Die Retrospektive «Matisse – Einladung zur Reise» in der Fondation Beyeler zeigt einen der berühmtesten Künstler des 20. Jahrhunderts bei seiner Suche nach dem besten Licht, der reichsten Farbenpracht, dem Glück.
Henri Matisse (1869 – 1954) war im Norden von Frankreich, unweit der Grenze zu Belgien zur Welt gekommen, gestorben ist er in Nizza am Mittelmeer, wo er schon in jungen Jahren jenes Licht entdeckte, welches ihm für die Malerei unabdingbar erschien. Als ihm bewusst geworden sei, dass er dieses Licht täglich wieder sehen könne, sagte Henri Matisse „konnte ich mein Glück nicht fassen“. Und dieses Glück ist seinen Bildern eingeschrieben oder eingemalt.
Henri Matisse, La fenêtre ouverte, Collioure (Das offene Fenster), 1905. National Gallery of Art, Washington, D. C., Sammlung von Mr. und Mrs. John Hay Whitney, 1998 © Succession H. Matisse / 2024, ProLitteris, Zurich. Foto: Courtesy National Gallery of Art, Washington
Die Malerei von Matisse war zu Anfang des 20. Jahrhunderts schockierend neu. Gegenstände, beispielsweise Blumentöpfe am Fenster oder Boote im Meer bestehen nur aus bunten Pinselstrichen, das passte den Kritikern gar nicht. Wer heute das Gemälde La fenêtre ouverte von 1905 betrachtet, ist amüsiert, denn so entstand eine neue Bezeichnung für einen Malstil: Es sei Malerei von Wilden – von Fauves, wurde über die Malergruppe um Matisse und Derain (unlängst im Basler Kunstmuseum zu sehen) gelästert.
Ausstellungsansicht mit zwei Frauenfiguren
Die beeindruckende Retrospektive in der Fondation Beyeler lädt nun zu einer faszinierenden Reise durch das Gesamtwerk des großen Meisters der Moderne. 72 Kunstwerke, nämlich 47 Bilder, 14 Skulpturen und 11 Scherenschnitte sind Stationen dieser Reise durch Renzo Pianos Räume, wo eine wunderbare Präsentation jedem einzelnen Kunstwerk viel Raum lässt und wo zugleich Korrespondenzen und Verwandtschaften sich abzeichnen: Hier und da scheint eine Skulptur mit einem Bild zu kommunizieren, oder die Bronze ist Motiv auf einem später entstandenen Gemälde.
Henri Matisse, Luxe, calme et volupté, 1904 © Succession H. Matisse / 2024, ProLitteris, Zurich. Foto: © RMN-Grand Palais (musée d‘Orsay) / Hervé Lewandowski
Einladung zur Reise ist nach einem Gedicht von Charles Baudelaire aus dem Buch Die Blumen des Bösen benannt. Im Original stehen die Zeilen
Là tout n’est qu’ordre et beauté,
Luxe, calme et volupté.
Mit dem zweiten Vers, Luxe, calme et volupté – Überfluss, Ruhe und Genuss, betitelt Matisse ein pointillistisches Strandbild, eine herrlich leichte, lustvolle Szene mit Badenden, mit dem die Museums-Reise durch das Schaffen des Künstlers beginnt.
Am Ende stehen die ikonischen Scherenschnitte – hergestellt im Alter, als Malen fast nicht mehr, Bildhauern gar nicht mehr ging. Die berühmten Frauenakte können als Pop Art avant la lettre bezeichnet werden. Sie sind in unzähligen Prints zwar banalisierter, aber hochgeschätzter Wandschmuck geworden. Wie der zweite Grosse jener Zeit, nämlich Pablo Picasso, ist Henri Matisse weit über ein kunstinteressiertes Publikum ins kollektive Gedächtnis der ganzen Gesellschaft gelangt.
