Fragile Arktis

Die Botschaft der neuen Ausstellung im Berner Kornhausforum lautet: Die Arktis verändert sich schneller als uns lieb ist. Mit Fotos und Videos zeigen sechs Künstlerinnen und Künstler, welche Auswirkungen der Klimawandel auf das Leben nördlich des Polarkreises hat. Aufgrund höherer Temperaturen schmilzt das Eis unaufhaltsam.

Hurtigruten, Havila, Camper-Ferien: Mehr und mehr wird die Arktis zu einer beliebten Tourismusdestination. Die Schweiz hat schon lange enge Verbindungen zum Nordpolgebiet, nicht nur touristische. Klimatische Bedingungen der Hochalpen, die vergleichbar mit dem arktischen Klima sind, haben auf wissenschaftlicher Ebene zu gemeinsamen Forschungsprojekten geführt.

Die Ausstellung «Polwärts – Tiefe Einsichten in den hohen Norden» rückt nun die Arktis, insbesondere die zu Norwegen gehörende Inselgruppe Spitzbergen, filmisch sowie fotografisch in den Fokus und zeigt auf eindrückliche Weise weitere Verbindungen zur Schweiz auf.

Im grossen Saal des Berner Kornhausforums werden verschiedene Themengebiete bildlich dargestellt. So bringen die Fotos und Videos den Besuchenden das Alltagsleben, die Architektur, die Geschichte, den Klimawandel, die Forschung sowie den Tourismus in der Arktis bzw. auf Spitzbergen näher. Ganz konkret zeigen die beiden Kuatoren Nicolas Kerksieck und Rebecka Domig anhand der Biografien von fünf Ausstellungsbeteiligten, wie sich die arktischen Erfahrungen in ihren unterschiedlichen Werken niederschlagen.

Farbig gestrichene Wohnhäuser in Longyearbyen. Foto: Marcel Schütz.

Spitzbergen wurde ab etwa 1900 in erster Linie wegen der Ausbeutung seiner reichen Kohlevorkommen besiedelt. Heute leben rund 3000 Menschen aus 60 Nationen auf dem Archipel. In neuerer Zeit gilt Spitzbergen als «grösstes Labor der Welt» für Arktisforschung, zu dem auch ein Startplatz für Forschungsraketen gehört (Svalbard Rakettskyttefelt). Die Inselgruppe ist gemäss dem Spitzbergenvertrag eine demilitarisierte Zone.

Durch die Klimaerwärmung haben sich auf Spitzbergen spürbare klimatische Veränderungen ergeben. Zwischen 1970 und 2020 ist die Durchschnittstemperatur um 4 Grad Celsius gestiegen, in den Wintermonaten gar um 7 Grad. Am 25. Juli 2020 wurde mit 21,7 Grad Celsius eine neue Rekordtemperatur gemessen, welche zugleich die höchste je im europäischen Teil der Arktis gemessene Temperatur darstellt. Am 25. August 2024 war es auf Spitzbergen 20,4 Grad warm.

Schweizer Honorarkonsul

Die Berner Ausstellung fokussiert geografisch auf die Inselgruppe, aber auch auf Grönland und Nordkanada. Dabei werden Themen wie Architektur, Geschichte, Klimawandel, Forschung und Tourismus in den Fokus gerückt und überraschende Verbindungen zur Schweiz aufgezeigt. Marcel Schütz, gebürtige Berner, ist seit 2021 Honorarkonsul der Schweiz auf Spitzbergen. Er wanderte vor 20 Jahren aus und begleitet heute Expeditionen logistisch sowie als Fotograf. Die Fotografien des 35-Jährigen veranschaulichen die Faszination der arktischen Landschaft.

Historische Fotos stammen aus dem Svalbard Museum, dem nördlichsten Museum der Welt. Sie zeigen das Image, das Spitzbergen vor fünfzig Jahren hatte: Spannende Skirennen, ein erlegter Eisbär, ein Kohlekraftwerk, eine Weihnachtsfeier und ein gemischter Chor in arktischer Umgebung. Eine Kirche in der Idylle einer Eiswüste, karge Landschaften und kalte Küsten. Doch die Schwarzweiss-Aufnahmen sind Vergangenheit. Die heutigen Aufnahmen sprechen eine andere Sprache. Statt Weiss dominieren Grün und Braun.

