StartseiteMagazinKulturEin Kulturerbe zerstückelt in Museen

Ein Kulturerbe zerstückelt in Museen

In Zürich setzen sich zwei Ausstellungen mit dem 1897 geraubten Kulturerbe aus dem Königtum Benin im heutigen Nigeria auseinander. Das Museum Rietberg und das Völkerkundemuseum der Universität Zürich präsentieren Werke im Rahmen der «Benin Initiative Schweiz» in Zusammenarbeit mit Fachleuten aus Nigeria. 

Benin war ein souveränes Königreich und unterhielt seit dem 15. Jahrhundert einen regen Handel mit Europa. Als sich König Oba Ovonramwen 1897 nicht an die neuen, von der britischen Kolonialregierung aufgestellten Regeln hielt, wurde er abgesetzt, ins Exil geschickt und der Palast in Schutt und Asche gelegt.

Das Innere des Königspalastes in Benin nach der Zerstörung 1897. Am Boden liegen die von den Wänden abgerissen Bronzeplatten, bereit für den Transport nach Europa. Mitten drin die Plünderer. Foto: Museum Rietberg

Tausende aufwendig gefertigte Objekte wurden geraubt und verkauft. Feine Elfenbeinschnitzereien, Gedenkfiguren und Reliefplatten aus Bronze, herausgerissen aus ihrem Kontext, kamen als Kriegstrophäen in den Handel und wurden schliesslich Ausstellungsstücke in europäischen Museen. Auch in der Schweiz: in den Zürcher Sammlungen des Museums Rietberg und des Völkerkundemuseums.

Gedenkkopf von Oba Osemwende, Königtum Benin, Edo, nach 1848. Gelbguss. Foto: Rainer Wolfsberger. © Museum Rietberg

Seit einigen Jahren hinterfragen Museen ihren Umgang mit Werken aus Raubgut. 2020 schlossen sich acht Schweizer Museen zusammen und gründeten im engen Austausch mit nigerianischen Institutionen und Fachleuten die Benin Initiative Schweiz zur Förderung der Provenienzforschung, unterstützt vom Bundesamt für Kultur. Dieser Zusammenschluss mag ein erster Schritt sein, verdrängte Geschichte offenzulegen und erlittenes Unrecht anzuerkennen.

Kurator Alexis Malefakis und das Team am Völkerkundemuseum Zürich entdeckten aufgrund der Bruchkante, dass der Kopf nicht zu diesem Reiter gehört. Bruchstücke des Kulturerbes des Königtums Benin liegen in über 130 Museen in der ganzen Welt verstreut. Foto: Kathrin Leuenberger, 2024, © Völkerkundemuseum UZH.

Die Ausstellung Benin verpflichtet im Völkerkundemuseum der Universität Zürich ist in vier Passagen gegliedert. In den Vitrinen sind die Artefakte von zwei Seiten einsehbar. So trägt etwa eine Reliefplatte auf der Rückseite die Inventarnummer des Sammlers und verweist damit auf die Praktiken europäischer Kunstliebhaber. Auf der anderen Seite der Vitrine sind die Erklärungen über die Bedeutung des Objekts zu lesen, die dank der Zusammenarbeit mit dem nigerianischen Benin-Historiker Patrick Oronsaye entstanden. Er ist ein Nachkomme des vertriebenen Obas.

Anhängermaske, Uhunmwu-Ekue, Königliche Gilde der Bronzegiesser Igun Eronmwon, Königtum Benin, 17./18. Jh. Die Maske gehört vermutlich zum britischen Raubgut und gelangte über den Schweizer Sammler Han Coray in die Sammlung des Völkerkundemuseums Zürich. Foto: Kathrin Leuenberger, 2021, © Völkerkundemuseum UZH.

Die Objekte wurden in Benin nicht als Kunstwerk, sondern im Gedenken an historische Ereignisse geschaffen. Jedes Werk entspricht in dieser schriftlosen Kultur einem visuellen Geschichtsbuch. Wichtige Ereignisse wurden als Relief auf Bronzeplatten festgehalten und an den Wänden und Säulen des Palastes aufgehängt. Durch die Plünderung wurde dieses ganze Archiv aus dem Zusammenhang gerissen.

Die Reliefplatte im Völkerkundemuseum zeigt zwei Oba-Figuren bei einer Zeremonie zu Ehren der Gottheit Ogun. Foto: rv

Im Völkerkundemuseum zeigt eine Reliefplatte zwei Oba-Figuren bei einer Zeremonie zu Ehren der Gottheit Ogun, Gott des Krieges, des Eisens, der Bauern und Bringer der Zivilisation. Verbunden mit einem Fest wird Ogun für die Überwindung von Unglück gedankt mit der Bitte, die Menschen vor Leid und Konflikten zu bewahren. Nicht nur die Bronzetafeln erzählen die Geschichte Benins, auch die Bilder auf den geschnitzten Elfenbeinstosszähnen, die auf Gedenkköpfen aus Bronze aufgesetzt wurden. Diese gehörten zu den Ritualobjekten in Ahnenschreinen, wie die historische Aufnahme zeigt, und sind ebenso über die ganz Welt verstreut.

