Auf alten Handelswegen in Spanien (1): Von Pastrana bis Melque
In Spanien war ich noch nie. Wegen Franco in jungen Jahren nicht und als er gestorben war, eben auch nicht. Doch das Thema dieser Reise Auf alten Handelswegen von Toledo nach Sevilla der Reisehochschule hat mich neugierig gemacht. Die Reiseleiterin, die Kunsthistorikerin und Hispanistin Johanna Wirth, lernte ich im Januar als kompetente Referentin an der Volkshochschule kennen, als sie vorbereitende Kurse zur Reise anbot. Nicht das touristische Spanien stand auf dem Programm, sondern bekannte, aber auch kaum bekannte kleinere und grössere Orte entlang der alten Handelsrouten, auf denen wir in zehn Tagen die Kulturgeschichte, auch die Kulinarik, kennenlernen durften.
Alte Paläste zeugen vom einstigen Wohlstand in Pastrana
Bunte Geschichten auf Flämischen Teppichen
Dank des frühen Flugs nach Madrid spazierten wir schon ein paar Stunden später im verregneten Pastrana in der Provinz Guadalajara an den mittelalterlichen Palästen und Plätzen vorbei. Sie erinnern an die muslimischen Seidenweber und jüdischen Textilhändler, welche die Region zum Blühen gebracht hatten. Wo aber auch die einäugige Prinzessin von Éboli in ihrem eigenen Palast bis zu ihrem Tod 1592 wegen Intrigen am spanischen Hof dreizehn Jahre lang inhaftiert war. Eine legendenreiche Geschichte, die in Friedrich Schillers Drama und Guiseppe Verdis Oper Don Carlos einfloss.
Szene mit dem König hoch zu Ross mit seiner Armee. Detail aus der flämischen Tapisserie in Pastrana um 1472-1475.
Das eindrücklichste in Pastrana sind aber die vier grossen flämischen Wirkteppiche um 1472-1475 in der Colegiata, elf Meter breit und vier Meter hoch. Sie erzählen die Geschichte nach einem realen Ereignis: Die Eroberung der nordafrikanischen Städte Algier und Tanger durch den portugiesischen König Alfonso V „El Africano“ im Jahr 1471. Die Farben der realistisch dargestellten Szenen sind erstaunlich gut erhalten. Die individuellen Gesichter der Männer und Frauen, die Gebäude, die Segelschiffe und die Natur sind mit Freude am Detail gestaltet. Man vergisst beinahe, dass es gewobene Bilder sind.
Toledo – ein Schmelztiegel der Religionen
Toledo, eine mittelalterliche Stadt auf einer Anhöhe, gilt als Perle der kastilischen Städte. Sie bot im 12. bis 15. Jahrhundert Lebensraum für Menschen aus drei Religionen. In der Judería, dem jüdischen Viertel, sind von den ursprünglich zehn Synagogen noch zwei erhalten, die später christliche Kirchen wurden.
Die im maurischen Stil erbaute Synagoge aus dem 13. Jahrhundert, heute Santa Maria La Blanca.
Die „Casa del Greco“ war ursprünglich ein Palast eines jüdischen Schatzmeisters des Königs. Das Gebäude wurde im frühen 20. Jahrhundert von einem Sammler erworben, der hier seine Gemäldesammlung von El Greco (1541-1614) unterbrachte und das Haus so einrichtete, als hätte der Maler hier selbst gewohnt. Ein „antikes Disneyland“ mit wunderbaren Gemälden dieses Künstlers aus Kreta, der sich in Toledo niedergelassen und von hier aus seine Meisterwerke geschaffen hatte.
Die Kathedrale von Toledo wurde 1227 zur Erinnerung an die gewonnene Schlacht bei Tolosa von 1212, wo die Christen die Araber endgültig geschlagen hatten, erbaut. Hier stand ursprünglich eine westgotische Kirche, die zur Moschee umgebaut und dann für diese Kathedrale abgerissen wurde. Überall in Spanien treffen wir auf Gotteshäuser, die im Laufe der Geschichte von den drei Religionen je nach Herrschaft umgestaltet und genutzt wurden, wobei nach der Vertreibung der Juden und Muslimen, 1492, alle Synagogen und Moscheen zu Kirchen umgestaltet wurden.
Hauptaltar der Kathedrale von Toledo. Eine Gruppe von Bildhauern arbeitete während sechs Jahren an den aus Lärchenholz geschnitzten Figuren und Dekorationen (1498-1504).
Die Kathedrale gehört zu den Meisterleistungen gotischer Architektur und wurde durch alle Jahrhunderte immer wieder umgebaut, restauriert und ergänzt. Der Hauptaltar gleicht einer riesigen Puppenstube mit bunten geschnitzten Figuren, vergoldeten durchbrochenen Baldachinen, Giebeln und Filigranarbeiten, die man sich am besten mit dem Feldstecher anschaut. Kunstvoll gearbeitet sind auch das vergoldete schmiedeeiserne Gitter davor (1548) und das Chorgestühl aus Nussbaum, in das mit dem Hohlmeissel die Kämpfe zur Eroberung des Königreichs Granada gekerbt sind. Die Sakristei gleicht einer Bildergalerie mit wertvollen Werken von El Greco, Goya und Raffael u.a.
Die drei Meter hohe Monstranz aus vergoldetem Silber in Form eines gotischen Turms in der Schatzkammer wird noch heute an der Fronleichnamsprozession durch die Strassen Toledos getragen, entlang den mit bunten Tüchern behangenen Hausfassaden. Man kommt nicht aus dem Staunen heraus, die katholische Kirche gab alles, um ihre Macht prunkvoll zu demonstrieren. Das Gold der neuen Kolonien in Übersee machte dies möglich, ebenso die Vertreibung der Muslime und Juden, mit deren zurückgelassenen Schätzen und Grundstücken sich die Krone, der Adel und die Kirche bereicherten.
Die Monstranz (1523) ist drei Meter hoch und wurde von Enrique de Arfe, einem Silberschmied deutscher Abstammung, innerhalb von acht Jahren hergestellt.
Die einsame Kirche von Melque
Der Abstecher zur westgotischen Kirche von Melque, etwa 50 km südwestlich von Toledo, bot einen besonderer Anblick. Mitten in der Landschaft stand einsam dieser Zeuge altchristlicher Kultur. Die Westgoten, seit dem 7. Jahrhunderts in Spanien, waren noch vertraut mit der römischen Architektur und erbauten diese kleine Kirche mit grossen Granitquadern ohne Mörtel und mit runden Bogen- und Gewölbekonstruktionen. Um den Grundriss im griechischen Kreuz in byzantinischer Manier zu bewahren, wurde die Apsis aussen quadratisch angelegt und nicht hufeisenförmig wie im Inneren. Auffällig sind die abgerundeten Ecken der Aussenmauern und die Form der Fensteröffnungen. Eine kleine Ausstellung im Informationszentrum, die aus einem Schülerwettbewerb hervorgegangen ist, zeigt die neuesten Resultate der archäologischen Grabungen: Man hatte hier Spuren der frühmittelalterlichen Klosteranlage sowie einer römischen Siedlung gefunden.
Die westgotische Kirche Santa Maria von Melque, 7. Jahrhundert, gehörte ursprünglich zu einer Klosteranlage in der Region Kastilien-La Mancha.
Fotos: Ruth Vuilleumier