StartseiteMagazinLebensartEin Baselbieter als höchster Basler

Ein Baselbieter als höchster Basler

Claudio Miozzari (47) hat soeben sein Amt als Präsident des Basler Grossen Rates an seinen Nachfolger Balz Herter (Mitte) weitergegeben. Wie kommt ein Baselbieter dazu, ein Jahr lang als «Höchster Basler» das Basler Parlament zu leiten und den Kanton Basel-Stadt zu vertreten? Seniorweb besucht ihn im Rathaus.

«Ich bin voller Dankbarkeit.» In seiner Schlussrede an das Basler Parlament am 22. Jänner dankte Claudio Miozzari dem Rat, der SP-Fraktion, seiner Familie, Freundinnen und Freunden. Er dankte auch dem Kanton, der Region und ganz vielen Menschen, die «mir ein unvergessliches Jahr geschenkt haben in der speziellen Rolle als Grossratspräsident.» Sie alle hätten ihm einzigartige Einblicke erlaubt, seinen Horizont erweitert: «Sie haben mich beeindruckt.»

Zuversicht und Realität

Claudio Miozzari, 47jährig und tätig als Inhaber/Geschäftsführer der «Storie»-Kulturagentur, hatte soeben seine letzte Sitzung als Grossratspräsident beendet, als er in seiner Schlussrede nochmals eindrücklich bewies, was ihm wichtig ist. Und wofür er steht. «All die Begegnungen haben mein Herz gefüllt und geben mir unglaublich viel Zuversicht.» Damit meint er die zahlreichen Besuche von Institutionen und Organisationen, die er als «höchster Basler für ein Jahr» hat wahrnehmen können. «Dieses Engagement ist sehr wichtig für unser Zusammenleben. Es ist auch die allerbeste Grundlage für die Pflege unserer demokratischen Prozesse und Institutionen.»

Ja, er suche die Harmonie, gibt Miozzari zu. Umso trauriger mache ihn das Erwachen, «wenn ich die schrecklichen Nachrichten aus der ganzen Welt lese: Was werden diese selbstherrlichen Männer, diese unberechenbaren Extremisten in den USA, Russland und vielen anderen Ländern mehr noch alles anstellen?»

Bubendorf und Basel

Geboren kurz vor Weihnachten 1977 in den USA (weil sein Vater damals dort bei einer Pharmafirma arbeitete), wächst er im beschaulichen baselbieterischen Bubendorf auf. Das Studium (Geschichte mit Nebenfächern Deutsche Literaturwissenschaft und Jus) führt ihn nach Basel und für einen Austausch nach Rom. Weil er sich am Rheinknie wohlfühlt, bleibt er hier hängen. Dazu sagt er: «So gross ist der Unterschied ja nicht zwischen der Stadt und der Landschaft.» Auch seine Frau, wie er früher im Journalismus tätig, ist im Baselbiet aufgewachsen.

Die Gemeinde Bubendorf ist dem Wahlbasler trotzdem ein Stück Heimat. Und so erstaunt es kaum, dass Claudio Miozzari das traditionelle «Grossratsreisli» dahin organisiert hat.

SP und (nochmals) SP

In der Stadt schliesst er sich den Sozialdemokraten an – gleich zweimal, wie er erzählt. Das erste Mal, als Student, habe er keinen wirklichen Anschluss gefunden. Das zweite Mal, als er bereits Fuss gefasst hat und gut vernetzt war in der Stadt, sei er durch den bekannten Grossrat Tobit Schäfer ermuntert worden, der Partei beizutreten und als Grossrat zu kandidieren. So ist er vor ziemlich genau acht Jahren hier im schmucken Saal des Grossen Rates zu Basel als neues Mitglied vereidigt worden.

In seiner Zeit als SP-Grossrat beweist Claudio Miozzari, dass er die Dossiers kennt, und dass er ein besonnener und höchst umgänglicher Volksvertreter ist. Bald ist er ein über alle Parteigrenzen hinaus geschätzter Politiker. So erstaunt es nicht, dass er im Jänner 2024 mit glanzvollen 93 von 96 Stimmen zum neuen höchsten Basler für ein Jahr gewählt wird.

Engagement und Gemeinwohl

Nun ist «sein» Präsidialjahr vorüber und er überlässt den Sitz des Vorsitzenden an seinen Nachfolger, Balz Herter von der Mitte-Partei. Claudio Miozzari zeigt sich sehr zufrieden mit seinem Amtsjahr. Er habe sich sehr unterstützt gefühlt. Bloss: Dieses Jahr sei «verdammt schnell» vorübergezogen. So habe er leider nicht jede Einladung wahrnehmen können.

In Ihrer Antrittsrede haben Sie das Gemeinwohl ins Zentrum gestellt. Ist es Ihnen gelungen, diesen Fokus nicht aus den Augen zu verlieren, obwohl es im Parlament oft grundlegende Uneinigkeiten gibt, welchen Weg man beschreiten oder auslassen sollte…?

 

Claudio Miozzari: Da kommen auch alle anderen Begegnungen ins Spiel, die ich ausserhalb des Ratsbetriebs hatte. Ich habe sehr viel Engagement fürs Gemeinwohl gespürt. Das ist sehr bereichernd. Und dann sieht man sich handkehrum die Inauguration von Trump oder die Neuinterpretation des Hitlergrusses von Musk an und stellt fest: Diese beiden Welten passen irgendwie nicht zusammen.

Sie haben im Rahmen der Antrittsrede die Ratsmitglieder auch darum gebeten, sich an die demokratischen Spielregeln zu halten mit dem Ziel, die gute Diskussionskultur zu gewährleisten. Ist auch dies gelungen?

