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Viele Senioren arbeiten, weil sie müssen

Im «Goldenen Herbst des Lebens» nur noch tun, was gefällt. Schön. Manche verdienen mit erfüllender Arbeit noch was dazu. Auch schön. Doch für viele ist der Herbst grau. Sie arbeiten, weil sie sonst nicht über die Runden kommen.

Pensionierte arbeiten gemäss der vor einem Monat in Seniorweb vorgestellten Studie «Erwerbsarbeit nach 65?» gerne über das AHV-Alter hinaus. Viele Über-65-Jährigen tun dies, weil sie wichtige Aufgaben haben, nach Sinn suchen oder Neues erleben wollen. Heile Welt? Ja, aber sie hat Lücken. Denn die Untersuchung erfasst nur die halbe Wahrheit. Sie vergisst jene, die arbeiten müssen, weil sie das Geld brauchen. Ungefähr zehn Prozent der Schweizer Rentnerinnen und Rentner sind auf Ergänzungsleistungen angewiesen. Kassierinnen, Reinigungsleute, Pflegehilfen, Selbständigerwerbende und viele andere arbeiten über die Pensionierung hinaus, weil das Geld sonst hinten und vorne nicht reichen würde. In einer Untersuchung zur Erwerbstätigkeit im Alter müsste dies zwingend behandelt oder doch deutlich erwähnt werden.

Der Bericht zu dieser Studie erschien Ende September in Seniorweb. Drei Fachpersonen vermittelten unter dem Titel «Erwerbsarbeit nach 65?» weshalb ihrer Meinung nach Rentnerinnen und Rentner weiterarbeiten. Die Experten-Resultate zusammengefasst: Weil sies, die Befragten, gerne tun, weil der Chef, die Chefin nett ist, weil der Job Sinn macht. Aha. Aber da fehlt doch noch was. Die Fachleute haben dann tatsächlich noch etwas angefügt, allerdings winzig klein in einem  Nebensatz: Weil die «finanzielle Situation» eine Rolle spielt.

Viele sind auch nach der Pensionierung erwerbstätig. Manche arbeiten weiter, weil sie geschätzt werden und sie sinnvolle Aufgaben haben. Andere erleben den Altersjob weit weniger idyllisch. Sie müssen arbeiten weil sie das Geld brauchen. Bild: AI Fotor, pst

Allzu oft spielt das Geld beim Altersjob nicht irgendeine Rolle, sondern die Hauptrolle. Das lässt uns fragen, auf welcher Welt die drei Experten denn unterwegs sind? Haben sie die Kassierin im Migros gefragt, warum sie mit 69 noch arbeitet? Hier ihre Antwort: «Weil ich muss und die Stütz brauche.» Oder haben sich die drei Fachpersonen beim selbständigen Gipsermeister erkundigt, weshalb er mit 70 immer noch auf der Leiter steht? Chrampfen die Kassierin und er, weil sie Erfüllung suchen? Oder wollen die zwei neue Ufer erkunden? Nein, sie holen sich ihre Rückenschmerzen, weil die AHV und die Bonsai-PK nicht reichen. Und weiter: Haben sie bei der früheren alleinerziehenden Mutter und Journalistin mit Teilpensum nachgefragt? Als freie Mitarbeiterin erhält sie eine Tagespauschale von rund 250 Franken. Bucht sie damit ein Wellness-Wochenende oder kauft sie Ghackets und Hörnli?

Die drei Fachpersonen füttern uns mit Resultaten. Aber diese haben keinen Nährwert. Sie vermitteln uns Tatsachen, die wir längst schon wissen oder die wir gar nicht wissen wollen. Und sie produzieren Banalitäten. Letztere haben satirische Potenz. Wir zitieren: «Frauen leisten mehr Hausarbeit als Männer.» Aha. Und: «Wenn die Männer in Pension gehen, nehmen sie Staubsauger und Co. «etwas mehr» in die Hand. Was für Überraschungen. Wir staunen weiter: Wichtig für die Weiterarbeit sei «gute Gesundheit».

Hunde haben gleich viele Beine wie Katzen, nämlich vier. Der Vergleich ist ungefähr gleich viel wert wie die Berechnungen in der Studie. Folgendes haben die Fachleute herausgefunden: Mit 65 pensioniert und vorher Teilzeit schaffen, wollen 13 Prozent. Mit 65 pensioniert und vorher nicht reduziert arbeiten, wollen bloss 11 Prozent. Macht uns das wirklich schlauer?

In de Schweiz muss niemand hungern. Wers benötigt, bekommt Ergänzungsleistungen und Sozialhife. Wunderbar. Aber dass diese Leute nicht darben ist kein Grund, sie zu vergessen. In der Studie «Erwerbsarbeit nach 65?» verfehlen die Fachleute das Thema. Sie bieten nichtssagende Zahlen und Banalitäten und verschweigen den wichtigsten Grund. Mit 65 weiterzuarbeiten ist für viele nicht mentale Wellness – sondern ein Muss.

Hallo Experten: Nicht nur Ingenieure und Sekundarlehrerinnen werden alt.

Wie erlebt die Seniorweb-Leserschaft die finanzielle Situation im Alter? Allgemein? Persönlich oder bei Bekannten? Wir freuen uns über Zusendungen über unsere Kommentarrubrik.



Hintergrund

Gemäss dem Bundesamt für Sozialversicherungen lebten 2023 in der Schweiz 1,73 Millionen Menschen über 65. Davon bezogen 183 000 Ergänzungsleistungen, im Schnitt erhielten sie 1208 Franken. Diese Zahlen beziehen sich auf Personen, die zuhause wohnten. Sie gelten nicht für Heimbewohnende.

Die Vereinigung aktiver Senior:innen und Selbsthilfeorganisationen (VASOS) hat am 22. Oktober Zahlen zu diesem Thema veröffentlicht.
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Seniorweb-Artikel «Erwerbsarbeit nach 65?»
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3 Kommentare

  1. Das grosse Glück bei mir ist folgendes: Ich wohne seit dem Tod meiner Frau (29.12.23.) mit meinem Sohn (44) zusammen. Er betreibt ein sehr gut laufendes Therapiecenter. Und mit den Einnahmen davon, sowie meiner AHV, können wir uns eine Wohnung für 2’000.- leisten, und auch die Miete für die Geschäftsräume, sowie alle andern monatlichen Kosten! ABER was ist mein Beitrag dazu (ausser meine AHV)? Nun, ich mache die Buchhaltung, und Administrative Sachen. Zudem wasche ich die Frottetücher vom Geschäft, und unsere private Wäsche, und erledige den Haushalt unserer Wohnung, sowie die Einkäufe. Somit ich eine sinnvolle Beschäftigung als Rentner habe!

  2. Und nicht zu vergessen, diejendigen, ob Mann oder Frau, die wegen einer Scheidung im höheren Alter eine zu kleine PK haben und so auch eine sehr tiefe Rente erhalten.
    Auch ich musste weiterarbeiten,

  3. Einen Beruf gelernt, ein Leben lang gearbeitet, geschieden oder alleinstehend, schlecht bezahlte Teilzeitarbeit während Jahren in Kauf genommen, um für die Kinder da zu sein, später als zu alt befunden, um noch einen lukrativen Job zu erwischen, keine Möglichkeit etwas auf die hohe Kante zu legen.
    Diese Arbeitsbiographie teilen nicht wenige Frauen, die in Rente gehen oder bereits sind und sie leben knapp am Existenzminimum, Ergänzungsleistungen miteingerechnet. Das ist auch eine Realität in der reichen Schweiz.

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