Gegenwärtig verhandelt die Schweiz mit der EU über ein neues Rahmenabkommen. Im Gespräch mit Seniorweb legt der Unternehmer und Mitgründer von «Kompass/Europa», Urs Wietlisbach, dar, warum er gegen eine komplette institutionelle Anbindung unseres Landes an Europa ist.
Es versteht sich, dass seit Jahren die EU und die Schweiz über die Zukunft ihrer bilateralen Beziehungen Sondierungsgespräche führen. Vor drei Jahren entschied der Bundesrat, das institutionelle Rahmenabkommen (InstA) mit der Europäischen Union nicht zu unterzeichnen und die Verhandlungen aufgrund «substanzieller Differenzen» abzubrechen. Der Bundesrat unterliess es allerdings, der EU die roten Linien der Schweiz bezüglich dynamischer (automatischer Übernahme) von EU-Recht und der EU-Gerichtsbarkeit klarzumachen. Brüssel war über den Schweizer Ausstieg verärgert und hat seither auf neue Verträge mit der Schweiz verzichtet – bestehende wurden nicht mehr aktualisiert.
Inzwischen hat der Bundesrat ein neues Verhandlungsmandat mit der EU verabschiedet. Die Schweizer Regierung will das Verhältnis zur EU im Interesse beider Seiten optimieren. Bundesrat Ignazio Cassis, der Schweizer Aussenminister bringt es auf den Punkt: «In einer zunehmend instabilen Welt ist es entscheidend, stabile und sichere Beziehungen mit den Nachbarländern zu haben.» Auch Christa Tobler, Professorin für Europarecht an der Uni Basel findet, die EU sei der Schweiz nun deutlich entgegengekommen. Sie sei recht optimistisch, dass in den Verhandlungen ein eindeutiges Ergebnis erzielt wird: «Ich gehe eigentlich auch davon aus, dass sich dann die Bundesregierung dahinter stellen kann. Was wir weniger sicher wissen ist, wie sich dann das Parlament dazu stellt.» Es stehen in jedem Falle, schwierige Verhandlungen bevor, Entscheide, welche die Akzeptanz der neutralen, unabhängigen Schweiz entsprechen müssen. Es gibt in der Schweiz nach wie vor Kreise aus Politik und Wirtschaft, die vehement gegen eine institutionelle Anbindung unseres Landes an Europa kämpfen.
Wir unterhielten uns mit Unternehmer Urs Wietlisbach (Titelbild), Mitgründer der «Partners Group», Mitgründer der «Ursimone Wietlisbach Stiftung» und Mitgründer von «Kompass/Europa», über das Thema Europa und die Schweiz.
Herr Wietlisbach, sind Sie Europa-Schweizer?
Urs Wietlisbach: Was denken Sie? Ich bin hundertprozentiger Schweizer im Herzen von Europa, der das souveräne, föderale Land verteidigt und sich nicht einem zentralistischen Diktat von aussen unterstellt.
Was verstehen Sie konkret darunter?
Die Schweiz ist ein föderal organisiertes Land, in dem nicht die zentralisierte Bürokratie vorherrscht. In unserem Land soll die rechtsstaatliche und politische Autonomie im Verbund mit der Eigenständigkeit von Kantonen und Gemeinden erhalten bleiben.
Die Schweiz liegt geografisch in der Mitte des europäischen Kontinents und ist fast ausschliesslich von Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) umgeben. Aufgrund dieser geografischen und kulturellen Nähe, insbesondere aber wegen ihres politischen und wirtschaftlichen Gewichts, sind die EU und ihre Mitgliedstaaten die mit Abstand wichtigsten Partner der Schweiz.
Was Sie da erwähnen, erklärt ja offen und klar, dass wir als neutrales Land seit jeher geordnete politische, freundschaftliche und wirtschaftlichen Beziehungen mit unseren Nachbarländern pflegen. Wir schätzen unsere gegenseitige Autonomität, ohne dass wir Gefahr laufen möchten, dass beispielsweise die Rechtskompetenz der Schweiz ins Ausland vergeben wird.
Was ist denn das Ziel von «Kompass/Europa»?
«Kompass/Europa» hat sich immer stark gemacht für eine Lösung mit der EU auf Augenhöhe und Respekt vor dem anderen. Je nach Sektor sind wir auch mit der Übernahme von EU-Recht oder mit der Gerichtsbarkeit des EuGH einverstanden; so z.B. im Luftfahrtsabkommen, im Schengen/Dublin Abkommen oder auch in einem zukünftigen Stromabkommen. Was wir jedoch als schädlich für den Wirtschaftsstandort Schweiz betrachten, ist eine komplette, auf Dauer angelegte und damit unwiderrufliche dynamische Rechtsübernahme sowie den EuGH als letztinstanzliches Gericht der Gegenpartei in allen Binnenmarktabkommen.
Die Schweiz verhandelt aktuell mit der EU über ein neues institutionelles Rahmenabkommen. Was spricht dagegen?
Man kann bilaterale Vereinbarungen durchaus treffen. Der Bundesrat hat mit der Veröffentlichung des sogenannten «common understanding» am 15. Dezember 2023 seine Strategie im Umgang mit der EU bekannt gegeben. Er will einen Rahmenvertrag 2.0, d.h. wir bekommen einfach alten Wein in neuen Schläuchen serviert. Zwar betont der Bundesrat, dass er nach dem gescheiterten Rahmenabkommen 1.0 vom Mai 2021 sektoriell neu verhandeln will, jedoch durchschaut jede interessierte Stimmbürgerin und jeder interessierte Stimmbürger diese Augenwischerei.
