«Frauen im Laufgitter. Offene Worte zur Stellung der Frau» heisst das legendäre Buch mit vollem Titel. Ihm und seiner Autorin ist im Literaturmuseum Strauhof eine Ausstellung gewidmet.
Todschick angezogen kam Iris von Roten mit dem letzten Zug von Basel in Zürich an und wollte zu Fuss Richtung Seefeld. Sie trug eine grüne Cordhose, einen eleganten «Panthermantel», wie es später im Polizeiprotokoll heisst, und keinen Hut.
Anna Sommer: Triptychon zur Begebenheit im Dezember 1955 zwischen Hauptbahnhof und Seefeld in Zürich
Nach mühsamer Auseinandersetzung mit einer Polizeistreife, die in ihr wenn nicht eine Prostituierte, wenigstens eine Entlaufene aus der Psychiatrie erkannte, wurde sie auf den Posten gebracht, wo sich das Ganze aufklärte, nicht aber in Minne auflöste: Das Abenteuer schrieb sich die Juristin und Journalistin in einem fulminanten Artikel in der NZZ vom 18. Dezember 1955 aufgebracht, empört und voller Wut über den frauenfeindlichen Akt vom Leib. Es ist wie im Film, die Polizisten «tun nur unsere Pflicht», das Fräulein ist «eine Gefahr für die Öffentlichkeit».
Iris von Roten (1917-1990) Foto: unbekannt, © StAAG/RBA1-4-34980_2
Drei Jahre später publiziert Iris von Roten ihr Jahrhundertwerk Frauen im Laufgitter, ein polemischer und zugleich akribisch recherchierter Bericht über die Lage der Frau, eine Streitschrift, die für eine bigotte Gesellschaft Unglaubliches analysierte und Unerhörtes für die Frauen forderte, politische und berufliche Gleichstellung, Lohngleichheit, sexuelle Befreiung. Die kritische Analyse erscheint ein Jahr, bevor die Schweizer Mannen das Frauenstimmrecht erneut mit grossem Mehr ablehnen, was politische Frauenorganisationen wie der Bund Schweizerischer Frauenvereine BSF (heute: alliance F) sogleich dem Buch und seiner Autorin anlasten. Ohnehin gibt es einen gigantischen Shitstorm in den Medien, in Männerclubs jeder Art und auch in Frauenkreisen. Aber viele Männer und Frauen sind dankbar, dass endlich jemand sagt, was falsch läuft.
Mädchen, Tochter, Schwester sind Verwandtschaftsbezeichnungen. Und es sind Bezeichnungen für Frauenberufe, der dienenden Art. Heute kann zwar niemand mehr Dienstmädchen einstellen oder Serviertöchter zu sich an den Tisch rufen, nicht einmal mehr im Krankenhaus nach der Schwester klingeln.
Aber als Iris von Roten ihre Gesellschaftsanalyse schrieb, waren diese Berufsbezeichnungen noch völlig normal, so normal wie die Rechtsvorschriften, dass eine Frau ohne Erlaubnis ihres Manns keinen Beruf ergreifen darf, dass ihr in die Ehe eingebrachtes Vermögen von ihrem Mann verwaltet wird, dass sie ohne seine Erlaubnis nicht verreisen darf.
Videoinstallation «Frauen im Laufgitter» sprechen Iris von Rotens Texte.
Seither hat sich viel geändert, dennoch ist Frauen im Laufgitter immer noch gesteckt voller Zitate, die heute so gut passen wie damals. Das «Bürofräulein» ist verschwunden und mit ihm von Rotens «Büroherrlein», ein zynisches Phantom der Gleichstellung. Frauen als Beamtinnen waren nicht wählbar, wenn sie verheiratet waren. Beim Bund wurden zwei niedrigere Lohnstufen extra für Frauen mit gleicher Ausbildung eingeführt. Oder das gesetzliche Verbot von Schichtarbeit und gefährlicher Arbeit für Frauen in der Industrie – wie wenn beispielsweise der Pflegeberuf nicht beides voraussetzte, damals wie heute.
Frauenleben im Dreieck von Sex, Mutterschaft und Hausarbeit
Die Ausstellung im Strauhof vermittelt den Besucherinnen und Besuchern in 3D-Projektionen Zitate aus von Rotens Buch, vorgetragen von Schauspielerinnen im 50er Jahre Look. Während die brave Kleidung ältelt, ist die Mehrheit der Aussagen nach wie vor einleuchtend oder auch brisant.
Warum, frage ich mich, haben wir in den 60er Jahren fürs Frauenstimmrecht gekämpft und die Gleichstellung der Geschlechter diskutiert, aber die damals aktuellste Lektüre, Iris von Rotens Frauen im Laufgitter, kaum beachtet, uns an amerikanischen Feministinnen orientiert? Bei denen wären Sätze wie der folgende nicht zu finden gewesen: «Wirkliche Demokratie bezahlt immer der Privilegierte. Insofern ist das Frauenstimmrecht tatsächlich gegen die Interessen der Männer.»
Nun ist das Stimmrecht 50 Jahre alt, Frauen haben in der Politik keine Revolution ausgelöst, viele Anliegen der Gleichstellung sind Gesetz, gesellschaftlich gab es Verbesserungen – als neueste sei der Vaterschaftsurlaub genannt, und trotzdem ist Frauen im Laufgitter bis heute ein Fundus an Ideen für die aktuelle Gesellschaft.
