Wie können das philosophische Denken und der Blick ins Welt-All eine friedliche Zukunft fördern? Darüber diskutierten die Philosophin Annemarie Pieper und der Astronom Roland Buser im Sissacher Kultur-Bistro Cheesmeyer im Februar-Gespräch. Beide lehrten bis zur Pensionierung an der Uni Basel.
Das Wort Frieden taucht in der Philosophie vor allem dort auf, wo es um Krieg, Gewalt und Aggressivität geht, so Annemarie Pieper. Ihr fällt auf, dass Frieden «in der Regel aus der Perspektive des Unfriedens umschrieben wird: als Nicht-Krieg». Doch was Frieden bedeute, bleibe offen. Augustinus habe im Jahre 426 in seinem Werk Der Gottesstaat den lieben Gott als Friedensstifter dargestellt. Kant regte indes in seiner Abhandlung Zum ewigen Frieden (1795) an, die «Bösartigkeit der menschlichen Natur» durch «moralische Besserung und Verantwortung» zu überwinden.
Annemarie Pieper forschte u.a. über die Existenzphilosophie und Albert Camus. Er wuchs ärmlich auf und erlebte viel widerständige Solidarität. Sein Mythos des Sisyphos (1942) veranschaulicht, wie das Zusammenspiel von Kopf, Herz und Bauch abgestumpfte Sinne beleben und das Bewusstsein für eigenes Vermögen fördern kann: «Mein Schicksal gehört mir. Und mein Fels ist meine Sache.»
Camus Versuch über das Absurde spricht laut Annemarie Pieper die Sinn-Frage an, die sie direkt mit dem Frieden verknüpft. Dies auch in ihrem Buch Denkanstösse von 2021. Für die Philosophin ist die Solidarität das «Bindeglied zwischen Ich und Wir». Sie gehöre zum Frieden. Wie «Träume von einer gerechteren Welt», Menschenrechte oder die vergegenwärtigte Endlichkeit. Sie stimme gelassen. Ja, die eigentliche Lebenskunst bestehe darin, Dinge auch einmal sein zu lassen, ohne Probleme zu verdrängen. Gelassenheit mache hellsichtig und öffne die Augen für das, was wirklich wichtig sei, ohne Trauer über verpasste Chancen und nicht Machbares zu übergehen.
Roland Buser, Annemarie Pieper und Ueli Mäder beim Gespräch in Sissach über eine friedlichere Zukunft. Foto: © Daniel Aenishänslin
Roland Buser bezeichnet die Astronomie und Philosophie als «die ältesten Wege und Wegbereiter zum Wissen». Die beiden universalen Wissenschaften bilden für ihn eine dynamische Einheit. Sie respektieren die umfassende Komplexität des Menschen im Kosmos. Daran in einer keineswegs gewaltfreien Welt teilnehmen zu dürfen, erachtet er als «unschätzbares und unverlierbares Geschenk»: «Es lässt mich meine Existenz überhaupt erst als sinnvolles Leben führen und begreifen.» Das vertiefende und bescheiden stimmende Innewerden in Philosophie und Astronomie sei ihm sogar «die denkbar ergiebigste Quelle der Zufriedenheit».
Wenn Menschen auf dem zwar endlichen, aber unendlich reichen und kreativen Planeten unseres Universums zufrieden sein können, erfüllen sie die wichtigste Voraussetzung, «auf welcher allein der Friede als lebensfreundliche Daseinsform aller Lebewesen» beruhe, so Roland Buser. Er ist Autor des Buches Der Mensch im Kosmos (2020). Zu mehr Frieden führe auch die Bereitschaft, Dinge kommunikativ, ruhig und aus unterschiedlicher Perspektive anzugehen. Ja, so lassen sich Verzerrungen eigener Wahrnehmungen eher erkennen. Vor allem, wenn strukturelle Bedingungen individuelle Freiheit und soziale Gerechtigkeit für alle ermöglichen.
