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Zwingli war kein Zwinglianer

Zur Feier von 500 Jahren Reformation bekommt Zwingli ein neues Image

Für die Forschung ist nicht neu, dass Ulrich oder Huldrych Zwingli, wie er sich selbst nannte, ein Humanist mit weitgefächerter Bildung und Lebenslust war. Aber wir haben – beeinflusst vom zwinglianischen Zürich der Nachkriegszeit – im Kopf  vor allem das Bild eines sehr gestrengen, gewaltbereiten und sinnenfeindlichen Herrn im schwarzen Talar: Geprägt ist dieses Bild durch Gemälde, die lange nach seinem Tod entstanden sind, oder noch mehr durch die Statue hinter der Wasserkirche; trotz im letzten Moment beigefügter Bibel eine martialische Kriegsgurgel fürs Vaterländische im vorletzten Jahrhundert, geschaffen von Heinrich Natter 1885.

Einweihungsfeier der Zwinglistatue am 24. August 1885

Ulrich Zwingli liess zwar sein Leben auf dem Schlachtfeld (man muss annehmen, dass er schwer verwundet im zweiten Kappeler Krieg vom katholischen Gegner nach der Schlacht als Ketzer ermordet wurde), aber er wandte sich aufgrund seiner schrecklichen Erfahrungen als Feldprediger in Marignano vehement gegen die Reisläuferei und wehrte sich gegen Kriegstreiberei im Zeichen der Religion. Zwiespältig ist freilich seine Unterstützung der Kappeler Kriege.

Ulrich Zwingli, hochbegabter Sohn hablicher Toggenburger Bauern, der von Kind an für eine Kirchenlaufbahn vorgesehen war, studierte zunächst bei einem Onkel in Weesen, danach in Bern, Wien und Basel, er war gebildet, weltläufig und kulturell interessiert. Brutale Bilderstürmerei oder bigotte Verbote waren nicht seine Anliegen, sondern die Verbreitung des Evangeliums nach den Urtexten, das Verbot Götzen in Form von Bildern oder Statuen in Kirchen anzubeten und der soziale Ausgleich. Dank seiner Almosenverordnung von 1525 war nicht mehr nur die Kirche, sondern auch der Staat dazu verpflichtet, den Armen und Kranken zu helfen.

Zürcher Disputation von 1523 (Grafik um 1600): Zwingli gab in seinen Thesen schon damals die Lehre von der Wandlung beim Abendmahl auf

Zwei aktuelle Bücher über den Reformator, die dessen Image gründlich sanieren, seien genannt.

  • Peter Opitz: Ulrich Zwingli. Prophet, Ketzer, Pionier des Protestantismus, Verlag TVZ 2015, und
  • Franz Rueb: Zwingli. Widerständiger Geist mit politischem Instikt, Verlag Hier und Jetzt 2016.

Die Zwinglibibel im Original: «Die gantze Bibel der ursprünglichen Ebraischen und Griechischen waarheyt nach, auffs aller treüwlichest verteutschet.» Zürich, Froschauer 1531

Während der Kirchenhistoriker Opitz ein wissenschaftlich fundiertes, zugleich gut lesbares Buch über das Leben und Werk eines ethischen Menschen, der an Gott und an die Würde des Menschen glaubt, schrieb, sind Ruebs 250 Seiten eine spannende Erzählung aus dem Zürich des beginnenden 16. Jahrhunderts, aufgehängt an der Person des Reformators. Beide Bücher sind geeignet, in die Reformationszeit einzuführen. Hier sei näher auf das Buch des Journalisten Rueb eingegangen. Sein Anliegen war weniger, mit seinem Fachwissen zu trumpfen, als vielmehr, die Geschichte eines Gesellschaftsveränderers in einer spannenden, leicht verständlichen Sprache zu erzählen.

Die Fülle von Zitaten, Berichten und Namen, die Rueb beibringt, ist überwältigend, dennoch bleibt der Text lesbar, denn ausser Marginalien als Zwischentitel verzichtet der Autor auf Fussnoten, Quellenhinweisen in Klammern und andere, den Lesefluss hindernde Einschübe. Einzig eine Zeittafel und eine Literaturliste am Buchende verweisen auf Ruebs fundierte Kenntnis der Materie und seine intensive Auseinandersetzung damit. Dann und wann bedauert man, dass es keinen direkten Nachweis, kein Originalzitat in Latein oder Zwinglis „Teutsch“ samt Quellennachweis gibt. Ab und zu hat Rueb wohl auch Dialoge geschrieben, die so nirgends in seinen Quellen verbürgt sind. Es ergibt sich ein erzählerischer und farbiger Text über einen mutigen politischen Denker, der dem kritischen Altlinken Rueb lieb geworden ist im Lauf seiner Forschungen. Zwingli hatte das Gebot des Zölibats so wenig eingehalten wie zahllose andere Kleriker, aber er hat – so zitiert Rueb – weder von einer Jungfrau, noch einer Hure und schon gar nicht von einer verheirateten Frau Sex gewollt. Allerdings stand er zu seiner Not mit dem Zölibat und gab brieflich zu, in Einsiedeln eine Frau geschwängert zu haben. In Zürich lebte er zwei Jahre im heimlichen Konkubinat mit der Witwe eines Adligen aus dem Züribiet, bevor er seine hochschwangere Anna 1524 mit dem Segen des Rats der Stadt ehelichte. Zwei Jahre davor hatte er an einem Fastenfreitag beim Wurstessen in der Druckerei Froschauer mitgemacht und die Schrift Vom Erkiesen und Fryheit der Spysenveröffentlicht.

Zwingli war auch vielseitiger Musiker, er spielte alle gängigen Instrumente der Renaissance, schrieb Lieder und komponierte auch zu einem Aristophanes-Stück die Musik. Es wurde im Rahmen der Prophezei aufgeführt, der theologischen Lehranstalt, wo zur Schulung der Priester die Bibel hebräisch und griechisch gelesen und ausgelegt wurde. Humanist der Renaissance, der er war, korrespondierte Zwingli fleissig mit allen wichtigen Denkern im Umfeld der Reformation, unter anderem auch mit Erasmus von Rotterdam, den er nach Zürich locken wollte. Beide waren an einer Reform der Kirche interessiert, Erasmus aber lehnte den Bruch mit dem Papst ab.

Trotz langer Debatten wurden sich Luther und Zwingli bei der Marburger Disputation 1529 nicht einig

Wie wenn es erst gestern gewesen wäre, wird die grosse Marburger Disputation im Oktober 1529 geschildert, bei der sich Oekolampad, Melanchthon, Luther und Zwingli über die Kernfrage des Abendmahls auseinandersetzten. Eingeladen hatte zu diesen Schlichtungsgesprächen zwischen Wittenberg und Zürich der an einer Einheit aller reformierten Lande interessierte Landgraf Philipp von Hessen. Leider gelang die Versöhnung damals nicht, aber heute wird 500 Jahre Reformation ganz ökumenisch gefeiert.

Teaserbild: Hans Asper: Posthumes Bild von Ulrich Zwingli, 1549

Buchhinweis:
Franz Rueb: Zwingli.Widerständiger Geist mit politischem Instinkt. HIER UND JETZT Verlag, Baden 2016, 256 Seiten, 39 Franken

Mehr zum Reformationsjubiläum:
500Jahre Reformation
Ringvorlesung an der Universität Zürich

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