Ort wirtschaftlicher Interessen

Zwei Arbeiten präsentiert das Kornhausforum von Christoph Oeschger. So den Dokumentarfilm «Nichts geht spurlos am Eis vorbei», den er zusammen mit Gianna Molinari realisiert hat. Darin zeigen die beiden auf, wie sich durch das Abschmelzen des arktischen Meereises Grenzen verschieben und so unzugängliche Orte und Ressourcen zukünftig erreichbar und nutzbar werden. Die Arktis wird von einem romantisierten Ort von wilder, rauer Natur zu einem technologischen Ort voller wirtschaftlicher Interessen. Im Meer werden grosse Erdgas und Ölvorkommen vermutet. Das Rennen um deren Ausbeutung hat begonnen.

Warten: Inuit beim Fischen. Foto: Markus Bühler.

Der Winterthurer Markus Bühler war während zwölf Jahren immer wieder mehrere Monate in Thule, im Nordwesten Grönlands, wo er die dortige Urbevölkerung über lange Zeit fotografierte. Auf der Jagd mit den Inuits dokumentierte er einen Alltag, der aufgrund des Klimawandels zu verschwinden droht. Seine kraftvollen Bilder sind ebenfalls Teil der Ausstellung.

Inhalte für Jugendliche

Neben der Fotografie liegt ein weiterer wichtiger Fokus der Ausstellung auf Inhalten von und für Jugendliche. Die Künstler-Forscherin Devora Neumark lebt und arbeitet in der kanadischen Arktis. Im Kornhausforum präsentiert sie ihr Projekt «Letters to the Ice» (2023). Diesem performativen Kunstprojekt liegt eine Studie zugrunde, die belegt, dass der Klimawandel einen grossen Einfluss auf die mentale Gesundheit von jungen Menschen hat, die im Norden, so etwa in Iqaluit, leben.

Folgen des Klimawandels: Schmelzende Eismassen, aussterbende Eisbären. Foto Marcel Schütz.

Jugendliche einer lokalen Schulklasse haben Briefe an das Eis geschrieben. Festgehalten hat Devora Neumark das Projekt in eindrücklichen Videos mitten in der arktischen Landschaft. Mittels ausgewählter Videogames können sich Kinder und Jugendliche dieser wunderbaren und gleichzeitig so bedrohten Welt zudem auf spielerische Art nähern.

In die Ausstellung integriert ist zudem die polare Schatzsuche, ein Postenlauf der Swiss Polar Class. Dabei werden die wissenschaftlichen Aktivitäten des Swiss Polar Institute an Kinder im Schulalter vermittelt. Die Ausstellung möchte die Schönheit und Einmaligkeit der Arktis in ihrer Vielfalt aufzeigen, aber auch verdeutlichen, wie bedroht diese abgelegene Region ist.

Blick in den Ausstellungsraum. Foto PS.

«Polwärts – Tiefe Einsichten in den hohen Norden» steht unter der Schirmherrschaft der Norwegischen Botschaft. Botschafterin Kjersti Rødsmoen nannte anlässlich der Vernissage zwei wichtige Themen: Den Klimawandel und die Sicherheitspolitik. Der Klimawandel verlaufe in ihrem Land viermal schneller als in der Schweiz, sagte sie. Und Putins brutale Invastion in der Ukraine habe klar gemacht, wie wichtig die Sicherheit der Nato für die skandinavischen Staaten geworden sei. Wie wahr. Die Arktis ist durch äussere Umstände zu einer fragilen Weltregion geworden.

Rahmenprogramm

Die Ausstellung, die bis zum 13. Oktober gezeigt wird, lässt sich von verschiedensten Veranstaltungen begleiten. Informationen dazu unter: www.kornhausforum.ch

Zur Ergänzung ein Bericht über die Kunst der arktischen Völker:
Zu Besuch bei den Völkern der Arktis

Titelbild: Die Jagd ist schwieriger geworden: Warten auf Robben. Foto: Markus Bühler.

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