StartseiteMagazinKulturDiese Frau hat geniale Kunst gemacht

Diese Frau hat geniale Kunst gemacht

Sophie Taeuber-Arp bekommt eine umfassende Wanderausstellung, konzipiert von drei der wichtigsten Museen überhaupt: dem Museum of Modern Art, New York, der Tate Modern, London und dem Basler Kunstmuseum, welches – Corona sei Dank – den Anfang macht.

Auch heute wäre es schwierig, Sophie Taeubers Marionettenspiel vom König Hirsch anders als über einen Videostream aufzuführen. Damals gab es mitten in der Grippenpandemie von 1918 gerade mal drei Vorstellungen. Aber jetzt tanzen die Figuren des Nachts an der Neubau-Fassade des Basler Kunstmuseums und zu Öffnungszeiten auch in der Retrospektive von Sophie Taeuber-Arp. Und sie sind von sehr nah in einem Glaskasten zu studieren: «Das sind doch alles Fadenspülchen», sinniert mein Kollege auf die Textilkünstlerin verweisend.

Die Wachen, eine Figur aus dem Marionettentheater König Hirsch, in Bewegung auf einem Bildschirm.

Die Marionetten alle abstrakt, sind aus Holzstücken gedrechselt und nicht geschnitzt. Viele tragen Textilien – ein Stück Spitze, etwas Vorhangstoff – oder – wie König Hirsch und der Prinz einen goldenen Kopfschmuck. Eine Figur fällt aus dem Rahmen der anmutigen Puppen: Sie ist ein Symbol des Bösen, der Zerstörung, des Kriegs: Der massige Körper auf mehreren Beinen und mit fünf gleichförmig unheimlichen Köpfen sowie vielen bewaffneten Armen kann als Phalanx seine Gegner bezwingen, heute würde man die Wachen Roboter nennen.

Mit der Ausstellung Sophie Taeuber-Arp. Gelebte Abstraktion, die von Kuratorinnen des MoMA, der Tate Modern und dem Kunstmuseum Basel gemeinsam konzipiert wurde, soll die Künstlerin endlich in den Olymp der Klassischen Moderne aufsteigen. Gelebte Abstraktion passt zu Leben und Werk der faszinierenden Künstlerin, für die jeder kreative Ausdruck – sei es in der gestalteten Bewegung oder im textilen Schaffen, sei es in der Architektur oder in der freien Malerei – gleichwertig und Teil des Lebens war.

Solche Beutelchen mit Glasperlenstickerei trugen die Damen, wenn sie tanzen gingen.

Weil Sophie Taeuber-Arp schon bei ihrer Ausbildung in München mit den Grundsätzen der englischen Arts&Crafts-Bewegung in Berührung kam, war für sie die Einteilung in wertvolle Freie Kunst und weniger wertvolle Angewandte Kunst von Beginn an nicht relevant. Doch schon zu ihren Lebzeiten und bis heute gilt dieses Zweiklassensystem.

Das Gesamtwerk der Künstlerin, welches durch den zufälligen und umso tragischeren Tod nicht abgeschlossen ist – sie starb im Schlaf 1943 an einer Kohlenmonoxydvergiftung – ist einzigartig konsequent in seiner Vielfalt von Materialien und Formen. Sie hat zunächst als Textilkünstlerin ihre Form- und Farbideen ausgeführt, hat Kissen gestickt, Beutelchen und Schmuck mit Perlstickerei hergestellt, aber schon in frühen Entwürfen mit Farbe auf Papier sind die abstrakte Komposition und ihr einmaliges Farbgefühl manifest.

In der Ostschweiz aufgewachsen, ist sie beim Beginn des ersten Weltkriegs aus München in die Schweiz zurückgekommen und in Zürich sogleich in die Avantgarde der Dada-Bewegung geraten. Der radikalen Kunstbewegung – viele sind Kriegsflüchtlinge – geht es um die Erhaltung ihrer Freiheit und um die Abgrenzung von der Kultur der Banalität. Sophie Taeuber-Arp lernt Ausdruckstanz bei Rudolf Laban, tritt bei den dadaistischen Performances – natürlich im selbst kreierten Kostüm – auf, entwirft Bühnenbilder und kann von 1916 an in der Kunstgewerbeschule unterrichten, womit ihr Lebensunterhalt und der ihres Geliebten und späteren Ehemanns Hans Arp gesichert ist.

Sie hat unzählige Fotos und Briefe hinterlassen. So entsteht das Bild einer starken, lebenstüchtigen und zugleich leichtlebigen Künstlerin (sie liebte Maskenbälle), deren Optimismus und Menschlichkeit sich durch ihr ganzes Dasein als grossherzige Frau und auch respektierte Avantgardekünstlerin zieht, deren Werk auf Augenhöhe mit dem ihrer Freunde Mondrian oder Kandinsky steht. Das allerdings hat die traditionelle Kunstgeschichte fast bis heute so nicht erzählen mögen.

