Die Ausstellung «A Single Universe» der Genfer Künstlerin und Filmemacherin Pauline Julier ist eine intergalaktische Tour durch die geologischen Zeitalter der Erde bis ins Weltall. Das Aargauer Kunsthaus präsentiert die erste umfassende Einzelausstellung der Künstlerin mit Videoinstallationen zwischen Wissenschaft und Kunst.
A Single Universe im Aargauer Kunsthaus ist die grösste institutionelle Werkpräsentation der Genfer Künstlerin und Filmemacherin Pauline Julier (*1981). Ihre immersiven Videoinstallationen vereinen Wissenschaft und Fiktion. In multimedialen Zeitreisen verbindet sie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit zentralen Fragen: «Wie weit ist die Menschheit bereit, ihre Ressourcen bis ins Weltall auszubeuten. Wie können wir auf die Komplexität des Klimawandels reagieren? Wie stellen wir uns eine wünschenswerte Zukunft vor?».
«Explodierende Supernova», 2023. Videostill
Die raumgreifende Videoarbeit Supernova (2023) zu Beginn der Ausstellung zeigt einen kleinen roten Ball, der immer grösser wird und schliesslich in einem bläulichen Lichtblitz explodiert. Die Supernova, ein Riesenstern, der in Schönheit endet, ist eine Metapher: «Wissenschaft und Poesie sind keine Gegensätze. Leben und Tod liegen nah beieinander. Zerstörung kann auch ein Neubeginn bedeuten», schreibt Kuratorin Céline Eidenbenz im Saalblatt, das die Besuchenden beim Rundgang hilfreich begleitet, zumal die Ausstellungstexte und Videos vorwiegend in englischer Sprache sind.
«The World’s Oldest Landscape» (2017-2019). Blick in die Ausstellung.
Aus Juliers Werkzyklus Naturalis Historia stammt die Videoarbeit The World’s Oldest Landscape (2017-2019). Das Video ist Teil einer monumentalen Wandtapete, die einen 300 Millionen alten versteinerten Wald darstellt, der 2010 in Nordchina entdeckt wurde. Die Videobilder zeigen karge, zerklüftete Landschaften. In einem Labor werden Fossilien mit in Tuffstein konservierten Blättern und Ästen vorgestellt.
«La Grotte» (2017-2019). Die Videoinstallation mit Bildern aus der Walliser «Grotte aux Fées» hat eine hypnotische Wirkung. Videostill: rv
Die Schau präsentiert auch zwei Gemälde von Caspar Wolf (1735-1783). Der frühe Gebirgsmaler aus dem Aargauischen Muri bildete die Natur nicht nur ab, sondern untersuchte sie bis hin zu geologischen Schichten. Sein Bild Eingang zur westlichen Beatushöhle mit dem Efeubaum (1776) führt weiter zur immersiven Videoarbeit La Grotte (2017-2019) von Julier. In grosser Dunkelheit faszinieren Bilder aus dem Inneren der Grotte aux Fées im Wallis, blaue, schwebende, sich verändernde Materie, begleitet von sphärischen Klängen.
«Cassini’s Suicide» (2017-2019), Installationsansicht
Die Videoarbeit Cassini’s Suicide (2017-2019) führt von der Antike bis ins All. Kernthema ist die amerikanische Weltraumsonde Cassini, die im September 2017 beim planmässigen Eintritt in der Atmosphäre des Saturn verglühte. Für das Video arbeitete die Künstlerin mit Aufnahmen der NASA vom Start der Sonde im Jahr 1997 und mit Fotografien des Planeten Saturn, seine Ringe und Monde, die von der Raumsonde aus gemacht wurden. Auch animierte Bilder bis hin zu Plinius’ Geschichte, der beim Ausbruch des Vesuvs starb, werden in Cassini’s Suicide miteinander verbunden.
«Trunk» (2024). Die Keramik-Skulptur basiert auf 3-D-Scans des ältesten Baums der Schweiz, der sich im Naturmuseum Wallis befindet. Es ist eine massstabgetreue Nachbildung des 300 Millionen Jahre alten und 1,8 Tonnen schweren Baumfossils.
Zum Rechercheprojekt Occupy Mars, in Kooperation mit dem Filmemacher Clément Postec, gehört die Arbeit Là où commence le ciel (2024. Die dreiteilige Installation besteht aus einer halbrunden Hütte aus Ästen, aus einer projizierten Textarbeit sowie aus einem wissenschaftlichen Video, das ein Auge während einer Operation des Grauen Stars zeigt. Die Analogie zwischen Augapfel und Erdkugel, zwischen der Kreisform der Holzstruktur und der Endlosschleife des Textes unterstreicht die Bedeutung des Werktitels: «Der Himmel beginnt irgendwo zwischen unserer Hornhaut und der Horizontlinie».
«Là où commence le ciel », (2024), Installationsansicht. Foto: rv
Die fast einstündige Filminstallation Follow the Water (2023) entstand ebenso in Zusammenarbeit mit Filmemacher Clément Postec. Für die künstlerische Umsetzung der Fragen nach Ausbeutung von Ressourcen, Realitätsflucht und Weltraumkolonisierung suchten die Filmschaffenden eine marsähnliche Landschaft. Sie fanden diese in der chilenischen Atacama-Wüste, wo sich eine der grössten Lithiumminen der Welt befindet.
In der Atacama-Wüste in Chile suchen die Kunstschaffenden analog zum Mars Spuren von Wasser und Leben mit dem nachgebauten Rover «Opportunity». Blick in die Ausstellung
Im Film kreuzen sich in der Atacama-Wüste verschiedene Geschichten: Der Kampf einer indigenen Frau für die Wasserrechte. Für sie ist die Erde ein Körper. «Wie Adern und Venen» sind Wasser und Land untrennbar miteinander verbunden. Ein anderer Erzählstrang thematisiert die Zweifel der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Erforschung der Wüste als analoges Terrain zum Planeten Mars. Der dritte Strang hinterfragt den Abbau des Lithiums mit den Folgen für die Bevölkerung, auch die Hoffnung der Industriellen auf Profit.
Der Abbau von Lithium in der «Salar de Atacama» senkt den Wasserspiegel ab und ist für die Bevölkerung in dieser trockensten Gegend der Welt eine Bedrohung. Videostill: rv
Follow the Water wird als Video-Triptychon auf einer dreiteiligen Leinwand präsentiert, mit Überlappungen und Multiperspektivität. Die Blickwinkel verbinden sich und brechen wieder auseinander. Dazwischen preschen Atacama-Reiter mit Standarten durch das Bildfeld, ein fiktionaler Einschub, der die innere Sicht künstlerisch ausdrückt.
Titelbild: Pauline Julier, «Supernova», 2023, Videostill.
Bilder: © Pauline Julier, Aargauer Kunsthaus zvg und rv
Bis 27. Oktober 2024
Pauline Julier, A Single Universe im Aargauer Kunsthaus in Aarau
Katalog «Pauline Julier and so on, A Single Universe», mit verschiedenen Beiträgen, reich illustriert, deutsch/englisch, 2024 Aargauer Kunsthaus, CHF 49.00
Weitere Beiträge in Seniorweb zu Umweltthemen im Aargauer Kunsthaus:
Gletscherschwund in der Kunst
Verletzliche Schönheiten