Zwischen dem chinesisch-kanadischen Maler Matthew Wong und Vincent van Gogh bestehen künstlerische und biografische Verbindungen. In einer Retrospektive «Letzte Zuflucht Malerei» zeigt das Kunsthaus Zürich erstmals in Europa Werke von Wong, ergänzt durch van Goghs Gemälde.
«Farbenfrohe Melancholie» attestiert Jonas Beyer, einer der beiden Kuratoren, den Werken von Matthew Wong, dem jungen Künstler, der in Europa nur wenig bekannt geworden ist. Es sind ca. vierzig imaginäre Landschaften und Intérieurs, denen ein Dutzend ausgewählter Bilder von Vincent van Gogh gegenüber gehängt sind. Zwei Räume des Chipperfield-Baus stehen für diese Ausstellung zur Verfügung. Um den Dialog, der sich zwingend ergibt, zwischen den beiden Malern sichtbar zu machen, wurden Zwischenwände in die Räume eingezogen.
Ausstellungsansicht
Die durchwegs kleineren Werke van Goghs kommen dort besser zur Geltung als direkt neben Wongs Bildern in zumeist grösseren Formaten. Besonders raffinierte Durchblicke ergeben sich zwischen den Stellwänden. Die Direktorin des Kunsthauses Ann Demeester drückt es so aus: Vincent van Gogh und Matthew Wong tanzen in dieser Ausstellung einen Pas de deux – den Höhepunkt jeder Ballettaufführung. So wird die tiefe seelische Harmonie der beiden sichtbar, obwohl die Künstler in ihrer Lebenszeit ca. 120 Jahre auseinander liegen.
Matthew Wong (1984 – 2019) wurde in Kanada geboren, seine Eltern zogen nach Hong Kong, als ihr Sohn sieben Jahre alt war. Dort wurde der Junge auch mit der Tradition der chinesischen Kunst, besonders mit den Zeichnungen bekannt. Er nimmt später die Anregungen in seine Arbeit auf, das heisst: Er adaptiert die chinesischen Elemente auf seine ganz individuelle Art.
Matthew Wong, The West, 2017. Öl auf Leinwand, 99×78 cm. Dallas Museum of Art, Fair Foundation Acquisition Fund © 2024 Pro Litteris Zürich
Später kehrte die Familie nach Kanada zurück, insbesondere, weil dort der Standard der medizinischen und psychologischen Betreuung höher war. Matthew war Autist und litt am Tourette-Syndrom, dazu als Erwachsener an Depressionen, die zu seinem Suizid führten. – Die Landschaft mit Birken (Titelbild) sah er an seinem letzten Wohnort in Edmonton/Alberta. Mit diesen Bäumen zitiert er bewusst Vincent van Gogh, der bei Arles Birken gemalt hatte.
Als Künstler war Matthew Wong Autodidakt, in Kanada hatte er Kulturanthropologie studiert, in Hongkong Fotografie. 2012 begann er, mit Zeichnungen zu experimentieren, ab 2014 malte er. Wir müssen uns diesen aussergewöhnlichen jungen Mann als hochbegabten, wissensdurstigen Menschen vorstellen. Er studierte sowohl europäische Kunst und die amerikanische Moderne als auch chinesische Kunst. Seine eigene Kunst ist ausdrucksstark und schön, aber hinter dieser Schönheit verbergen sich Melancholie und Schmerz.
Matthew Wong, Coming of Age Landscape, 2018. Öl auf Leinwand 152.4 x 177.8.2 cm. Privatsammlung. © 2024 Pro Litteris Zürich
Die Einflüsse, die wir in seinen Werken erkennen, sind Anspielungen. Wong nimmt sie auf persönliche und originelle Art auf. Er sieht sich selbst im Dialog mit Malern wie Henri Matisse und Gustav Klimt oder mit dem Chinesen Shi Tao oder der Japanerin Yayoi Kusama. Er arbeitet nicht nur mit modernen, kräftigen Farben, sondern auch mit Tusche auf Reispapier.
Neben den Kunstwerken studierte Matthew Wong stets die Lebensläufe der Kunstschaffenden. Ganz besonders verbunden fühlte er sich mit Vincent van Gogh (1853 – 1890). «Ich sehe mich selbst in ihm. Die Unmöglichkeit, in diese Welt zu gehören», wird er zitiert. Die tiefe künstlerische und menschliche Verbundenheit mit dem Holländer findet in vielen von Wongs Bilder eine Entsprechung, aufs Schönste zum Ausdruck gebracht in der Gestaltung der Zürcher Ausstellung. Diese wurde – anders aufgebaut – vorher schon im Amsterdamer Van-Gogh-Museum gezeigt. Dessen Kurator Joost van der Hoeven zeigte sich überrascht und erfreut über die positive Wirkung der neuen Präsentation.
Vincent van Gogh, Le Cyprès et l’Arbre en fleurs, 1889. Öl auf Leinwand, 51.4×64.8 cm. Privatbesitz
Vincent van Gogh, dessen Werke in mitteleuropäischen Häusern in früheren Jahrzehnten fast übermässig vertreten waren, malte wohl ähnlich direkt aus seinem Innersten heraus wie sein 121 Jahre jüngerer Seelenverwandter – und hatte ebenfalls bis an sein frühes Lebensende mit starken psychischen Problemen zu kämpfen.
Vincent van Gogh, La Route de Tarascon, 1888. Feder und Rohrfeder in Braun und Schwarz über Graphitstift auf Papier (vélin) 25.8×35 cm. Kunsthaus Zürich, Grafische Sammlung
Vom Autodidakten van Gogh wissen wir, dass er den holländischen Maler Frans Hals (ungefähr 1583 – 1666) verehrte. Auch er war also kein «naiver» Maler, sondern suchte sich seine Vorbilder. Im Laufe seines Lebens konnte van Gogh mit seiner Malerei nur sehr wenige Erfolge verbuchen. – Matthew Wong erhielt in Amerika durchaus Anerkennung und Erfolg.
Das letzte Bild des Künstlers:
Matthew Wong, See You On the Other Side, 2019. Öl auf Leinwand 152.4 x 121,9 cm. Matthew Wong Foundation © 2024 Pro Litteris Zürich
In der Kunstgeschichte kannte sich Matthew Wong gut aus – denn er nutzte das Internet und sein Mobiltelefon. In seinem Facebook-Profil kommentierte er seine Werke. Für den Austausch mit lebenden Künstlern und Kunstinteressierten fand er dort geeignete Kontakte. Er fand Informationen und Anregungen, aber wohl keine Freunde, die ihn hätten stützen können. Seine letzte Zuflucht blieb die Malerei.
«Matthew Wong – Vincent van Gogh. Letzte Zuflucht Malerei.» ist im Kunsthaus Zürich noch bis 26. Januar 2025 zu sehen.
Anschliessend wird diese Ausstellung in der Albertina in Wien gezeigt.
Titelbild: Matthew Wong, The Kingdom, 2017. Öl auf Leinwand, 121.9×182.9 cm. Liz Lange und Davis Shapiro. © 2024 Pro Litteris Zürich