Ich denke ja. Es gab aber auch Situationen, in denen einzelne Ratsmitglieder relativ krasse Aussagen machten und damit einen Grossteil des Parlaments vor den Kopf geschlagen haben. Meine Haltung dazu: Wir sind ein Parlament. Wenn nun jemand Öl ins Feuer giessen will, dann ist es seine Entscheidung. Und alle anderen haben Gelegenheit, eine Antwort darauf zu geben.

Das hat funktioniert?

Ich meine ja. Das Parlament praktiziert diesbezüglich eine recht grosse Selbstregulierung. Es gibt allerdings ein Mitglied, das keine Grenzen kennt…

Wahljahr und Vorstossflut

Es ist klar, dass Claudio Miozzari den umstrittenen, rechtsextremen Grossrat Eric Weber damit meint, der sich selber als landesweiter Rekordhalter rühmt, weil er pro Monat rund 20 parlamentarische Vorstösse einreiche.

Apropos Vorstösse: Miozzaris Präsidialjahr war gleichzeitig ein Super-Wahljahr – neben den Gesamterneuerungswahlen Grossrats- und Regierungsrat musste auch die Nachfolge des neuen Bundesrates Beat Jans gewählt werden und die Bestätigung von Conradin Cramer als Stadtpräsident bewältigt werden. In solchen Wahljahren sind die Parlamentsmitglieder in der Regel besonders aktiv mit dem Einreichen von Vorstössen. Schliesslich möchte man ja die Wählerschaft auf sich aufmerksam machen. Er sagt dazu: «Es war eine grosse Nervosität spürbar. Und ab Sommer 2024 waren wir völlig überfüllt und wir schafften es kaum noch, den Vorstoss-Berg abzutragen – trotz einigen Nachtsitzungen.»

Man sagt, das Amt als Grossratspräsident sei grundsätzlich ein unpolitisches Amt. Ist dem so?

Ein Stück weit schon. Aber ich habe auch politische Aussagen machen können, gerade in meiner Schlussrede.

Durften Sie auch Stichentscheide fällen?

Ja, gesamthaft vier. Drei Vorstösse habe mit meiner Ja-Stimme überwiesen. Hätte ich nein gesagt, hätte ich den Vorstoss persönlich abgewürgt – das wollte ich nicht.

Biken und FCB-Spiele

Diese Haltung zeigt einmal mehr die Wertschätzung, die Claudio Miozzari Menschen entgegenbringt, die sich fürs Gemeinwohl einsetzen. Ohne Engagement der vielen Freiwilligen funktioniere eine Gemeinschaft nicht. Deshalb sei er besonders auch gerne an kleinere Anlässe als Grossratspräsident gegangen, «um etwas beitragen zu können und Wertschätzung zu zeigen».

Besonders in Erinnerung bleiben wird ihm die Nacht unterwegs mit der Basler Polizei oder der frühmorgendliche Einsatz mit der Stadtreinigung.

Wie sah ein durchschnittlicher Tag im Leben des Grossratspräsidenten Claudio Miozzari aus?

Das ist sehr unterschiedlich. Ich war viel unterwegs zwischen Büro, Rathaus und irgendwo an einen Anlass. Und zwischendurch auch mal wieder zuhause bei der Familie. Hinzu kommen die zahlreichen Führungen von Schulklassen durchs Rathaus.

Es versteht sich fast von selbst, dass Claudio Miozzari meistens mit seinem Velo unterwegs war und ist. Schliesslich gehört das Biken nebst dem Besuch von Spielen des FCB und dem Mitfiebern von Skirennen vor dem Bildschirm auch zu seinen Hobbies.

Künftig werde er wieder etwas mehr für die Familie da sein können, freut er sich. «Nach diesem Amtsjahr werde ich versuchen, herunterzufahren.»

Partnerschaft und Zukunft

Claudio Miozzari, wie sieht man in der Stadt den Landkanton?

Die Einstellung gegenüber den Landschäftlern ist sehr unterschiedlich. In politischen Debatten ist der Hang (leider) schon da, über das Baselbiet zu schimpfen. Ich finde, man sollte besser mehr gemeinsame übergeordnete Ziele verfolgen. Der Kleinkrieg schadet uns allen nur. In unserer Partnerschaft fehlt uns etwas mehr Grosszügigkeit.

Gibt es Potenzial, in Zukunft vermehrt und enger zusammenzuarbeiten?

Alles in allem funktioniert die Partnerschaft zwischen beiden Basel recht gut, sicher besser und tiefer als mit den anderen Kantonen. Probleme und damit Potenzial sehe ich noch in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Kultur.

Müsste man einen neuen Anlauf wagen die beiden Halbkantone zu fusionieren?

Theoretisch würde es Sinn machen. In der Praxis eher nein. Emotional sind wir halt noch immer nicht bereit dazu – auf beiden Seiten nicht …

Familie und Politik

Da spricht ein mittlerweile erfahrener Politiker. Einer, der mit seinen mittlerweile erst 47 Jahren noch jung ist. Einer auch, der sich vorstellen könnte, dereinst im Bundesparlament zu politisieren oder für den Basler Regierungsrat zu kandidieren? Claudio Miozzari bleibt ruhig und gelassen. Und sagt, nicht ganz unerwartet – ganz Miozzari: «Ich bleibe vorderhand weiterhin im Grossen Rat. Alles weitere wird sich ergeben… Im Moment ist es mein Bauchgefühl, etwas runterzuschalten und bescheidener in die Zukunft zu blicken.»

Die Prognose sei gewagt: Man wird noch hören von Claudio Miozzari.

Fotos: Christian Roth

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