Junge Modeblogger auf Erkundungstour: Sebastian Nübling inszeniert am Schauspielhaus Zürich „Sweatshop – Deadly Fashion“ nach Texten von Güzin Kar.
Auf ihren Fashionblogs berichten Frida, Ludvig und Anniken über die Modetrends in Norwegen. Sie sind jung, extrovertiert und erfolgreich. Ob H&M, Fretex, Gina Tricot oder Vintage, sie wissen, wie man Kleidungsstücke kombiniert. Tausende Followers bestätigen ihren Geschmack. Aus Neugier verlassen die drei Fashionblogger ihre heile Welt und fliegen nach Kambodscha. Sie wollen sich selber ein Bild davon machen, wo und wie ihre Kleider hergestellt werden. In sogenannten Sweatshops arbeiten die Menschen zu unwürdigen Konditionen: keine Sozialleistungen und Fliessbandarbeit für einen Hungerlohn.
Furioses Theater-Kino-Spektakel
Die erfolgreiche, millionenfach gestreamte norwegische Doku-Serie «Sweatshops – Deadly Fashion» dient Regisseur Sebastian Nübling als Vorlage für eine turbulente Irrfahrt in die Unterwelt der Modeindustrie. Unter dem gleichlautenden Titel liefert er auf der Pfauenbühne ein furioses Theater-Kino-Spektakel, das seinesgleichen sucht, basierend auf Motiven der Doku-Serie und mit Texten der Zürcher Drehbuchautorin, Regisseurin und Kolumnistin Güzin Kar. Die Hauptrollen spielen jugendliche Darsteller des jungen Theater Basel, unterstützt von Schauspielern des Zürcher Schauspielhauses.
Die drei jugendlichen Modeblogger Ann Mayer, Lee-Ann Aerni und Lukas Stämpfli auf dem Laufsteg.
Anfänglich wird die konkurrierende Welt der drei Fashionblogger auf einem in den Zuschauerraum ragenden Laufsteg zelebriert. Ganz in modisches Weiss gekleidet, erlaufen die modesüchtigen Jugendlichen sich ihren Fame, palavern und wettstreiten über die neuesten Klamottentrends. Angesprochen auf die miesen Arbeitsverhältnisse in Kambodscha, reagieren sie anfänglich mit «Scheiss drauf». Dann aber tauschen sie ihr komfortables Leben mit dem Alltag in Kambodscha, schlüpfen in eine Art Modepavillon mit Aufzug (Bühnenbild: Dominic Huber).
Kauf-Rausch im Modepavillon
Ab jetzt ist Kino angesagt. Die drei Fashionblogger irren in gefilmten Gängen und Räumen umher, Ludvig jagt seiner verschwundenen Lieblingsjacke hinterher, dabei begegnen die drei allerlei skurrilen Gestalten, die einen im Kauf-Rausch, die andern in Malboro-Cowboys-Montur, die am Lagerfeuer Wirres über den Untergang der Welt schwafeln. Dazwischen taucht immer wieder ein Mädchen in Schwarz auf, das die drei stressigen Modesüchtigen mit Fakten der Modeindustrie konfrontiert wie, dass von einem T-Shirt, das bei uns für 29 Franken verkauft wird, die Arbeiterin nur 18 Rappen erhält, oder dass fast die Hälfte der gekauften Kleider nur ein einziges Mal angezogen wird.
Nähen zu einem Hungerlohn: Jasmin berichtet von ihrer Schwester in Vietnam. (Fotos: Tanja Dorendorf / TT Fotografie)
Nach dem schillernden Spuk im Modehaus – filmisch gekonnt inszeniert -, wird es ernst. Jasmin, wohlbehütet in der Schweiz aufgewachsen, tritt auf die Bühne, erzählt von ihrer Schwester in Vietnam, die seit dem 12. Lebensjahr zu einem Hungerlohn als Näherin arbeitet, derweil sie einen Haufen Kleidungsstücke an der ratternden Nähmaschine abarbeitet. Ein berührender Moment in der sonst so surrealen Wanderung durch die Glimmerwelt der trendbewussten Twens.
Parforceleistung an Verrenkungen
Grossartig ist der Auftritt der drei jungen Fashionblogger (Ann Mayer, Lee-Ann Aerni und Lukas Stämpfli), die auf dem Laufsteg eine Parforceleistung an Verrenkungen vollführen, poppige Reimsprüche von sich geben, quälend durch das Modelabyrinth mit klaustrophobischen Räumen irren, angesichts des ignorierten Leids in der globalisierten Modeindustrie sich mit der Frage der Verantwortung als junge Privilegierte auseinandersetzen und gar für den gänzlichen Verzicht plädieren. Grossartig auch die Auftritte von Vera Flück im Zalando-Kauf-Rausch auf dem Handy und von Markus Scheumann und Matthias Neukirch mit ihrer bitterbösen Weltuntergangsstimmung am Lagerfeuer.
Geboten wird insgesamt eine bunte, skurrile, stressige Modeblogwelt, durchzogen mit Fakten auf Grundlage dokumentarischer Recherche. Viele Momente sind beeindruckend und höchst unterhaltsam, doch als Gesamtes will dieser Abend nicht so richtig an Fahrt aufnehmen. Zunehmend Gewissensbisse über den Irrlauf der globalisierten Modeindustrie bekommt man nur schwerlich.
Weitere Spieldaten: 10., 14., 16., 19., 22., 28. Mai, 2., 4., 11., 18. Juni