter, kamen meist ungeschoren davon.
Als Klaus Rózsa sein zweites Einbürgerungsgesuch stellte, wurde es abgelehnt, weil er vorbestraft sei. Zwar war es zuvor in letzter Instanz beim Bundesgericht zum Freispruch gekommen, aber die Meldung darüber gelangte nicht zum Stadtpräsidenten.
Natürlich hat Rózsa provoziert, trat als Redner in Vollversammlungen der Jugendbewegung auf, war immer vorn dabei, wenn es zu Konfrontationen kam. Klar war der Aktivist mit Kamera und Presseausweis für die Polizisten ein rotes Tuch, auf das sie sich stürzten wie der Stier auf die Mantilla, aber wer damals die Oberhand hatte, wird beschämend deutlich, wenn man in Rózsas Fotoarchiv nachschaut. So wundert es einen letztlich nicht, dass ihmvor laufender Kamera aus Polizistenmund der Tod gewünscht wird.
Justizgebäude in Zürich: Klaus Rózsa wurde in Dutzende Strafverfahren verwickelt, aber als Pressefotograf nie verurteilt
Der Film, dessen verschiedene Schauplätze simpel mit Fahrten im Auto oder im Zug verbunden werden und der auch das übliche Tabu nicht beachtet, dass ein Dokumentarfilm heute ohne Kommentar auskommen sollte, bringt jenen, die dabei waren oder die Geschehnisse in den Medien verfolgten, die unangenehme Einsicht, dass der Rechtsstaat damals in den Ruhestand getreten war. Wer noch zu jung war, wird sich wundern, wie gewalttätig der Staat damals auf die Forderungen der Jugendlichen reagierte. Dass die Eröffnung der Roten Fabrik als alternatives Kulturzentrum in diesen Kontext gehört, ist kaum mehr präsent.
Das Ende öffnet ein neues Kapitel: Rósza fragt sich in Budapest bei der Gedenkstätte für Carl Lutz, der als Vizekonsul im zweiten Weltkrieg 60‘000 Juden das Leben rettete und der von den Schweizer Behörden erst 1995 posthum rehabilitiert wurde, warum Lutz hierzulande totgeschwiegen wird.
Warum man Staatenlos sehen soll? Weil der Film ein Zeitzeugnis von gesellschaftlicher Relevanz ist, ein Lehrstück über den fragilen Rechtsstaat, auch weil er spannend und berührend ist, oder auch – wie es Strafrechtsprofessor Marcel Niggli, Freiburg, bei der Premiere sagte: „Weil es ein beschämender Film ist.“
Fotos: © Erich Schmid
Kinostart am 6. April:
Arthouse Movie 2, Zürich (Sonntagsmatinée und 18 Uhr bis Mittwoch)
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