Das Nordamerika Native Museum NONAM in Zürich gibt Einblick in die Welt der Indigenen Kulturen. Mit der Ausstellung «Honouring Our Future» werden «Graduation Regalia», festliche Kleidungsstücke, präsentiert, die zum Highschool Abschluss in Yukon in Kanada getragen werden.
Für Jugendliche Indigener Familien in Kanada hat der Highschool Abschluss eine besondere Bedeutung. Es ist nicht selbstverständlich, dass sie Schulen, die ihre eigene Kultur fördern, besuchen können. Noch bis in jüngster Zeit mussten Kinder in Missionsschulen, Residential Schools, wo ihre Lebensart verachtet wurde und man sie ihnen gewaltsam austreiben wollte. Das Ausmass des Elends ging um die Welt.
Shania Hogan, Teslin Tlingit Council, Absolventin 2017 in ihrer Graduation Regalia. © Robert Postma.
In Kanada leben über sechshundert verschiedene Indigene Völker. Das Yukon Territory im Nordwesten ist die Heimat von vierzehn First Nations, wie sie sich nennen. Sie machen rund ein Viertel der Gesamtbevölkerung des Territoriums aus. Seit 1975 findet in Yukon zusätzlich zu den offiziellen Abschlussfeiern der Highschools die Yukon First Nations Graduation statt. Diese würdigt die Leistung der Schülerinnen und Schüler, aber auch ihr kulturelles Erbe, ihre Gemeinschaft und Resilienz.
Überall auf der Welt wird der Schulabschluss gefeiert. Die Jugendlichen der First Nations tragen dafür eine eigene Festkleidung, die Graduation Regalia. Aber statt der aus England oder Amerika bekannten akademischen Kleidungsform mit Talar und Doktorhut kreieren sie eigene Kleidungsstücke. Schon Monate vor dem grossen Ereignis kommen Familien und Freunde zusammen, um gemeinsam die Gewänder für den Highschool Abschluss zu planen und zu gestalten. «Wir sprechen darüber, wir träumen eine Weile davon», sagt Jackie Olson, Indigene Künstlerin und Mutter einer Highschool-Absolventin.
Graduation Regalia, die feierliche Kleidung aus weissem Hirschleder zum Highschool-Abschluss junger Frauen der First Nations in Yukon mit Tiersymbolen ihres Clans, dem Wolf (links) und dem Raben (rechts).
«Genäht wird auf Küchentischen und in Gemeindehäusern. Nähkreise werden ins Leben gerufen, Glasperlen und Muster getauscht. Es entsteht eine ganz besondere Energie, die Familie und Gemeinschaft zusammenbringt. Am Schluss entsteht eine einzigartige Mischung aus Tradition und Fashion – eigens dafür gemacht, um das grosse Ereignis, den Abschluss der Highschool, würdig zu begehen. Wer sein Diplom in Graduation Regalia entgegennimmt, feiert nicht nur die persönliche, sondern auch die kulturelle Identität», schreibt Kuratorin Lisa Dewhurst vom Yukon Arts Centre. Der Name Yukon leitet sich von Yu-kun-ah ab, was in der Gwich’in Sprache Grosser Fluss heisst und dem Yukon River sowie dem Territorium den Namen gibt.
Der norwegische Sänger Ingor Antte Ailu Gaup alias Ailloš liess anlässlich der Sonnenwendfeier im NONAM den traditionellen Joik-Gesang der Samen aufleben.
Im Rahmen der Ausstellung richtete das NONAM am 22. Juni eine Sonnenwendfeier aus. Zu diesem Indigenous Peoples Day waren Shania Hogan und ihre Mutter Robin Smarch von den Teslin Tlingit First Nations aus Yukon eingeladen. Sie trugen viel zum Gelingen der Ausstellung bei. Anwesend war überdies der norwegische Joik-Sänger Ingor Antte Ailu Gaup alias Ailloš. Mit seinem Joik-Gesang, der weit entfernt an das Jodeln erinnert, liess er die traditionellen Klänge der Samen aufleben, die als Verbindung zur Natur und Spiritualität verstanden werden. Es war ein Fest, das die Indigene Kultur näherbrachte, nicht zuletzt, weil der Joik Sänger alle Anwesenden joiken liess.
Robin Smarch (lks) und ihre Tochter Shania Hogan (rts) von den Teslin Tlingit First Nations stellen die Graduation Regalia vor, die die Mutter für ihre Tochter anfertigte, bestehend aus dem Blanket aus Melton-Gewebe, einem gewalkten Wollstoff, Hasenfell, Leder, Elchleder, Glasperlen, Perlmuttknöpfe, Mukluks (mit Perlen bestickte Stiefel) und Zedernhut.
