StartseiteMagazinKulturLüge oder Wahrheit? Alles Theater

Lüge oder Wahrheit? Alles Theater

Für «Bühnen Bern» hat der Schweizer Schauspieler und Regisseur Bruno Cathomas Molières Verwechslungskomödie «Amphitryon» weiterentwickelt und ebenso schrill wie tiefgründig inszeniert. Das Premierenpublikum zeigte sich begeistert.

Molières «Amphitryon» (uraufgeführt 1668) basiert auf einer Parabel des römischen Dichters Plautus. Heinrich von Kleist hat die Verwechslungskomödie des französischen Theatergenies über 200 Jahre später überarbeitet und 1807 als Tragikkomödie herausgegeben. Das Stück wurde aber erst 1899, lange nach Kleists Tod, uraufgeführt. Version 3 des klassischen Stoffs stammt von Bruno Cathomas und steht unter dem Titel «Molières Amphitryon». Der Schweizer kehrt zurück zu Molières Schauspieltruppe und baut eine zusätzliche Aktionsebene ein.

Der verkannte Liebhaber

Die Handlung aus der griechischen Mythologie ist kurz erzählt: Göttervater Jupiter, bekannt für seine amourösen Abenteuer, verführt die irdische Alkmene in Gestalt ihres Gatten Amphitryon, ohne dass diese den verwandelten Liebhaber erkennt. Als der gehörnte Ehemann von einem siegreichen Feldzug zurückkehrt und von der einmaligen Liebesnacht erfährt, versucht er vergeblich seine Echtheit zu beweisen. Hin- und hergerissen zwischen Emotion und Treue kämpft Alkmene mit der Frage: Welcher der beiden ist der wirkliche Amphitryon. Dahinter steht die Frage aller Theaterfragen: Was ist Realität, was gespielt?

Keiner/keine traut dem Andern, der Andern.

Spiegelbildlich dazu gibt es die Ebene des Dieners Sosias und dessen Gattin Cleanthis (Sophia): Götterbote Merkur nimmt die Gestalt des Sosias an, unterlässt es aber, dessen Gattin zu verführen. Trotzdem steht die Welt der Menschen und Götter Kopf. Als sich am Ende die beiden Amphitryon-Gestalten gegenüberstehen, wird das Rätsel gelüftet: Jupiter klärt das angebliche Missverständnis auf und prophezeit Amphitryon als Wiedergutmachung die Geburt des heldenhaften Herkules.

Wer betrügt wen?

In seiner Inszenierung nutzt Regisseur Cathomas einen Trick: Er lässt Molières Stück von einer bunten Schauspieltruppe im Stil der «Commedia dell`Arte» proben. Der Akteur, der Amphitryon, verkörpert (Linus Schütz), ist für den Text verantwortlich, Alkmene (Yohanna Schwertfeger) führt Regie, Cleanthis (Lou Haltinner) assistiert. Für den ausgefallenen Merkur springt eine dynamische Ersatzfigur (Lucia Kotikova) ein. Der Diener Sisios (Claudius Körber) hadert auch als Schauspieler mit der eigenen Identität. Ein Bühnenarbeiter (Jonathan Loosli) kämpft mit einer Strompanne und schiebt geschickt Bühnenelemente herum. Insgeheim würde der «Schwarze» aber gerne im Stück mitspielen.

Die Proben drohen, kurz vor der Première, aus dem Ruder zu laufen. Immer wieder streiten die Spielenden über zentrale Fragen aus der Molière-Komödie. Ist eine bestimmte Schilderung wahr oder eine Lüge? Wer betrügt wen? Was ist Realität, was gespielt? Die Identitäten der Auftretenden vermischen sich mit deren Rollen. Sind die Gefühle echt oder nur gespielt? Meint es der Theaterpartner ernst oder spielt er die Rolle so gut, dass alle irritiert sind? Die Szenen sind vollbepackt mit Pointen, Wortspielereien und zauberhaften Einfällen. Zuweilen droht das schnelle Spiel ins Absurde abzugleiten.

