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Zu Besuch bei Pfarrer Conradin Conzetti

31 Jahre lang evangelischer Pfarrer in Bern-Bethlehem, Mitbegründer der Offenen Heiliggeist-Kirche, Stadtrat, Präsident der städtischen Sozialhilfekommission, Seelsorger, Autor. Conradin Conzettis Stationen sind vielfältig. Seniorweb hat den 81-Jährigen besucht.

Aufgewachsen ist Conradin Conzetti in Pratteln bei Basel. Nach der Matura studierte er Theologie in Berlin, Heidelberg und Basel. Geprägt vom Geist der 68er-Bewegung faszinierte den Studenten die linke, sozial-ethische Emanzipationstheologie sehr. 1976 übernahm er in der Berner Stadtrandgemeinde Bethlehem ein Pfarramt. Später teilt er dieses Amt mit seiner Frau, ebenfalls einer Theologin.

Aus verschiedenen Gründen rutschte er während der zweiten Amtszeit in eine persönliche Krise und erwog einen Berufswechsel. Doch nach einer Zusatzausbildung in der Erwachsenenbildung entschied er sich, im Pfarrberuf zu bleiben. Als Ausgleich zur Gemeindearbeit engagierte er sich als Vizepräsident beim Christlichen Friedensdienst und in der Offenen Kirche. Während den folgenden Jahren entdeckte er das spirituelle Gemeindeleben in der pastoralen Präsenzarbeit. Neben den häufigen Wechseln im Pfarrteam wurde er zum ruhenden Pol in der Kirchgemeinde. Doch auch ihm war Abwechslung im Job wichtig.

Lesen gehört zu Conzettis Lieblingsbeschäftigungen.

Gegen Ende seiner beruflichen Tätigkeit zog es Conzetti in die Politik. Als Vertreter der Grünen Freien Liste wurde er 2002, sechs Jahre vor seiner Pensionierung, ins Berner Stadtparlament, in den Stadtrat, gewählt, dem er bis 2010 angehörte. Anschliessend war er vier Jahre lang Präsident der Sozialhilfekommission. In dieser Funktion half er, das Aufsichtsgremium für die Berner Sozialdienste, dem neben ehemaligen Stadträten auch Vertreter der Verwaltung angehörten, aufzubauen.

Conzetti üernimmt ab und zu Gottesdienst-Stellvertretungen, unter anderem im Berner Münster.

Vielseitige Interessen

Wir sitzen im Wohnzimmer an einem grossen Esstisch. Aus dem heissen Espresso-Kocher dringt ein feiner italienischer Kaffeeduft. Genau wie im benachbarten Lesezimmer hängen auch im Esszimmer geschmackvolle Symbolbilder mit warmen Farbtönen. Sofa und Stühle sind aus weinrotem Leder und passen wunderbar zum hellbraunen Parkett. Zahlreiche interessante Bücher liegen auf dem Tisch des Gastgebers, zuoberst eins über Europas Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg.

Weshalb er es 31 lange Jahre als Pfarrer in derselben Kirchgemeinde ausgehalten habe, möchte ich wissen. Conradin Conzetti denkt lange nach, bevor er antwortet: «Nachdem klar war, dass ich den Beruf nicht wechsle, sondern Pfarrer bleibe, gab es keinen Grund mehr, von Bethlehem wegzuziehen», meint er. Sehr gerne habe er sich schwergewichtig um Trauerfeiern, Unterricht und seelsorgerische Präsenzarbeit in der Kirchgemeinde gekümmert. Das sei für ihn eine ebenso abwechslungsreiche wie befriedigende Tätigkeit über viele Jahre hinweg gewesen.

Spannungsfeld Kirche – Politik: ein Nebeneinander

Als Pfarrer gestaltete er am Ende seiner Laufbahn im Stadtrat die Politik mit. Wie er als Mitglied der «Grünen Freien Liste» das Spannungsfeld zwischen Kirche und Politik erlebt habe, will ich wissen. Denn regelmässig regen sich Vertreterinnen und Vertreter konservativer Parteien auf, wenn sich kirchliche Organisationen in politische Fragen einmischen und beispielsweise eine Abstimmungsparole beschliessen.

Blick ins Grüne: Conzetti auf seinem Balkon.

Für Conzetti war das Verhältnis zwischen Kirche und Politik nie ein Problem. «Es sind getrennte Systeme.» Nach seiner Erfahrung interessierte sich die kirchliche Seite nicht dafür, was der Stadtrat macht, und umgekehrt. Bei einem Ausflug seiner Fraktion zusammen mit dem Kirchgemeinderat hätten die einen oben, die anderen unten an einem langen Tisch gesessen, aber nicht gross miteinander diskutiert, erinnert er sich.