Ahnenaltar eines Oba mit Ritualobjekten aus Messing, Elfenbein, Holz und Stein. Nigeria, Benin City, 1954. Foto: Elsy Leuzinger, Fotoarchiv © Museum Rietberg

In Benin-City, der heutigen Hauptstadt des Bundesstaates Edo State, besteht immer noch eine Bronzegiesser-Gilde. Der Bronzegiesser Phil Omodamwen bildete im Auftrag des Völkerkundemuseums eine historische Glocke im Lost-Wax-Verfahren nach. Ein Video zeigt den ganzen Herstellungsprozess. Um der Bronze ihren Glanz zu verleihen, wird sie mit Salz, Asche und Limette poliert. Auch das Museum Rietberg arbeitet mit den Bronzegiessern zusammen und beauftragte die Werkstätten mit neuen Werken im alten Stil. Historische «Benin-Bronzen» wurden oft aus Messing und anderen Metalllegierungen hergestellt. Das Metall wurde aus Europa importiert und mit dem Sklavenhandel finanziert. So waren der Oba und seine Gefolgsleute nicht nur Opfer, sondern auch Täter.

Royal Leopard, zeitgenössische Figur im alten Stil. Giessereiwerkstatt Phil Omodamwen Nigeria, Benin City, vor 2023, Gelbguss, 2024. Foto: Rainer Wolfsberger © Museum Rietberg.

Die Ausstellung im Museum Rietberg Im Dialog mit Benin wurde nicht wie früher als ästhetische Kunstschau, sondern im Wissen um die konfliktreiche Geschichte in Zusammenarbeit mit Fachleuten aus Nigeria konzipiert. Auch die Frage nach der Restitution wird sichtbar. Alle Beuteobjekte sind auf den Bildlegenden mit einem roten Punkt erkennbar.

Gestaltet wurde die Rietberg-Ausstellung von der schweizerisch-nigerianischen Architektin Solange Mbanefo. Sie liess sich von den lichtdurchfluteten Innenhöfen des Palastes von Benin inspirieren und schafft im Zentrum Raum für die Geschichte des Benin-Königtums und die Handwerkskunst. Der Rundgang im Aussenbereich greift die Herkunft der Objekte auf, von ihrer Entstehungsgeschichte bis hin zum heutigen Standort. Archivdokumente und Karten veranschaulichen die Wege.

(links) Der Kunsthändler Charles Ratton erwarb 1931 die Reliefplatte auf der Breton-Eluard-Auktion. Paris war in den 1920er Jahren eine Hochburg für den Handel mit Kunst Afrikas, die auch die Künstler inspirierte. Foto: Museum Rietberg. (rechts) «Zu Ehren von Königinmutter Idia», Neuinterpretation der Hüftmaske der Königinmutter Idia, aus der Giessereiwerkstatt Phil Omodamwen im Auftrag des Museums Rietberg. Foto: rv

Für die Menschen der Diaspora ist die Begegnung mit Werken aus ihrer Heimat wie ein Heimkommen, ein tiefes, berührendes Erlebnis. Zum ersten Mal sehen sie ihre Geschichte nicht nur vom Hörensagen aus der Familie und der Schule, sondern mit eigenen Augen. Ein Besucher meinte: «Die Objekte gehören zu uns, aber sie gehören uns nicht.» Auch der Historiker Patrick Oronsaye, der in Benin City seit 30 Jahren mit Benin-Objekten arbeitet, kannte diese nur von Fotografien. Für ihn war die physische Begegnung überwältigend und er schreibt im Katalog: «Wenn man nicht weiss, woher man kommt, kann man auch nicht wissen, wohin man geht. Die Werke repräsentieren unsere Geschichte und unsere Seele.»

Titelbild: Giessereiwerkstatt von Phil Omodamwen in Benin-City, Nigeria, 2022. Foto: Alice Hertzog, © Museum Rietberg

Bis 16. Februar 2025
«Im Dialog mit Benin. Kunst, Kolonialismus und Restitution», im Museum Rietberg, Zürich

Bis 14. September 2025
«Benin verpflichtet. Wie mit geraubten Königsschätzen umgehen?», im Völkerkundemuseum» der Universität Zürich, Pelikanstrasse 40, 8001 Zürich

Publikation zur Ausstellung: «In Bewegung. Kulturerbe aus Benin in Schweizer Museen», Hrsg. Museum Rietberg und Völkerkundemuseum der Universität Zürich, Zürich 2024, in Deutsch und Englisch, CHF 19.00

Vom Objekt zum Museumsstück
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