Einen konkreten Vorschlag dazu brachte Louis Kuhn ein, der frühere Ombudsmann des Kantons Baselland. Erhebliche Konflikte und Herausforderungen liessen sich über «eine weltweite Konföderation» bewältigen, wie sie Philosoph Immanuel Kant schon vor über 200 Jahren in Königsberg, heute Kaliningrad (Russland), angedacht habe. Kuhn rief die Schweizer Behörden dazu auf, diese konkrete Utopie in den internationalen Dialog einzubringen. Hoffentlich gelingt’s.
Titelbild: Ueli Mäder. Foto: © Christian Jaeggi
Annemarie Pieper: Denkanstösse zu unseren Sinnfragen, 2021
Roland Buser: Der Mensch im Kosmos, 2. Auflage 2020
Und: Wie humanisiert sich die Wirtschaft? So lautet das Thema am Donnerstag, 30. März um 19 Uhr im Bistro Cheesmeyer, Sissach). Mit Rolf Soiron (ehemals VR-Präsident von Lonza, Holcim und Nobel Biocare) sowie Susanne Leutenegger Oberholzer (Ökonomin, Juristin, alt Nationalrätin, ehemals Präsidentin der Wirtschaftskommission und des BL-Frauenrats). Musik: Liudmyla Kholodtsova (Ukraine).
Sorry Herr Mäder, aber warum müsst ihr Studierten immer so abgehoben an eine Sache herangehen und warum werden immer wieder dieselben «alten Denker» zitiert, um ein Thema wie z.B. den Begriff Frieden erklären zu wollen? Frieden ist eine handfeste und leicht erklärbare Sache: Frieden ist die Abwesenheit von Streit und deren Folgen. Fragen Sie die Kinder was für sie Frieden bedeutet; sie werden Ihnen sagen: mir stryte nid, mir hei Fride mitenand.
Dass Frieden in der Familie, im eigenen Land und zwischen Völkern und Staaten nicht immer leicht ist zu erreichen, ist allen klar, dass Friedensarbeit im heutigen Kontext Not tut auch. Hier hätte m.E. die moderne Philosophie die Chance den Menschen aufzuzeigen, dass es verschiedene Sichtweisen gibt, wie mit heutigen Methoden und Vorgehensweisen ein Konflikt angegangen und bewältigt werden kann und, dass, gemäss Ihrem Titel dieser Kolumne, Frieden kein Traum einer besseren Welt bleiben muss.
Wir brauchen jetzt Mutmacher*innen mit neuen Ideen und praktikablen Vorschlägen, auch seitens der Philosophie, damit unsere Welt wieder ins Lot kommt. Zitate aus längst vergangenen Zeiten sind hier wenig hilfreich.
Das engagierte Votum von Regula Mosimann kann ich nur zu Hälfte Nachvollziehen. Rückgriff auf alte Denkschulen hilft alleine genauso wenig wie selbstgerechte Vereinfachungen, was Frieden sei. Es krankt an etwas ganz anderem: es fehlt am prozessualen Denken (wie schafft und erhält man Frieden unter Verändernden Umständen) statt Definitionsfragen über Zustände (was ist Frieden). Normalzustand ist: es ist nie wirklich Frieden, überall wo Leben ist, bestehen Dynamik, Widersprüche und Spannungen. Man muss lernen an diesen Dingen Lebensfreude zu entwickeln und es als Herausforderung annehmen, daran gemeinsam zu arbeiten. Wie schafft man das? Wie nimmt man Veränderung wahr, setzt sie in Wandlung un? Das wäre zu vertiefen, akademisch wie auch praktisch, Frau Mosimann.
Toll, dass jemand meinen Kommentar wahrgenommen hat. Aber eigentlich wiederholen Sie mit anderen Worten meine Vorstellung von Friedensarbeit. Nur weil ich den Begriff des Friedens auf das Verhalten der Kinder «hinunter breche», ist das noch lange keine selbstgerechte Vereinfachung. Das Problem scheint mir viel mehr eine stetig zunehmende Akademisierung in unserem Bildungswesen und in der öffentlichen Debatte zu sein, wie hier beim Begriff des Friedens. Leider begegnet mir diese Art der Kommunikation auch bei seniorweb. Für Belehrungen dieser Art fühle ich mich jedoch definitiv zu alt, Herr Tinner.