StartseiteMagazinKolumnenAuf die Windenergie darf die Schweiz nicht verzichten

Auf die Windenergie darf die Schweiz nicht verzichten

Nebst der aktuellen Corona-Krise und der Lösungsfindung für das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU beschäftigen Politik und Öffentlichkeit permanent auch die Fragestellungen bezüglich der Umsetzung der Energiestrategie 2050. Zentrale Herausforderung ist das Bemühen, die erneuerbaren Energien aller Sparten voranzutreiben. Augenfällig ist, dass in der Schweiz bedauerlicherweise die Projekte der Windenergie nicht jene Rolle spielen können, die im Interesse einer umweltkorrekten Energieversorgung von Bedeutung wären.

Fakt ist nämlich, dass die Windenergie weltweit kontinuierlich wächst. Die installierte Leistung verdoppelt sich alle 3 Jahre. 2020 war – trotz Corona – ein absolutes Rekordjahr. Weltweit wurden 2020 Windenergieanlagen mit einer Leistung von 93’000 Megawatt installiert. Diese Anlagen dürften vorsichtig gerechnet jedes Jahr drei- bis viermal so viel Strom produzieren wie die Schweiz insgesamt jährlich verbraucht. Die Windkraft ist heute eine der wettbewerbsfähigsten Energieformen und dürfte in weniger als einem Jahrzehnt zur führenden Stromquelle Europas aufsteigen.

In der Schweiz bietet sich allerdings ein fragwürdiges Bild: Bisher sind erst 42 grosse Windenergieanlagen in Betrieb und verfügen über eine Leistung von 87 Megawatt. Der Vergleich mit dem grenznahen Ausland verdeutlicht, wie sehr die Schweiz der Entwicklung hinterherhinkt: In den Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern beträgt die installierte Leistung das 18- respektive das 29-fache der Schweiz – in Österreich das 36-fache.

Dabei stützt sich auch die Energie- und Klimapolitik der Schweiz wesentlich darauf ab, dass fossile Energieträger wie Heizöl, Erdgas, Benzin und Diesel durch elektrisch betriebene Wärmepumpen und Elektromobile ersetzt werden. Die Schweiz wird gemäss den aktuellen Energieperspektiven bis 2050 trotz aller Sparbemühungen knapp einen Viertel mehr Elektrizität benötigen wie heute, um insgesamt klimaneutral werden zu können. Auf die Windenergie kann dabei nicht verzichtet werden: Windenergieanlagen in der Schweiz produzieren etwa zwei Drittel des Stroms im Winterhalbjahr – dann, wenn der Stromverbrauch besonders hoch ist. Sie ergänzen Wasserkraft und Solarenergie optimal, die im Sommerhalbjahr hohe Produktionszahlen erreichen, im Winter jedoch wenig produzieren. Windstrom leistet damit einen unverzichtbaren Beitrag an eine sichere und möglichst unabhängige Stromversorgung mit erneuerbaren Energien.

Aus diesen Gründen ist es unverantwortlich, dass die Entwicklung der Windenergie in der Schweiz seit über einem Jahrzehnt praktisch stagniert, weil zahlreiche Projekte mit komplexen Planungs- und Gerichtsverfahren kämpfen. Die eher bescheidenen Ziele des Bundes für 2020 werden nicht rechtzeitig erreicht, weil zurzeit fast 4 von 5 geplanten Anlagen bei den Rechtsinstanzen durch systematische Beschwerden von Verbänden, Einzelpersonen, und Vereinen blockiert sind.

Es ist heute in der Schweiz leider so, dass praktisch jedes Projekt mit Einsprachen und Beschwerden konfrontiert wird. Dass es trotz demokratisch gefällter Entscheidungen fast überall Rechtsmittel gegen Windprojekte genutzt werden, erstaunt kaum. Nicht nachvollziehbar ist hingegen, dass einige Umweltschutzverbände regelmässig vom Verbandsbeschwerderecht Gebrauch machen. Sie blockieren damit nicht nur die Projekte, sondern bieten auch Privaten, welche aus persönlichen Gründen gegen ein Projekt sind, ob gewollt oder ungewollt, eine willkommene Legitimation. Es ist leider so, dass einige Umweltschutzverbände damit die Umsetzung der Energiestrategie, für deren Annahme sie noch 2017 engagiert gekämpft hatten, direkt gefährden.

Windräder Feind der Vögel?

Streitpunkte um mögliche Auswirkungen auf Vögel und Fledermäuse spielen bei den Gerichtsprozessen eine zentrale Rolle, insbesondere weil zahlreiche Arten gesetzlich streng geschützt sind. Da Windenergieanlagen für die Schweiz immer noch ein relativ neues Thema sind, bestehen Unsicherheiten und Ängste hinsichtlich der möglichen Auswirkungen. Das Vorsorgeprinzip führt heute dazu, dass auch geringe Auswirkungen beklagt werden, selbst wenn diese lediglich befürchtet werden oder nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden können. Dabei werden vor Gericht auch Probleme relevant, die von untergeordneter Bedeutung sind und zu denen aus anderen Ländern umfangreiche Untersuchungen und Erfahrungswerte vorliegen.