Sisios hält seinen Herrn Amphitryon in den Armen und zweifelt an dessen Identität.

«Ich bin der, der ich nun bin, und man muss doch bleiben, der man ist», sagt Sisios und deutet an, dass die aufgeworfenen Fragen nicht einfach zu beantworten sind. Ein weiterer Kernsatz stammt nicht von Molière, sondern vom Philosophen und Publizisten Richard David Precht: «Wer bin ich und wenn ja, wie viele?» Wir alle spüren, dass in uns verschiedene Charakterzüge, unterschiedliche Figuren stecken. Welche kommen wann zum Einsatz? Dieser Fragen war sich offenbar schon Molière bewusst, als er im 17. Jahrhundert mit seiner Pantomimen-Truppe von Ort zu Ort zog und volkstümliche Stücke improvisierte. Dabei trugen die Spielenden Masken, die es ihnen erlaubten, in Sekundenschnelle von einer Figur in eine andere zu schlüpfen.

Aufopferung und Einsatz total

Mit den wechselnden Identitätskrisen einher geht auf der Berner Bühne die Feststellung, dass Theater eine harte, aufreibende Arbeit ist, die den vollen geistigen und körperlichen Einsatz der Beteiligten erfordert. «Alles muss man aufbringen, damit aus einer <Vorstellung> eine Vorstellung wird. Fokus, Energie, Geisteskraft, Akrobatik, Gefühle, Schweiss, Tränen, Blut, Kaffee, Kokain, Imagination, Verzweiflung, Schlaflosigkeit», sagt Alkmene und ergänzt: «Ich kann, weil ich will, was ich muss. Anders überlebst Du das nicht. Diese Bretter sind gnadenlos.» In der Tat: Theater ist Aufregung, Theater ist Vertrauen, Theater ist Leben, Theater ist alles. So sieht es offenbar auch der Regisseur.

Bühnenarbeiter auf Rollschuhen.

Denn gegen Schluss des Stücks lässt Bruno Cathomas sogar Molière in Gestalt von Jupiter auftreten. «Und wenn ihr hier auf diesen Brettern um euer Leben spielt, dann tut das durch meinen Text, meine Worte, meine Sprache, meine Emotionen. Ich bin ein Menschenfeind. Widerwillen. Dein Don Juan, ein Bürger als Edelmann. Nur der Geizige bin ich nicht. Tartüff, Tartüff, Tartüff», rezitiert Schauspieler Linus Schütz den grossen französischen Autor und Theatermann. Und unverhofft glaubt man als Zuschauer, in der Person von Bruno Cathomas ein bisschen Molière zu erkennen.

Die Inszenierung endet ebenso schrill wie sie begonnen hat: Die Spielenden werden sich bewusst, dass sie trotz der totalen Identifikation mit ihrer Rolle ein Privatleben mit privaten Bedürfnissen haben. Wie die Ensemblemitglieder an allen Theatern dieser Welt. Im Dialog mit dem Souffleur machen sie ihre Identitäten deutlich. «Ich habe diese Hauptstadt satt, ich will in die Provinz», sagt Merkur und meint damit Basel.

Amphitryon verfolgt Merkur.

Genial ist das Bühnenbild (Simeon Meier), das aus fahrbaren Treppenelementen, halb weiss, halb rosa, besteht. Für die Live-Musik sorgt ein engelhafter Notengott (Alvise Lindenberger). Die extravaganten Reifröcke, Stoffe und Perücken passen gut in die Zeit Molières. Mit dem sehenswerten Spektakel und den vielen aufwändigen Zutaten haben Bruno Cathomas und das ganze Team (Dramaturgie Julia Fahle) einen originellen neuen Zugang zur französischen Komödie geschaffen.

Titelbild: Gott Merkur (rechts) erklärt Sisios (links) und Alkmene (Mitte) die Wahrheit. Pressefotos © Florian Spring

Bühnen Bern

Vidmar 1. Aufführungen bis 4. Januar 2024

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