Henri Matisse: Dekorative Figur vor ornamentalem Grund, 1925/26. © Succession H. Matisse / 2024, ProLitteris, Zurich. Foto: © Centre Pompidou, MNAM-CCI, Dist. RMN-Grand Palais / Philippe Migeat
Nach dem ersten Aufenthalt am Mittelmeer in Collioure brach der Nordfranzose immer wieder zu Reisen in den Süden Frankreichs, nach Algier, Spanien und Marokko auf, aber auch nach Italien, wo er sich mit Giotto auseinandersetzte, immer auf der Suche nach dem Licht und einer explodierenden Farbenpracht.
Henri Matisse: Interieur mit schwarzem Farn, 1948. Sammlung Beyeler © Succession H. Matisse / 2024, ProLitteris, Zurich. Foto: Robert Bayer
„Die Rückbesinnung auf die Fläche, die Farbigkeit, die Farbintensität, die Bedeutung des Ornamentes, das sind alles ganz wichtige Themen bei Matisse“, sagt Kurator Raphael Bouvier. Matisse war fasziniert vom Ornament, sammelte auf seinen Nordafrika-Reisen 1906 und 1912 Decken, Teppiche, Wandbehänge, die er später im Atelier nicht als Hintergrund, sondern als Motiv einsetzte.
Ausstellungsansicht mit Atelierbildern aus der Zeit des 1. Weltkriegs.
Während des 1. Weltkriegs verdunkelt sich die Palette, Matisse nähert sich dem Kubismus, aber danach werden seine Bilder wieder bunte Farbflächen mit Ornamenten und entspannten Frauenfiguren, den Odalisken, die er auch als riesige Bronzereliefs gestaltet. Nun ist der einst gegen den Willen seines Vaters von der Juristen- zur Kunstschule in Paris übergewechselte Maler bekannt und kommerziell erfolgreich. Seine letzte grosse Reise sollte ihn in die Südsee führen – immer auf der Suche nach neuen, intensiven Eindrücken von Licht und Farben.
Der grösste Raum ist den Scherenschnitten aus der Spätzeit reserviert.
Der bereits 60jährige Matisse reist 1930 mit dem Ziel Tahiti über den Atlantik und durch ganz Nordamerika bis zum pazifischen Ozean. Dort entdeckt er eine üppige Vegetation oberhalb der Küstenlinie und den Reichtum des Lebens im warmen blauen Wasser darunter. Inspiration zur weiteren Abstraktion, eigentlich Konzentration auf das Wesentliche eines Motivs – sei es ein Frauenkörper oder das Blatt einer Pflanze.
Henri Matisse: Blauer Akt mit grünen Strümpfen, 1952. Fondation Louis Vuitton, Paris © Succession H. Matisse / 2024, ProLitteris, Zurich. Foto: © Primae / Louis Bourjac
1941 erkrankt er an Darmkrebs und beginnt, geschwächt und weniger beweglich, statt mit dem Meissel zu gestalten, mit der Schere zu zeichnen: «Je vais condenser la signification de ce corps en recherchant ses lignes essentielles (Ich werde die Bedeutung dieses Körpers verdichten indem ich seine entscheidenden Linien herausfinde)». Dieser Satz steht im Multimedia-Raum an der Wand zu einem Video, wo der Künstler einem bemalten Papier mit der Schere die gültige Form gibt.
Henri Matisse, Blauer Frauenakt, der Frosch, 1952. Mit Gouache bemalte und ausgeschnittene Papiere auf Papier auf Leinwand. Fondation Beyeler, Riehen/Basel, Sammlung Beyeler © Succession H. Matisse / 2024, ProLitteris, Zurich. Foto: Robert Bayer
Die Publikation zur Ausstellung ist eine opulente, also adäquate Ergänzung der Ausstellung. Viele der Arbeiten, die das Team der Fondation Beyeler zusammengebracht hat, werden wohl nie mehr zu sehen sein, allenfalls in der Sammlung eines weit entfernten Museums. Hilfreich für die Besucherinnen und Besucher ist das in mehreren Sprachen vorliegende Heftchen mit Texten zu 18 Werken, weil darin nicht nur das Bild, sondern oft auch die Entstehungsgeschichte sowie das Umfeld beschrieben werden.
Titelbild: In der Matisse-Ausstellung
Fotos : © R. und E. Bühler
Bis 26. Januar 2025
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