In der Schau erzählen Shania Hogan und ihre Mutter Robin Smarch über die Graduation Regalia, die Shania zur Abschlussfeier 2017 trug. Während rund sechs Monaten arbeitete Mutter Robin an dem sogenannten Blanket, nach dem Design von Blake Lepine, einem Tlingit-Künstler aus Yukon. In der Tlingit-Kultur haben die Clans mehrere Tiere, die sie als Symbol für sich verwenden. So sind auf der Vorderseite des Blankets mit Perlen gestickte Orcas zu sehen. Das Band über der Brust, das den Umhang zusammenhält, ist mit Taanas verziert, kupferfarbigen Schilden, die Schutz und ein gutes Leben bedeuten.
Die Rückseite von Shania Hogans Blanket zeigt einen stilisierten Adler, der noch nicht ganz flugtüchtig ist.
Die Embleme auf den Graduation Regalia haben alle eine Bedeutung. So ist auf Shania Hogans Blanket auf der Rückseite ein stilisierter Adler dargestellt: Ein Flügel ist kleiner und symbolisiert das Wachstum und die Bedeutung des Fliegenlernens, die Beine sind unterschiedlich lang und repräsentieren das Tanzen und Feiern. Robin Smarch erklärt, dass ihre Tochter Shania mit dem Schulabschluss zwar erwachsen ist, aber trotzdem noch nicht ganz auf der Erde angekommen sei, und sie als Mutter über sie wache, bis sie auf eigenen Füssen steht.
Graduation Regalia von Sarrah Telep, Ta’an Kwäch’än Council, Absolventin 2019. Weisses Kleid aus Hirschleder, verziert mit Weidenröschen aus Glasperlen.
Einige der Highschool Absolventinnen erzählen in kurzen Filmsequenzen, wie ihre Graduation Regalia entstanden sind, so auch Sarrah Telep. Da sie mit ihrer verstorbenen Grossmutter eng verbunden war, wählte sie deren Lieblingsblume, das rosarote Weidenröschen, für ihr Festkleid. Sie liess es gut erkennbar als einzelne Blume mit verschieden grossen Glasperlen sticken und auf das weisse Kleid aus Hirschleder applizieren.
Dazu sagte sie im Film: «Ich war froh, dass ich das Weidenröschen bei mir hatte. Es fühlte sich an, als wäre meine Grossmutter bei mir. Ich fühlte mich an diesem Tag so schön und so selbstbewusst und war einfach so stolz auf meine Herkunft. Ich hatte wirklich das Gefühl zu glänzen, und alle meine Vorfahren waren da, um mich zu sehen.»
Westen für männliche Highschool Absolventen: Nevada Joe, Champagne & Aishihik First Nations, Absolvent 2020, Vorder- und Rückseite der Weste. © Yukon Arts Centre. Bild rechts: Matthew Wesley, Taku River Tlingit First Nations, Absolvent 2019, Schwarzes Blanket mit rotem Wolf.
Nicht nur die jungen Frauen tragen zum erfolgreichen Highschool Abschluss eine Graduation Regalia, auch die jungen Männer. Für sie ist es oft eine Weste, wie jene von Nevada Joe. Sein Clan Emblem, der Wolf, ist auf dem Rücken seiner Weste aufgestickt. Nevada wurde 2020 bei der Native Graduation Ceremony als bester männlicher Sportler des Yukon ausgezeichnet. «Er ist Goalie, seit er sechs Jahre alt ist, was die auf seine Weste gestickte Nummer 31 widerspiegelt. Sein Idol ist Crey Price», so die Information zu seiner Person. Die Weste aus Elchleder und Glasperlen wurde von seiner Grossmutter Vivian Smith hergestellt.
Der Wolf ist auch das Clan Emblem von Matthew Wesley, der 2019 seinen Abschluss machte. Es war auch seine Grossmutter, die für ihn die Graduation Regalia mit Schuhen aus Elchleder und Zedernhut anfertigte. Auf schwarzem Melton-Gewebe applizierte sie einen stilisierten roten Wolf, ergänzt mit Muschelknöpfen.
Titelbild: Shania Hogan, 2017. © Robert Postma und Fotos: rv
Bis 28. September 2025
Honouring Our Future. Yukon First Nations feiern die Zukunft, im NONAM Nordamerika Native Museum, Zürich
Bis 17. August 2025
«Move. Indigene Kulturen in Bewegung», Bericht in Seniorweb: Bewegt unterwegs