Im äussersten Norden der Ägäis liegt die grüne und landschaftlich reizvolle Insel Thassos. Dichte Wälder, kristallklares Wasser, versteckte Sandbuchten und Bergdörfer, die zu Wanderungen einladen, machen die Insel zu einer Idylle.
Wer sich Strandferien vorstellt, kommt im Spätherbst und zudem auf touristisch wenig bekannten Inseln Limnos, Samothraki und als dritte nun Thassos kaum auf seine Rechnung.
Einsamer Strand im Hauptort Limenas
Es braucht vielmehr Interesse für Land, Leute und Kultur. Anfang Oktober ist es noch sommerlich warm, das Bad im Meer bei angenehmen Temperaturen möglich – wenn nur der Wind nicht wäre. Es gibt kaum mehr Touristen und das Leben ist beschaulich und ruhig. Wer von Europa – so sagen sie hier – auf die Insel kommt, hat eine langen Anreise hinter sich.
Vom Flughafen Thessaloniki mit dem Mietauto nach Kavala, dann weiter nach Keramoti, zum Fährhafen auf dem Festland und nach etwa 40 Minuten Überfahrt mit der Fähre die Ankunft in Limenas, dem Hafen auf Thassos.
Wandmalerei mit dem Burgberg von Kavala
Mit der Einstellung, auch die Hinfahrt mache eine Reise spannend, ergeben die rund 200 Kilometer mit dem Mietwagen einen ersten Ferientag – oder zwei dank der Übernachtung in der interessanten Festungsstadt Kavala noch auf dem Festland. Auf der Fähre fallen uns am nächsten Tag die grossen Autos mit bulgarischen und rumänischen Kennzeichen auf. Ob diese meist jugendlichen Touristen die miserable durch die Pandemie gezeichnete Saison noch etwas aufpolieren können?
Im Herbst bevorzugen die Inselbewohner verstärkt den Modus der Musse. Die Saison ist vorbei, die Menschen haben Zeit. „Das werden wir später regeln – entspannen Sie sich erst einmal,“ sagt die nette Frau an der Rezeption, als es ein Problem mit der Reservation und der Kreditkarte gab. Relax ist offensichtlich ein wichtiges Wort auf der Insel.
Fischer warten auf die Ausfahrt
Unter der grossen Platane sitzt stundenlang eine Gruppe von Männern. Sie beobachten und unterhalten sich vor einer Karaffe Wasser und einem Kafé ellenikó. Heutzutage ist der Kafé Frapé das angesagte Getränk: Nescafé-Pulver wird mit Wasser, Eiswürfeln und Milch aufgeschäumt.
Auch im Hafen hat man jetzt Gelegenheit, den Alltag zu erleben, weit mehr als in einer der vielen Strandsiedlungen mir Ferienhotels und Autovermietungen.
Blick auf den heiligen Berg Athos mit dem Olymp
Am Strand sitzen, sich dem Wellenschlag des Meeres hingeben, den Wechsel der Farben beobachten, den Augen Ruhe gönnen und sie verweilen lassen – das ist das Geschenk eines Augenblicks. Zu sich kommen und den Moment erleben – das ist die Kunst des Schauens.
Schauen kann heissen, einer auslaufenden Fischerbarke zuschauen, wie sie sich langsam im Meer auflöst. Sich bewusst werden, wie lange das noch möglich ist. Auch das gehört zur Stimmung auf einer Insel im diesem Corona-Jahr.
Limenas. Antikes Stadttor mitten in den Vorgärten
Im Hauptort Limenas stösst man immer wieder auf antike Ruinen, meist Reste der gewaltigen Mauer um die antike Stadt. So gibt es Teile eines Stadttores ungeschützt zwischen Vorgärten. Das archäologische Museum ist sehenswert und didaktisch interessant aufgebaut. Im Eingangsbereich findet man die Monumentalstatue eines widdertragenden Kouros, eines jungen Mannes, aus dem 6. Jahrhundert v.Chr.
Blickfang in der Vorhalle des Museums: unfertig bearbeitete Monumentalstatue
Das Gesicht ist noch nicht herausgearbeitet Das Werk blieb vermutlich unvollendet, weil der Künstler einen Riss im Marmor entdeckte. Ein Glanzstück des Museums ist die anmutige Statuette der auf einem Delphin reitenden Aphrodite, die im 3. Jahrhundert v.Chr. geschaffen wurde, als Thassos künstlerisch auf dem Höhepunkt stand.
Aphrodite auf einem Delfin reitend
Marmor machte die antike Insel reich. Der blendend weisse Stein war rund ums Mittelmeer begehrt. Noch heute sieht man die Abbaustätten, unmittelbar am Meer. Es muss eine kraftraubende Plackerei für Sklaven gewesen sein, die Blöcke zu hauen und zu verschiffen. Noch heute sind 14 Steinbrüche in Betrieb. Reiche Araber und vermögende Amerikaner seien die Hauptkunden.