Warum Augenwischerei?
Unsere Exekutive hat mit diesem Vorgehen bereits vor den Verhandlungen vor der EU kapituliert, weil sie in jedem Sektor sowohl die dynamische Rechtsübernahme wie auch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) akzeptiert hat. Das ist ein Armutszeugnis für unser Land.
Was spricht also gegen das anvisierte Rahmenabkommen?
Die Schweiz ist nicht besser als irgendein Land in der EU, aber wir sind erfolgreicher, weil wir ein einzigartiges politisches System haben. Die direkte Demokratie, der Föderalismus sowie eine relativ zum europäischen Ausland tiefe Regulierungsdichte ermöglichen es unseren Firmen, ob klein oder gross, erfolgreich zu sein. Diese Standortvorteile dürfen wir nicht leichtfertig aus der Hand geben. Das Rahmenabkommen 2.0, wie vom Bundesrat nun vorgesehen, nivelliert die Schweiz ins europäische Mittelmass. Es ist wirtschaftlich nicht sinnvoll, es ist staatspolitisch gefährlich, weil es unsere direktdemokratischen Rechte, auch diejenigen der Kantone, beschneidet und es widerspricht dem Grundsatz eines jeden Rechtsstaates, seine Gesetze souverän zu erlassen und souverän zu überprüfen.
Was will denn «Kompass/Europa» mit seiner Volksinitiative?
«Kompass/Europa» will die Standortvorteile der Schweiz weiterentwickeln und sich nicht in eine einseitige Abhängigkeit gegenüber der EU versetzen lassen. Dies erfordert eine Grundsatzdebatte in der Schweiz zu unserem Verhältnis mit der EU. Mit unserer Initiative wollen wir einerseits diese Debatte anstossen und uns anderseits gegen die dynamische Rechtsübernahme und den EuGH wehren.
Der Bundesrat hat am 8. März das definitive Verhandlungsmandat mit der EU verabschiedet. Am 18. März 2024 haben die Schweiz und die EU die Verhandlungen offiziell eröffnet. Berücksichtigt man das sehr aufwändige Prozedere, das zu der Ausformulierung dieses Mandats geführt hat, halte ich die Aussage von Urs Wietlisbach, Mitgründer von «Kompass/Europa», die mit einer Volksinitiative den wichtigen Schritt der Schweiz verhindern will, nicht nur für abwertend und arrogant gegenüber den erneut erbrachten Leistungen der Mandatsverfasser, sie entspricht ausserdem nicht den Tatsachen. Herr Wietlisbach bedient lediglich das Narrativ «alter Wein in neuen Schläuchen», das ja auch die SVP ständig wiederholt mit der Absicht, nur oft und laut wiederholen, dann wird es wahr und die Leute glauben es.
Dass das Rad für diese Vorlage nicht neu erfunden werden musste, ist wohl allen klar, die die unglaublich mühsamen und jahrelangen Bemühungen derjenigen verfolgt haben, die die billateralen Verträge mit der EU auf den Weg brachten und umgesetzt haben. Vieles ist gut durchdacht und hat in der Vergangenheit funktioniert und hat für die Schweiz viele Vorteile erbracht; dieser Text kann deshalb in das neue Mandat übernommen werden.
Mit den Änderungen, die neu eingebracht wurden, kann eine Einigung mit der EU realisiert werden ohne, dass dabei die Neutralität, der Föderalismus, die Gerichtsbarkeit, noch die freie Handlungsfähigkeit der Schweiz beeinträchtigt werden. Hier der Link zu den Mitteilungen des EDA und dem Text des entgültigen Verhandlungsmandats (PDF):
https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/das-eda/aktuell/newsuebersicht/2023/europa.html
Ich habe mir die Personenliste der Gegener eines Rahmenabkommens mit der Europäischen Union bei «KompassEuropa» durchgelesen und bin nicht erstaunt, dass es sich in vorwiegend um männliche Repräsentanten und Profiteure unseres Kapital orientierten Wirtschaftssystems handelt. Diese wollen sich unter dem Mäntelchen der Direkten Demokratie alle Optionen offen halten, um Gewinne zu machen und scheren sich einen Deut um Solidarität und Zusammenhalt auf unserem gemeinsamen Europäischen Kontinent. Diese Haltung setzt nach meiner Auffassung nicht nur die Glaubwürdigkeit der Schweizer Regierung sondern auch unsere freundnachbarliche und sichere Zukunft in Europa aufs Spiel.
Die Meinung von Weissen kann mit Sicherheit nicht in Bausch und Bogen verworfen werden. Leider leitet er sie in obigem Artikel nicht sauber her, so dass wir schlussendlich nicht klüger sind als zuvor.
Die Frage ob und wie weit EU-Recht die demokratischen Rechte der Schweizer und den Föderalismus beeinträchtigen kann, ist à la longue zentral und einiges wichtiger als das Spesentheater der Gewerkschaften, wurde aber nie sauber geprüft. Die bis heute herumgebotenen widersprüchlichen Behauptungen sind insbesondere keine Beweise.
Was gibt es da zu verhandeln?
Entweder
Kompromisslos EWR oder
Ķompromisslos Drittstaat