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Früher war der Schnee einfach da

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TEIL 6 DER SERIE «DAMALS – DAS WAR UNSERE SCHWEIZ»

Schnee: Heute fällt uns als erstes ein, dass es früher mehr gab. Er war Vergnügen – und Kälte mit klammen Zehen. Er war aber auch Tod und Verderben. Mit dieser sechsten Folge beenden wir unsere Serie mit historischen Fotos.

Was für ein starkes Einstiegsbild: Das kleine Mädchen hält die Hand des Mannes. Voller Vertrauen schaut es zu ihm auf. Vom Beschützer sehen wir nur, dass er sich zur Kleinen hinabbeugt. Eine eindrückliche Bildsprache. Die Aufnahmen sind zwischen 1939 bis 1955 entstanden.

Gerade jetzt, am 21. Januar 2024, ist es so, wie es sein sollte: Schnee auch im Unterland. Aber schon in den nächsten Tagen ist sie vorbei, die weisse Pracht. Früher war der Schnee neudeutsch nachhaltiger. Zuverlässig konnte man Schneeballschlachten schlagen, Schneemänner bauen, schlitteln und skifahren. Der Schnee war wochen- und monatelang der weisse Spass.

Wir erinnern uns aber auch an den Chuenagel an den Zehen, jene leichte Erfrierung, die schmerzte, wenn wir wieder an die Wärme kamen. Alles harmlos. Doch der Schnee brachte auch Not. Lawinen verwüsteten ganze Dörfer. Schnee war Freude und Leid. Aber aber er war da, zur richtigen Zeit und am richtigen Ort.

Wenn wir in wenige Tagen wieder vom Schnee reden, klagen wir, dass er fehlt. Nur schneeblinde Klimaleugner bezweifeln das. Statistisch am pointiertesten ist der Mangel an Weihnachten festzumachen. Im Vergleich mit der Periode 1960 bis 1990 gabs zwischen 1990 und 2020 nur halb so viele weisse Weihnachten.

Schnee entsteht aus gefrorenem Wasser in den Wolken, wenn dort die Temperatur mindestens 12 Grad Celsius unter Null liegt. Ausserdem sind feine Wassertröpfchen und Staubteilchen nötig. An winzigen Schneekristallen frieren immer mehr Wassertröpfchen fest, und es entstehen Schneeflocken. Diese sind grundsätzlich gleich aufgebaut, sechseckig mit sechs Strahlen. Doch im Detail ist jede Flocke einzigartig, keine sieht gleich aus.

Nein, der Weg ist nicht das Ziel, sondern ein Chrampf

Freigeschaufelt. Fotograf Bunner hat die Aufnahme nicht lokalisiert. Wir tippen auf. Nach Hinweisen von Lesern vermuten wir Rueras. SGV_12N_07077

Militär im Nebel. Auch diese Aufnahme hat Ernst Brunner nicht verortet. Durfte er sie in den frühen Vierzigerjahren nicht näher bezeichnen? SGV_12N_17813

Flappsig könnte man sagen, auf die Dosis kommt es an. Ein einzelne Schneeflocke ist wunderschön. Als Lawine verbreitet sie Schrecken. Einer der schlimmsten Lawinenwinter war 1999. Im Januar und Februar fielen während drei Nordwest-Staulagen in grossen Teilen der Alpen mehr als 5 Meter Schnee. Ganze Täler waren von der Aussenwelt abgeschnitten und viele Verkehrswege unterbrochen. In der Schweiz zählten die Versicherungen rund 1200 Lawinen, 17 Tote und Schäden von über 600 Millionen Franken. Am schlimmsten litt das Dorf Evolène im Wallis. Hier konnten 12 Menschen nur als Leichen geborgen werden. 27 Häuser und Scheunen wurden zerstört.