So ist seit Jahren international anerkannt, dass Windenergieanlagen den Vogelzug nicht nennenswert beeinträchtigen. In der Schweiz hingegen ist es mittlerweile weit verbreitet, dass zur Verminderung des Kollisionsrisikos von Zugvögeln aufwändige Radarsysteme verlangt werden, welche die Windenergieanlagen bei starkem Vogelzug abstellen. Dies obwohl eine umfangreiche Studie an einem bestehenden Windpark in der Schweiz gezeigt hat, dass die vorhandenen Systeme kaum in der Lage sind, die ohnehin geringen Auswirkungen weiter zu reduzieren. Eine bemerkenswerte Anekdote dazu: Auf dem Grenchenberg steht bereits seit 2014 ein entsprechendes Radargerät während die dazu gehörigen Windräder nach Beschwerde von «BirdLife Schweiz» inzwischen im Bewilligungsverfahren vor Bundesgericht gelangt sind und weiterhin auf eine Bewilligung warten.

Ersatz fossiler Brennstoffe: Wind, Photovoltaik…   

Unverständlich wird die äusserst restriktive Haltung der Schweizer Vogelschutzorganisation, wenn man sich vor Augen hält, dass «BirdLife» international ein Papier mitverfasst hat, welches festhält, dass der Klimawandel eine wesentliche Ursache für den Verlust der Artenvielfalt ist und dass die Nutzung erneuerbarer Energien eine der effektivsten und am leichtesten verfügbaren Wege zur Reduzierung der CO2 Emissionen ist. «Eine Kombination aus erneuerbarer Energie, hauptsächlich aus Wind und Photovoltaik, mit mehr Elektrifizierung, um die Nutzung fossiler Brennstoffe zu ersetzen, könnte drei Viertel der erforderlichen energiebezogenen Emissionsreduzierungen liefern.» Dies hindert BirdLife Schweiz allerdings nicht daran, ein Merkblatt zum Thema Windenergie zu verfassen, welches Ausschlussgebiete für den Bau von Windkraftanlagen derart umfassend definiert, so dass praktisch die ganze Schweiz zum Ausschlussgebiet würde.

Auch wenn die Gerichte in der Regel zugunsten der sorgfältig geplanten Windenergieprojekte entscheiden, so verzögern und blockieren die vorgelagerten Verfahren die Umsetzung der Energie- und Klimapolitik in der Schweiz sehr empfindlich. Die gilt nicht nur für die Windenergie, sondern auch für die Wasserkraft und zahlreiche Biomasseprojekte. Wenn die Schweiz eine zukunftsfähige, sichere und ausreichend eigenständige Energie- und Klimapolitik umsetzen will, so müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, dass entsprechende Projekte, welche zwar von einer Mehrheit aber nicht von allen befürwortet werden, innert nützlicher Frist bewilligt und realisiert werden können.

Widerstand am Beispiel Energieland Wallis

Die Energiestrategie 2050 war ein fundamentaler Schritt in die richtige Richtung, weil sie auch ein Bekenntnis für die erneuerbaren Energiezweige ist. Der Wasserschlosskanton Wallis trägt nicht nur dank der Wasserkraft wesentlich zur Umsetzung der Energiestrategie bei. Auch Windenergie und Photovoltaik haben grosses Potential. Im Mai 2017 stimmte das Wallis mit einem Anteil von über 63 Prozent der Abstimmenden dem neuen Energiegesetz zu. Dieses sollte den erneuerbaren Energien und namentlich auch der Windkraft zusätzlichen Schub geben. Trotz dieser klaren politischen Willensäusserung muss die Windkraft auch im Wallis um ihre Position kämpfen. Im Kanton produzieren vier Windkraftanlagen auf dem Gries, dem höchstgelegenen Windpark Europas, und drei Anlagen im unteren Walliser Rhonetal jährlich insgesamt 22.3 Gigawattstunden (GWh) Strom. Das reicht für die Stromversorgung von rund 5600 Haushalten.

Die Walliser Regierung will die Windräder vermehrt drehen lassen. Den heute real existierenden 22.3 GWh Windstrom stehen 310 GWh gegenüber, die gemäss dem Ansinnen des Kantons bis zum Jahr 2035 realisiert werden sollen. Innert weniger als 15 Jahren soll demnach die Stromproduktion aus Windkraft mehr als verzehnfacht werden. Gemäss dem Papier des Kantons «Energieland Wallis: Gemeinsam zu 100% erneuerbarer und einheimischer Versorgung – Vision 2060 und Ziele 2035» vom 17. April 2019 müssten für die Zielerreichung bis zum Jahr 2035 10 Parks zu je 6 Windkraftanlagen mit einer mittleren Produktion von 4.5 GWh pro Anlage erstellt werden. Eine Übersicht über die laufenden Verfahren zeigt, dass dieses Ziel zwar ambitiös, aber nicht unerreichbar ist.