No comment, oder Irritation mit Iris von Roten
Im nächsten Raum der Ausstellung werden die Zitate nochmals anders aufbereitet: Diesmal in Sprechblasen des Comics The Heart of Juliet Jones, gezeichnet von Stan Drake, basierend auf einem Drehbuch von Margaret Mitchell welche ab 1953 erschienen. Iris von Rotens Merksätze zur Berufsarbeit, zum Kinderkriegen und zur Ehe wirken im Comic-Gewand besonders eindrücklich. Drumherum haben die Ausstellungsmacher, das Kollektiv von Mass & Fieber, feministische Kunst drapiert, die eher dekorativ als bereichernd wirkt, und über die rosaroten Wände pfeilt dreiarmig ein roten Blitz, der aus den Manuskriptseiten des neu entdeckten Kapitels Kleidung explodiert, das Iris von Roten aus unbekannten Gründen nicht ins Buch aufnahm. Der schönen Frau mit dem sicheren Gefühl für Ästhetik und Form war Mode wichtig, kurzzeitig arbeitete sie bei Hanro in der Kommunikation, später, nachdem sie sich enttäuscht und verkannt aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen hatte, unternahm sie zunächst weite Reisen und wandte sich um 1970 der Malerei zu.
Ausstellungsansicht vom Foyer aus
Ein Porträt ihres Manns, des Juristen Peter von Roten, sowie grossformatige Blumenbilder zeigen auch diesen Teil ihres Lebens. Iris von Roten war keine verbissene Männerhasserin, im Gegenteil, sie war feinfühlig und emotional, auch verletzlich, und führte mit ihrem Mann eine langjährige, komplexe und intensive Beziehung, in der die Liebe, sowie Respekt und Freiheit wichtig waren, dokumentiert im Buch Verliebte Feinde. Beide Juristen, hatten sie 1946 einen Ehevertrag geschlossen, worin sie sich gegenseitig die Unabhängigkeit zusicherten und worin Iris, geb. Meyer, von jeglicher Hausarbeit befreit war.
Peter und Iris von Roten empfangen oben an der Treppe im Strauhof.
Ein wandfüllendes Foto zeigt das Paar in glücklicher Stunde, daneben die biografischen Stationen mit der Wahl von Peter von Roten in den Nationalrat 1948, der Geburt der Tochter Hortensia 1952, die den Nachlass verwaltet, bis zum Autounfall 1988, von dem sie sich nie mehr erholte. Iris von Roten wählte bewusst den Freitod, als ihre Beschwerden übermächtig wurden: «Wie ein Gast wissen muss, wann es Zeit ist zu gehen, so sollte man sich auch rechtzeitig vom Tisch des Lebens erheben.»
Sensationeller Fund: Das Manuskript des noch nie veröffentlichten Kapitels «Kleidung»
Die Kabinette im Strauhof sind einerseits dem neuentdeckten Kleidungskapitel gewidmet, andererseits den Reaktionen auf Frauen im Laufgitter. Während man hier staunt, wie bösartig und unqualifiziert vor allem die Medien reagierten, wie gross jedoch auch die Zustimmung war, gibt es dort Einblick in die Gedanken einer gescheiten und eleganten Frau, wie Mode und Sex in einer Gesellschaft der ungleichen Geschlechter zusammenhängen.
Judy Chicagos Dinnerparty nachempfunden: 14 Feministinnen aus allen Zeiten treffen sich in der Installation von Mass & Fieber, welche die Ausstellung konzipierten
Eine Installation im grossen Saal stellt Iris von Roten in den feministischen Kontext, oder besser: setzt sie mit vierzehn Frauen, Gefährtinnen im Geist, an einen vierzehnteiligen Tisch. Vierzehn Frauen, die in ihrer Lebenswelt in anderen Ländern, anderen Zeiten und Kulturen ihren Beitrag in Wissenschaft, Kunst, Politik, Philosophie leisteten. Jede vertreten mit einem Zitat.
Titelbild: Cover der Originalausgabe von Frauen im Laufgitter, 1958
Fotos: Eva Caflisch
bis 30. Mai
Iris von Roten: Frauen im Laufgitter. Mit einem Nachwort von Elisabeth Joris. Zürich, Verlag Efef.
ISBN 978-3-905561-99-9
Zur Ausstellung, inszeniert von der Theaterformation Mass & Fieber, ist ein Reader erschienen.
Informationen über Öffnungszeiten und Veranstaltungen finden Sie hier.
Sehr guter Bericht mit schönen Fotos. Seniorweb at its best. Macht auch Lust, die Ausstellung anzuschauen. Bleibt noch nachzutragen, dass es auch einen Film gibt zum Buch «Verliebte Feinde», von Wilfried Meichtry. Ich selbst hab als ganz junge Reporterin Iris von Roten für die Tagesschau interviewt, ganz kurz vor der Frauenstimmrechts-Abstimmung. Der Beitrag war der Redaktion zu radikal und landetete im Papiekorb. Der Antenne-Beitrag von Vreni Wächter zu Esther Vilar mit Iris von Roten hingegen zeigt, wie vif aber auch knallhart die Frau war
https://www.youtube.com/watch?v=GcGtwpP8t4s
Danke, Eva, für diesen ausgezeichneten Text mit ebensolchen Bildern, und danke auch, Marianne, für die gute Ergänzung mit dem Beitrag von Vreni Wächter. Ein echt bereicherndes Lese- und Seherlebnis.