Noch verheerender war der Lawinenwinter 1959. Schon im November fiel überdurchschnittlich Schnee. Er blieb bis Ende Jahr liegen. Anfangs Januar kam viel Neuschnee dazu. Mitte Januar schneite es fünf Tage lang fast ununterbrochen. Anschliessend gingen in der Schweiz über tausend Schadenlawinen nieder. Durch sie starben zwischen dem 19. und 22. Januar 75 Menschen. Am stärksten betroffen war die Bündner Gemeinde Vals, wo die Behörden 19 Tote und 30 Verschüttete auflisteten. In St. Antönien im Prättigau entstand einer der grössten Gebäudeschaden, der je in der Schweiz durch Lawinen ausgelöst wurde. 33 Scheunen oder Ställe und 9 Wohnhäuser kamen zu Schaden. Man zählte 10 Verschüttete und einen Toten, weiter starben 50 Kühe.

Früher betrachtete man Lawinen als feindlich gesinnte Mächte. Daran ändert auch das Engadiner Sprichwort nicht: «I nu vain ma jo üna lavina chi saja dan per tuots.» (Eine Lawine schadet nie allen.) Aber da spielt wohl der Neid der Geschädigten auf jene, die davongekommen sind eine Rolle.

Als Lawine bedeutet der Schnee Unheil. Nicht ganz so schlimm, aber lästig ist er für Bähnler, Meteorologinnen, Strassenräumer und viele mehr. Auf einer anderen, eher symbolischen Ebene, spielt Schnee bei Märchen, Mythen und in der Literatur eine Rolle. Der Schnee fällt hier nicht einfach vom Himmel. Er hat eine Botschaft. Im Märchen steht er für Unschuld und Reinheit. Frau Holle schüttelt ihre Daunen erst aus, wenn ein braves Mädchen seine Pflichten erfüllt hat. Schneewittchen hinterlässt ein plastisches Bild, wenn drei Topfen Blut in den weissen Schnee fallen.

In Thomas Manns «Zauberberg» lebt die Haute Volée im Sanatorium in einer Fast-Quarantäne mit Schneeblick. Hans Castorp, der Protagonist, entschliesst sich, den Schnee nicht bloss anzustarren, sondern hinauszugehen. Der Winter schlägt zurück. Castorp kann sich vor dem Schneesturm gerade noch in eine Scheune retten. Franz Kafka lässt im «Das Schloss» die Häuser und Strassen im Schnee versinken. Nur das Schloss tritt für den angereisten Landvermesser schwarz umrissen hervor.

Der Schnee ist Spiel und Spass und Chuenagel

Kleinklasse. Sechs Mädchen und Buben beim Spiel in Bönigen bei Interlaken. Die Lehrerin hinten Mitte. SGV_12N_05637

Drei Mädchen, ein Knabe im Calancatal (GR). Blicken sie so ernst, weil die wollenen Strümpfe demassen kratzten? Hinten erkennen wir, dass sie schlitteln. SGV_12N_13005

Nicht ganz einfach zu erkennen. Unser Hinweis: Ein Mädchen im Schnee pflückt die ersten Krokusse. SGV_12N_16334

Der Schneesport ist literarisch kaum ein Thema. Für unsere Erinnerungen an die weissen Wochen der Fünfziger- und Sechzigerjahre hilft uns er uns als Gedächtnisstütze. Als erstes erkennen wir verblüfft unser damaliges ich in einem Teil der aktuellen Wintermode. Der Retro-Look ist da, Vintage auf den Skipisten. Wintersportlerinnen in knallbunten Jacken. Männlein und Weiblein tragen wieder neonfarbene Overalls, jene Dinger, von denen wir hofften, dass sie sich engültig verabschiedet hätten. Auch bei den Skischulen ist längst Vergessenes wieder aufgetaucht, Telemark-Schwünge, elegant und schwierig. Schöner Skifahren ist angesagt.