Das bedingt allerdings auf verschiedenen Ebenen eine pragmatische Gangart. Im Rahmen der kantonalen Richtplanung müssen die notwendigen Pflöcke sorgfältig und trotzdem zügig eingeschlagen werden. Und die Umwelt- und Landschaftsschützer, die ja auch für die Energiewende einstehen, müssen zwingend Kompromisse eingehen. Vögel- und Fledermausmonitorings zeigen, dass diese Problematik bewältigt werden kann. Und wenn andernorts Landschaften völlig geschützt werden, müssen Eingriffe in schon vorbelastete Landschaften akzeptiert werden. So im Grimselgebiet auf Walliser Seite, das vom Bund schon vor Jahren als geeigneter Windstandort evaluiert wurde und wo ein geplanter Park weit über 20 GWh pro Jahr Ökostrom produzieren kann.


Roman Weissen war unter anderem Gemeindepräsident von Unterbäch/VS, dem «Rütli der Schweizer Frau», jener Gemeinde mit dem Lable «Energiestadt» als Leistungsausweis für eine nachhaltige kommunale Energie- und Klimapolitik und war während Jahren Leiter des Büro Bern des Wirtschaftsverbandes swisscleantech.

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4 Kommentare

  1. Guter Beitrag von Roman Weissen. Das Lobbying für die Windkraft in der Schweiz muss verstärkt werden. Wasser, Wind und Sonne dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Und Jürg Grossen: Gute Roadmap. Leider fehlt der wichtige Beitrag der Windkraft zur Schliessung der Stromlücke im Winter! Da musst wohl noch 2-3 Kapitel anfügen…. 🙂

  2. Danke, Herr Weissen, für Ihre unwiderlegbare Kritik an der insbesondere grünen Fundamentalopposition gegen jeglichen vernünftigen Ausbau der erneuerbaren Energien, mit immer denselben Argumenten: Lärm, Strahlung, Landschaftsverschandelung, «Vogelmord» bei Windkraftanlagen; Aesthetik, Wasserhaushalt von Bächen unterhalb von Staumauern, Landschafts- Pflanzen- und Tierschutz beim Ausbau bestehender oder dem Bau neuer Wasserkraftwerke, alles zusammen beim Bau neuer Uebertragungsleitungen.
    Dieselben Kreise, die sich auf einen Klimanotfall berufen und Notrecht fordern, scheuen nicht davor zurück, jede Rekursmöglichkeit zu nutzen, wen es darum geht, etwas konkretes zur Entnuklearisierung und Entfossilisierung unserer Energieversorgung zu tun.

    Danke auch an Herrn Grossen für seine Roadmap, voll von gesundem Menschenverstand. Mit einem Punkt habe ich allerdings ein Problem: Grossen schreibt, sein Konzept basiere nur auf bereits vorhandenen Technologien, stützt diese dann aber voll auf die Power-to-X Technologie, die gemäss seinen Ausführungen am Ende des Papiers noch weiterer Forschung und Entwicklung bedarf, um je als wirtschaftlich vertretbare Speicherlösung «als Ergänzung zur Speicherwasserkraft» in Frage zu kommen.
    Wenn trotz P2X Pumpspeicherwerke benötigt werden, baut man diese aus topographischen Gründen am besten im Alpenraum, wo neben der massiven Vergrösserung bestehender Staubecken (z.B. neue Dämme Mauvoisin und Gde Dixence mit Kronenhöhen von je 2400 m, Tzeuzier 2000 m, Hongrin 1400 m….) aus Sicht der Topographie kaum mehr viele Möglichkeiten zur Anlage neuer Stauseen bestehen. Würden die Saisonspeicher im Wallis stehen, wäre es möglicherweise sinnvoller, die Photovoltaikfarmen auch dort zu bauen, z.B. an den nebelfreien Sonnenhängen zwischen Martinach-Sex Carro und Belalp-Sparrhorn, statt in der winternebelschwangeren Uesserschwyz. Mir scheint, ein grosser Teil der Bevölkerung sei sich nicht bewusst, um welche Flächen es hier gehen würde. Deshalb könnte es nützlich sein, alle benötigten Anlagen auf der Landeskarte (1:10.000 oder so) festzuhalten.
    Daneben stellt sich selbstverständlich die Frage nach der grauen Energie bei Produktion, Transport, Unterhalt, Entsorgung und Ersatz der erwähnten Mammutanlagen.
    Fragen über Fragen. Aber möglicherweise bin ich zu kritisch.

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