«Ein Sommernachtstraum», die wohl bekannteste Komödie von William Shakespeare, hat Hausautor Kim de l`Horizon für Bühnen Bern ergänzt und uminterpretiert. Entstanden ist ein neues Stück über den Traum gegen die Unterdrückung, für eine bessere, freiere Welt.
Shakespeares «Sommernachtstraum» gehört zu den Klassikern der deutschsprachigen Theaterbühnen. Die wohl bekannteste Inszenierung stammt von Max Reinhardt, der 1935 auch in einer Hollywood-Verfilmung Regie führte. Benjamin Brittens gleichnamige Oper und Felix Mendelssohn Bartholdys Bühnenmusik sind nicht weniger bekannt. In einer neuen, vermutlich nicht allen Theaterbesuchenden genehmen Form wagen sich die Bühnen Bern an die legendäre Liebeskomödie.
Orte der Handlung sind die Stadt Athen sowie die umliegenden Wälder. In einer lauen Sommernacht treffen griechische Adelige mit Anhang, Elfen und Handwerker aufeinander. Im Mittelpunkt des lustvollen Spiels stehen die jungen Männer Demetrius (Linus Schütz) und Lysander (Mariananda Schempp) sowie die Frauen Hermia (Genet Zegay) und Helena (Kilian Land). Die Geschicke der Menschen beeinflussen der Elfenkönig Oberon (Isabelle Menke) sowie dessen Diener Puck (Claudius Körber).
Helena (Kilian Land) und Hermia (Genet Zegay) im Streit.
Theseus, der Herzog von Athen (Claudius Körber), bereitet sich auf seine Hochzeit mit der Amazonenkönigin Hippolyta (Lucia Kotikova) vor. Um seine Frau Titania gefügig zu machen, belegt Elfenkönig Oberon (Isabelle Menke) diese mit einem Bann. Hermia und Lysander fliehen vor ihrem Vater Egeus, der sie auseinander bringen will. Derweil wird Demetrius von der verliebten Helena bedrängt. Das Verwirrspiel um Liebe, Lust, Macht und Unterdrückung nimmt seinen Lauf.
Tödliche Parodie auf die Liebe
Als Demetrius und Lysander sich wegen Helena duellieren, greift Oberon ein und löst die Verwirrung auf. Hermia und Lysander werden wieder ein Paar. Theseus nötigt Egeus, die Verbindung zu akzeptieren. Demetrius wendet sich Helena zu, worauf Theseus die Amazonenkönigin endgültig für sich gewinnt. Die Dreifach-Hochzeit kann stattfinden. Von langer Hand geplant, führen zum Schluss die Athener Handwerker Sequenz (Jan Maak) und Zettel (David Berger) die antike Tragödie «Pyramos und Thisbe» auf. Das Finale gerät zur unfreiwillig komischen Komödie, in der sich die Liebenden statt mit einem Dolch mit Rosen erstechen.
Lysander (Mariananda Schempp) und Hermia (Genet Zegay).
Regisseurin Sabine Auf der Heyde hat Shakespeares Werk aktualisiert, pointiert und politisiert. Die Menschen irren herum, suchen verzweifelt nach Liebe. Männer stehen für Macht, Herrschaft und Gewalt, Frauen für Natur, Liebe und Sanftheit. «Träume im Mondlicht» geschaffen hat der Hausautor von Bühnen Bern, Kim de l`Horizont, mit Zwischentexten und Ergänzungen. Helvetische Klänge erinnern daran, dass die wilden Zustände nicht nur in Athens Wäldern, sondern auch in Bern herrschen. «Wasser ist genug die Aare heruntergeflossen», sagt ein Protagonist. Der Maulwurf will «einen Tunnel durch die Alpen graben», und der Schweizer Psalm ertönt.
Um die patriarchalischen Strukturen deutlich zu machen, findet ein Geschlechtertausch statt. Frauen schlüpfen in Männerrollen und umgekehrt. Lysander wird von einer Frau, Helena von einem Mann gespielt. Dadurch wird die Jahrhunderte alte Ausbeutung der Frauen betont. Kim de l`Horizon will dies auch als Ausbeutung der Natur verstanden haben. Lysander und Hermia hissen eine Widerstandsfahne mit einem gemalten Baumsymbol, eine geballte Faust als Baumkrone. Shakespeares Athener Wald wird zum Bremgartenwald, zum Schweizer Forst. Oberon und Titania streiten um ihr Kind, in Schweizer Scheidungen zu oft brutaler Alltag.
Oberon (Isabelle Menke) und Puck (Claudius Körber)
Trotz all der Verwirrung und Hektik: Die Inszenierung wirkt lustvoll, sinnlich, poetisch, musikalisch. Mehrfach greifen die Spielenden selber in die Tasten und Saiten, geben alles. Hardrock mit «Fuck you» fegt über die Bühne. Unterschiedliche Werte und Weltbilder prallen aufeinander, Liebesszenen gehen nahtlos in wilde Kampfszenen über, die idyllische Elfenwelt kollabiert. Als Zuschauer ist man hin- und hergerissen zwischen einer antiken Tragödie und einer Late-Night-Comedy. Ganz weit weg fühlt man sich an Szenen der «Comedia dell`Arte» erinnert.
Gegen Macht und Dominanz
«Eine Erweckung zur Liebe kann nur stattfinden, wenn wir uns von den Vorstellungen von Macht und Dominanz lossagen», steht im Programmheft. Das ist genau das Thema der exzentrischen Berner Inszenierung. Die Shakespeare-Komödie ist ein Manifest für den Feminismus jenseits der Gendergrenzen, eine Absage an patriarchalische Strukturen, Machtausübung, Unterdrückung und Gewalt, physische wie verbale. Nur wer vollkommen frei ist in der Partnerwahl, kann die wahre Liebe erleben.
Die zweite Botschaft ist eine ökologische: Die Natur ist eine natürliche Ressource, die auch heute noch ausgebeutet wird, um das Wirtschaftswachstum und das Konsumverhalten in den reichen Industrienationen sicherzustellen. Nach der Lesart von Hausautor Kim de l`Horizon werden aktuell die Natur und die Frauen zu Objekten degradiert, vom Mann beherrscht und kontrolliert. Dem muss endlich Einhalt geboten werden.
Hippolyta (Lucia Kotikova) im Hochzeitskleid.
Die Berner Inszenierung ist speziell. Wer eine klassische Shakespeare-Komödie erwartet, wird enttäuscht sein und Gründe finden, weshalb er oder sie die Aufführung überdreht findet. Max Reinhardt in Ehren: Seit den beiden legendären Inszenierungen des berühmten Schauspiellehrers haben sich das Theater und die Welt weitergedreht. «Wo Shakespeare aufhört, fängt Kim de L`Horizon an zu sprechen und lässt so eine Utopie aufleuchten von einer Welt, die sich nicht auf die Prinzipien von Ausbeutung und Macht stützt, sondern auf eine Ethik der Liebe.»
Titelbild: Theseus (auf der Leiter rechts) verkündet seine Hochzeit mit der Amazonenkönigin Hippolyta (links). Alle Fotos: © Yoshiko Kusano
Nächste Aufführungen: 29.1. / 15.2. / 24.2. / 5.3. / 13.3. / 25.3.2022