Mal abgesehen vom unerreichbaren Telemark: Viele von uns haben das ja vor Jahrzehnten selbst erlebt, manche erlitten: die Haselnuss-Stecken, die Holzlatten, die Kandahar-Bindungen, die Skischuhe mit den Gümmeli. Und weiter: Da gabs das Picknick mit Ovosport und getrockneten klebrigen Bananen. Da war der schweinekalte Transport im ungeschützten Sesselilift. Da waren die Keilhosen und die Riemlibindungen. Und schliesslich waren da Mutters Stolz, die wollenen gestrickten Strumpfhosen. Sie waren die Kratzer der Saison.

Da war die Fahrt mit dem Skilift. Der Bügel unter dem Füdli kam aber erst zu Hilfe, wenn man mit dem Vater und den Seehund-Steigfellen den Hang mühsam mit Muskelkraft bezwungen hatte. Und dann, ein paar Jahre später, im Skilager: Man brachte sich mit strategisch geschicktem Anstehen in Position. So gelang es mit dem bisher von ferne angebeteten Mädchen den Bügel zu teilen – und brachte während der ganzen Fahrt kein Wort heraus.

Der Schnee war auch damals ein Thema. Zu reden gab, ob er sulzig ist oder ob man bis ins Tal fahren kann. Heute dikutieren wir ihn ebenfalls. Aber nicht, ob er pulvrig ist oder an den Skiern klebt. Sondern ob er überhaupt da ist.

Skifahren war Kandahar-Bindungen, Holzlatten und Steigfelle

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Seniorweb beendet die Serie mit einem gutgekleideten Curler

Mit dieser Folge beenden wir die sechsteilige Serie mit historischen Fotos. Seniorweb bedankt sich bei der Empirischen Kulturwissenschaft Schweiz (früher Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde). Besonders unterstützt hat uns Archivarin Miriam Kull. Sie hat aus eigener Initiative dieses Bild herausgesucht. Der Mann im (Mass-)Anzug wird von einem Team unterstützt. Diese Kollegialität hat auch unsere Zusammenarbeit mit Miriam Kull geprägt.

Stilvoll 1940: Der Herr mit Knickerbocker, Béret und Schal schiebt den Stein in Wengen. Der Kurort hat unterdessen auch eine Curlinghalle. Doch wird immer noch auch draussen gespielt. SGV_12N_12150



Seniorweb und die Empirische Kulturwissenschaft Schweiz (EKWS)
zeigten die Schweiz von gestern. Die in diesem Beitrag präsentierten Fotos stammen aus den rund 300 000 historische Bilder umfassenden Sammlungen der EKWS. Seniorweb vermittelte thematische Serien mit Aufnahmen aus diesem Archiv. In diesem Beitrag sind es ausschliesslich Bilder des Fotografen Ernst Brunner (1901 bis 1979).

Die Empirische Kulturwissenschaft Schweiz hiess bis vor kurzem Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde. Die EKWS versteht sich als Netzwerk, das alle Akteure zusammenführen soll, die in der Schweiz zu Alltags- und Populärkultur forschen oder diese einer breiten Öffentlichkeit vermitteln.

Wer weiss mehr zu diesen Bildern? In vielen Fällen genügen die vom Fotografen erstellten Angaben nicht, um die Bilder zweifelsfrei zu identifizieren. Für die EKWS ist es deshalb hilfreich, wenn sie von der Seniorweb-Leserschaft weitere Hinweise erhält.

Wer Informationen zu diesen Bildern hat, mailt diese bitte an archiv@sgv-sstp.ch
Unabhängig von den Meldungen an die EKWS freut sich Seniorweb über Bemerkungen zum Thema und zur Serie in unserer Kommentarspalte.

Bildnachweis
EKWS, Sammlung «Ernst Brunner», SGV_12N. © Empirische Kulturwissenschaft Schweiz  (EKWS)

Links
Fotoarchiv der EKWS

Bisher erschienene Serien
Damals – das war unsere Schweiz
Landarbeit war Handarbeit
Frauen lernten putzen nähen, kochen
Die Welt zerbricht – die Schweiz wählt und wirbt
Maschinen ersetzten Muskelkraft

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