Antiker Marmorsteinbruch in Alikí
Wir fahren vom Süden in den Nordwesten der Insel. Auf einer Rundwanderung durch die Halbinsel Alikí liegen Altertum und Moderne unmittelbar nebeneinander. Im Sommer ist sie beliebt wegen ihrer schönen Badestrände. Für kulturhistorisch Interessierte bietet der „heilige Hügel“ eine etwa einstündige Wanderung an. Es gibt aus der Römerzeit einen Sarkophag zu bestaunen, ein antikes Doppelheiligtum, Reste einer frühchristlichen Basilika und eine Kulthöhle sowie eine Höhlenkapelle mit interessanten Votivgaben.
Alikí: Reste einer frühchristlichen Basilika
Zwischen Potós und Alikí liegt unweit der Halbinsel ein ganz besonderer Badeplatz, das „Auge des Zeus“ ist eine natürliche Vertiefung in den alten Marmorbrüchen. Das Wasser dieser Lagune ist etwas wärmer als das Meer und bei entsprechendem Sonnenstand gibt es wunderschöne Farbenspiele zu beobachten.
Das Innere von Thassos ist geprägt von hohen Bergketten mit einigen noch ursprünglich gebliebenen Dörfern. Am Ende eines Bergtales, nicht einsehbar vom Meer aus – zum Schutz gegen Überfälle – liegt das recht grosse Dorf Theológos, das zusammen mit dem kleinen Museum einen Eindruck gibt von der Lebensart von Jahrhunderten, während derer die Menschen als Bauern und Handwerker lebten. Die Dimensionen der Gassen sind an manchen Stellen allein für Eselstransporte breit genug.
Im Dorf Theológos – benannt nach dem Evangelisten Johannes, dem Theologen
Im 19. Jahrhundert blühte der Wohlstand. Die repräsentativen Herrenhäuser stammen aus dieser Zeit. Ein Gang durch das Dorf zeigt viele Häuser im inseltypischen Baustil mit hervorkragenden Holzbalkonen, Erkern und grauen Schieferdächern. Neben Läden für den Grundbedarf gibt es Handwerksbetriebe, die zum Teil auch Produkte verkaufen, zum Beispiel ein Schuhmacher. Von der Auswanderung nach dem 2. Weltkrieg war auch die Insel betroffen. Schafe und Ziegen sieht und hört man all überall. Vor alIem im Sommer, wenn die Auswanderer ins Dorf zurückkommen, sollen sich in den zahlreichen Tavernen Schafe, Ziegen oder Spanferkel am Spiess drehen – ein veritabler „Festtourismus“. In der Nachsaison ist es aber ein ruhiges Dorf.
Herrenhaus mit dem Denkmal des Hadschi Georgis Metaxa
Lange Zeit war hier der Verwaltungssitz von Thassos – bevor die Ortsteile am Meer Bedeutung bekamen. Auch die touristischen Einrichtungen befinden sich dort. Die Zu- und Wegfahrt ist nur über eine Strasse vom Meer her möglich – rund ums Dorf stehen im Halbkreis imposante Berge. Es bietet sich an als Basis für einige Wandertage – vor allem im Frühling, wenn die Landschaft in ein Blumenmeer getaucht ist.
Vom Wasserreichtum der Insel zeugt eine alte Mühle im Nachbardorf
Der Besitzer eines Ladens für einheimische Produkte ist in Deutschland aufgewachsen. Die Saison sei katastrophal gewesen. Einen weiteren Sommer mit so wenig Touristen werde er finanziell nicht verkraften. Zum Glück gehöre ihm das Haus und er könne seinen Garten vergrössern. Wir kaufen bei ihm die „Gliká tou Koutalioú“, eingemachte Nüsse und Früchte, in einen dicken Sirup eingelegt – eine einzigartige Spezialität. Durch eine langdauernde Behandlung werden frische Walnüsse weich und schmecken wunderbar zu einer Käseplatte.
Abschied – zurück zum Festland
Die eingelegten Walnüsse in der grossen Aludose haben wir Stück für Stück genossen. Gestern ist sie leer geworden. Es bleiben die Erinnerungen an drei wenig bereiste Inseln im ägäischen Meer. Und es bleiben die Bilder auf dem Computer und vor allem die im Kopf.
Fotos: Justin Koller
Titelbild: Thassos. Quelle: Wiki commons (Satellitenfoto)
Mit diesem Beitrag ist die Inseltrilogie abgeschlossen:
Limnos – unbekannte Insel der Ägäis
Samothraki – Insel der Schafe, Insel der Nike
Sehr guter Artikel über das schöne Thassos.
Ich plane meinen Lebensabendmit Hund dort zu verbringen. Hat jemand Erfahrung?
Ich würde mich über eine Nachricht freuen.