Zufrieden denkt Conzetti an seine Präsidialzeit in der Sozialhilfekommission zurück. Dem Gremium sei es gelungen, Ruhe in das durchgeschüttelte Sozialhilfewesen der Stadt Bern zu bringen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Front mit Wertschätzung und Rat zu unterstützen. Der Pfarrer bedauert, dass der Kanton Bern heute im Sozialhilfewesen den Rotstift ansetzt und viele Bedürftige die Budgetkürzungen als Erste zu spüren bekommen. Doch auch er könne das nicht ändern, sagt er.

Gespräche mit Sterbenden

Nach seiner Pensionierung besuchte Conzetti während sieben Jahren Menschen auf der Palliativ-Station des Berner Inselspitals; nicht als Pfarrer, sondern als Privatperson. Die Gespräche mit Sterbenden seien ihm wichtig und auch für ihn spannend gewesen. Ein «guter Tod» zeichnet sich nach seiner Meinung dadurch aus, dass jemand dankbar, mit sich und seinem Umfeld versöhnt sowie schmerzfrei sterben darf. Dass man nach dem Tod in den Himmel kommt, ist für den ehemaligen Pfarrer ein schöner Gedanke für Sterbende und vielleicht für deren Angehörige.

Conradin Conzetti. Foto TVZ.

Was nach dem Tod kommt, weiss auch Conzetti nicht. Er zitiert den Evangelisten Johannes (18/36), der Jesus sagen lässt: «Mein Reich ist nicht von dieser Welt.» Gemeint ist laut Conzetti, dass das irdische Dasein und das Gottes Reich auf verschiedenen, nicht vergleichbaren Ebenen liegen. Laut der christlichen Theologie endet das Leben eines Menschen mit dem Tod. Danach wird der Mensch «in der Gegenwart von Gott neu erschaffen.»

Das göttliche Reich liegt nach Überzeugung des Pfarrers ausserhalb von Raum und Zeit, aber erfüllt von Herz, Glaube, Liebe, Hoffnung, Und was ist mit der mittelalterlichen Theorie, dass Gott seinen Sohn Jesus geopfert hat, um die Menschen zu erlösen? Die während Jahrhunderten gepredigte «Erlösungsmechanik» funktioniert für Conzetti nicht.

Auch auf die Frage, weshalb Gott mörderische Kriege, Hunger, Armut und Menschenrechtverletzungen zulässt, hat der Pfarrer keine Antwort. Über die Gründe für die schlechte Verteilung des irdischen Wohlstandes, für die Ablehnung der Reichtumssteuer und der Bankeninitiative wüssten wir noch viel zu wenig, findet er und ergänzt: «Ich traue den Imperien, den Regierungen in Ost und West, nicht.»

Graubünden und Italien als Reiseziele

Im Übergang in die Pensionierung waren ihm der richtige Mix, die Vielfalt wichtig. So durfte er einige berufliche Tätigkeiten weiterführen, gleichzeitig aber neue Leidenschaften entdecken und schöne Kontakte mit Familie und Freunden pflegen. «Heute schätze ich mich glücklich, für alles, was mir Lust macht, genügend Zeit zu haben.» Zum Beispiel für das Reisen. So zieht es Conzetti und seine Partnerin regelmässig nach Poschiavo, wo er 1943 geboren wurde, oder ins kulturell reiche Italien. In Griechenland, Israel, Jordanien und im Iran war er schon.

Zu Hause, in der Schweiz, definiert er sich als dreifacher «Gruppenmensch»: Conzetti ist Mitglied einer Lesegruppe, einer Männergruppe und trifft sich seit kurzem mit fünf ehemaligen Mitschülern aus seiner Basler Gymi-Zeit. Mit Blick auf seine eigene letzte Reise meint der frühere Pfarrer, der vor einigen Jahren einen Herzinfarkt überlebt hat: «Sterben zu können ist ein Glück. Es ist für mich unvorstellbar, ewig leben zu müssen. Zum Sterben Ja zu sagen, gehört zum Leben wie die Geburt auch.»

Titebild: Der pensionierte Pfarrer in seinem Wohnzimmer. Fotos PS.

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1 Kommentar

  1. Für mich ist eine Bemerkung von J.W.von Goethe nachdenkenswert:»Unmöglich ist`s, drum eben glaubenswert…».Glück auf! Ein ehemaliger Berg-und Parteiarbeiter aus Zwickau

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