Ausstellungsansicht mit dem genial konstruierten Schreibtisch mit beidseitigen Auszügen für zwei Arbeitende im Home Office.

Sie folgt Hans Arp in seine elsässische Heimat, der dort seinen französischen Pass wieder erlangen will. In Strassburg wendet sie sich der Architektur zu, übernimmt Aufträge als Designerin, gestaltet Farbfenster und Möbel. Zusammen mit Hans Arp und Theo van Doesburg, der am Ende die Urheberschaft für sich usurpiert, baut sie das Vergnügungszentrum Aubette um. Konsequent wird der Unterhaltungspalast mit klaren Formen und hellen Farben ausgestattet. Leider war dieser Aufbruch in die Moderne zu früh, das Publikum gewöhnt an Plüsch und dunkle Täfelung, mochte die lichten Flure und hellen Säle nicht. Die Aubette wurde bald umdekoriert. Heute können wir jedoch Sophie Taeubers Bar besuchen, im Museum Haus Konstruktiv steht eine Kopie.

Bar Aubette im Museum Hauskonstruktiv. Rekonstruktionsmodell 1:1. Eine kleine Fotoausstellung ergänzt die Präsentation im Rahmen der aktuellen Ausstellung Reset.

Schon in Zürich hat sie bei der Entwicklung der antinaturalistischen Formensprache, ausgehend von abstrakten Grundelementen mitgewirkt, denn Abstraktion ist den Künstlern Widerstand gegen die Zeit und erst noch global kommunizierbar. In Sophie Taeuber-Arps Malerei ist die Suche nach dem fragilen Gleichgewicht, das vielleicht in einem kurzen Augenblick erreicht werden kann, ein zentraler Aspekt. Gleichgewicht ist niemals Symmetrie, sondern eine Suche nach dem Rhythmus, der Gliederung, den Kräfteverhältnissen innerhalb der Komposition. Ihre Formensprache oszilliert zwischen konstruierten Linien und Flächen und weichen Wellen, die Möglichkeiten der Abstraktion ausschöpfend.

Ausstellungsansicht mit Bildern aus den Gleichgewicht-, Staffelung- und Kreis-Serien der frühen 30er Jahre.

Mitte der 30er Jahre arbeitet sie wieder mit Holz wie anfangs bei den Dadaköpfen. Nun sind es Reliefs, bei denen sie die dritte Dimension auslotet und erstaunliche Wirkungen mit Kreisen, Kegeln und Kreissegmenten erzielt.

Rundrelief in drei Höhen, Öl auf Sperrholz. Stiftung Arp, Berlin

Nahe Paris baut Sophie-Taeuber-Arp 1929 ein Künstlerhaus mit Ateliers für sie und Hans Arp, es ist auch beliebter Treffpunkt der Pariser Avantgarde. 1937 kommt es in Basel zu einer wichtigen Gruppenausstellung der Konstruktivisten. Sophie Taeuber-Arp ist mit dem grössten Konvolut, nämlich über zwanzig Arbeiten vertreten. Davon existiert kein Foto, abgesehen von einer Aufnahme mit einer ihrer Kreiskompositionen, Bewegtes Kreisbild von 1934, kaum erkennbar im Hintergrund. Höchste Zeit, dass die Künstlerin nach der ersten grossen Retrospektive im Aargauer Kunsthaus 2014 nun auch international als bedeutende Vertreterin der abstrakten Moderne anerkannt wird.

Kuratorin Eva Reifert führt durch die Ausstellung

Das Leben und Arbeiten im eigenen Haus währt nur so lange, bis die Nationalsozialisten Paris 1941 besetzen. Flucht nach Grasse und eine Zeit unter prekärsten Bedingungen, aber noch immer im Freundeskreis, wie Fotos belegen. Arbeiten in Südfrankreich wird schwierig, weil es kaum Materialien gibt, aber Sophie Taeuber-Arp zeichnet regelmässig, illustriert auch Gedichte ihres Manns. Es sind vor allem Zeichnungen mit bewegten Linien – ein Tanz mit dem Stift. Als beide dank einer Einladung 1943 in die Schweiz reisen können, vermeintlich in die Sicherheit, stirbt sie im Haus von Max Bill. Hans Arp bleibt schockiert und lange arbeitsunfähig als Witwer zurück.

Titelbild: Ausstellungsansicht mit dem ikonischen Porträt gespiegelt in der Vitrine mit den Marionetten.
Fotos: Eva Caflisch
Bis 20. Juni
Informationen für den Besuch der Ausstellung. Achtung: Für diese Ausstellung online ein Zeitfenster buchen!
seniorweb hat 2014 über die Retrospektive im Aargauer Kunsthaus berichtet.

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