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Vom Weggehen und Heimkommen

In der Schweizer Erstaufführung «Gelbes Gold» geht es vordergründig um das beste Fritten-Rezept. Das Mundarttheater Matte in Bern zeigt das Stück der junger Berliner Theaterfrau Fabienne Dürr in einer melancholisch-hoffnungsvollen Inszenierung mit Berner Lokalkolorit.

Die Welt ist aus den Fugen geraten. Regionale Kriege könnten explodieren und die ganze Menschheit erfassen. Derweil treiben Despoten ungeniert ihr Unwesen. In den USA drängt Volkstribun Donald Trump ein zweites Mal an die Schalthebel der Macht. Die grossen Bühnen halten uns diesbezüglich im grossen Stadttheater einen Spiegel vor. Das kleine Theater Matte beschäftigt sich derweil mit dem Seelenzustand, der Einsamkeit der kleinen Leute, die nicht um den Weltfrieden, sondern um das kleine Glück, um die eigene Existenz ringen.

Als Zuschauer im kleinen Theater Matte fühlt man sich in die Provinz einer ostdeutschen Plattenbausiedlung versetzt: Fritz (Res Aebi), Besitzer eines Pommes Frites-Stands und Vater einer studierenden Tochter, lamentiert, frittiert und experimentiert in seiner Bude. Er träumt von einer Optimierung seines gelben Produkts, von der Entwicklung der «besten Fritten ever».

Res Aebi als Fritz, Budenbesitzer.

Seine Lebenspartnerin Mimi (Cornelia Grünig) zweifelt am Sinn des Projekts und kümmert sich stattdessen fleissig ums Geschäftliche: Vor dem Imbissstand rückt sie Plastikstühle zurecht, wischt Tische ab, klappt den Sonnenschirm auf und zu, putzt, bis alles glänzt und beginnt gleich wieder von vorne. Insgeheim träumt sie von einem besseren Leben, von Small-Talk mit netten Menschen und vom Meer.

Cornelia Grünig als Mimi, Aushilfe und Partnerin des Budenbesitzers.

Da kommt Ana (Xenia Netos), die erwachsene Tochter von Res, nach Hause. Sie studiert an der fernen Uni, ist modisch-modern angezogen und intellektuell vom städtischen Leben geprägt. Ana schwärmt von der Weite und der Freiheit der Grossstadt, fühlt sich aber mit ihrem Heimatdorf, ihrem Vater, ihren Freunden, der Provinz verbunden. Lebensfreude und Frust treffen aufeinander, Melancholie macht sich breit und wird im Lauf des Spiels zu Hoffnung.

Xenia Netos als Ana, Studentin und Heimkehrerin.

Ana trifft ihre Freundin Juli (Sonja Grimm), die im Dorf geblieben ist, gelangweilt in einer Kita arbeitet und gerade ihren Mann verlassen hat. Die junge Frau träumt von der Abwechslung, von einer Veränderung, vom Paradies Grossstadt. In nächtlichen Gesprächen, bei viel Bier und im gelben Licht der Fritten-Bude, tauschen die beiden Frauen Erfahrungen und Wünsche aus. Ana und Juli suchen – beide auf ihre Art – Geborgenheit, Erfüllung, Freiheit, einen Sinn im Leben.

Sonja Grimm als Juli, Kita-Mitarbeiterin.

Was ist besser? In die weite Welt hinauszuziehen, das Neue suchen, damit aber auch Risiken eingehen, in der Fremde fremd sein? Oder zu Hause, in der Enge leben, Träume nur träumen, statt sie zu realisieren, frustriert bleiben, sich aber in der Familie, bei Freunden aufgehoben fühlen? Die Diskussionen schwappen von den beiden Girls über auf Mimi und Res. Antworten gibt es viele, eine gemeinsame, alle befriedigende Lösung nicht.

Tochter Ana und Vater Fritz in der Bude.

Typisch am Stück, an der Inszenierung (Regie Corinne Thalmann), ist das Fehlen von Handlung, von «Action». Das Spiel plätschert vor sich hin. Es ist Tag, wird Nacht, die Protagonisten unterhalten sich über ihre Wünsche und Träume. Alle befinden sich an einem Wendepunkt ihres Lebens, aber nichts passiert. Alle möchten aus dem Trott ausbrechen, aber die Angst vor dem Scheitern, vor dem Versagen sowie die eigene Bequemlichkeit hindern sie daran.

Lokalkolorit dank Polo National

Wirkungsvoll unterstützt wird die kollektive Reflexion über das Unvermögen der Veränderung von Songs des Berner Mundart-Rockers Polo Hofer. Auch er hat sich in seinen Liedern dem Seelenzustand der kleinen Leute angenommen, dem Frust und der aufkeimenden Hoffnung angenähert. Abgestumpfte Gefühle, Passivität und Ironie sind auch in Hofers Songs ein wichtiges Element. Im Wechsel mit den Bühnendialogen ergibt dies ein interessantes Spannungsfeld.

In der Berner Erstaufführung dominieren die leisen Töne, feiner Witz und viel Nachdenklichkeit. Mimis gekonntes Minenspiel ist einer der vielen Höhepunkte in der Inszenierung. Die kleinbürgerliche Stimmung wird optisch unterstützt von einem zweckmässigen, gold-gelben Bühnenbild (Fredi und Andreas Stettler).

Fazit des Theaterabends: Es braucht nicht nur die grossen Bühnen, die über Macht und Diktatur, über Krieg und den Weltfrieden sinnieren. Es braucht auch die kleinen Theater, die uns, den kleinen Menschen, einen Spiegel vorhalten und uns motivieren, über Chancen und Riskien von persönlichen Veränderungen nachzudenken.

Zur Autorin

Fabienne Dür wurde 1993 in Berlin geboren und studierte Theaterwissenschaft und Deutsche Philologie an der Freien Universität Berlin sowie Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin.

LINK

www.theatermatte.ch

Titelbild: Pommes Frites-Verkäufer Fritz und Aushilfe Mimi vor dem Fritten-Stand. Alle Fotos: Rolf Veraguth

Vorstellungen bis zum 17. März 2024

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