Co-Intendantin Pinar Karabulut startet zum Auftakt mit dem Stück «Like Lovers Do (Memoiren der Medusa)» über sexualisierte Gewalt und patriarchale Strukturen in die neue Spielsaison am Schauspielhaus Zürich. Geboten wird eine fulminante Inszenierung, die unter die Haut geht.
Die israelische Autorin Sivan Ben Yishai greift in ihrem Stück «Like Lovers Do (Memorien der Medusa)» den uralten Mythos der Medusa auf und verwandelt ihn in eine schonungslose Gegenwartserzählung. Medusa, einst vergewaltigt von Poseidon und zur Strafe von Athene selbst in ein Monster verwandelt, wird zur Projektionsfläche für all jene, die in patriarchalen Systemen gleichzeitig Objekt der Begierde und Zielscheibe der Abwertung sind. Der Text ist ein radikaler Schmerzensgesang über sexualisierte Gewalt, Schuld und patriarchale Strukturen. Ben Yishais Sprache ist dabei zugleich poetisch und brutal, voller Rhythmus, Wiederholungen, Einschübe.
Eine rituelle Beschwörung
Pinar Karabuluts Inszenierung (2021 in den Münchner Kammerspielen uraufgeführt und zum Saisonstart auf der Pfauenbühne als Zürcher Premiere zu sehen) gleicht einer rituellen Beschwörung mit Augenzwinkern: Vier Darstellerinnen und ein Darsteller (Gro Swantje Kohlhof, Jelena Kuljić, Bekim Latifi, Edith Saldanha und Mehmet Sözer), gekleidet in grelle, poppige Kostüme, verweben Stimmen, Erinnerungen, Fantasien und Gewaltgeschichten zu einem kollektiven Körper von fünf besten Freundinnen. Sie agieren an einem tempelartigen Ort mit senffarbenen Vorhängen und vier aufblasbaren phallusartigen Gummisäulen an den Ecken, die auf umgedrehten Medusa-Köpfen fussen und denen später die Luft ausgeht, sowie einem Wasserbecken im Boden (Bühnenbild: Michela Flück).
Edith Saldana in choreografierter Bewegung.
Die fünf Freundinnen sind permanent zu Synthesizerklängen in synchron choreografierten Bewegungen um das Wasserbecken, zeigen ekstatische Ausbrüche und Momente stiller Intimität, reproduzieren erzählend uralte Rollenbilder, so ein Leben an der Seite eines älteren Traummannnes mit breiter Brust zum Anlehnen, schildern detailliert im Chor und einzeln an der Schmerzgrenze sexualisierte Gewalthandlungen, sexuelle Perversionen in vulgären Bildern, die man im Sound-Gedröhne oft nur bruchstückhaft mitbekommt. Gegen Ende wird eine Kastrationsfantasie mit einem abgeschnittenen Penis durchgespielt, in der ein Bus voll beladen mit patriarchalischen Geschlechterklischees rückwärts in den Abgrund chauffiert wird.
Als hybride Fabelwesen verkleidet geht es am Schluss himmelwärts.
»Dieses Lied ist dem gewidmet, der mich in einem Flur voller Schlangen fickte, bis meine Augen weiss und zu Knochen wurden.« So krass beginnt der Text, in dem die Männer im besten Fall Exhibitionisten, im schlechtesten Vergewaltiger sind. Sie demütigen, filmen, quälen. Doch auch Männer können zum Opfer werden, daran lässt die Autorin keinen Zweifel. Und: „Ich erinnere mich nicht mehr, ob es meine Stimme war, die Nein gesagt hat. Oder ob ich es mir nur einbilde, jetzt, viel später. Vielleicht war ich still.“ – auch das ist Teil dieser „Memoiren der Medusa“: das fragmentierte Erzählen, die Brüche der Erinnerung, die Unsicherheit, ob Sprache überhaupt reicht.
Es ist laut, körperlich und unbequem
«Like Lovers Do» ist kein einfaches Theater. Im Programmheft ist die Ankündigung mit einer Triggerwarnung versehen, dass der Text belastend und retraumatisierend wirken könne. Es ist laut, körperlich, unbequem. Es ist ein kollektives Ritual, das aufrüttelt, verstört und zugleich einen Raum eröffnet, in dem Schmerz, Lust und Widerstand zusammenkommen. Es fordert dazu auf, hinzusehen, hinzuhören – und nicht länger zu schweigen.
Mit ihrer comic- und zombiehaften Inszenierung nimmt Regisseurin Karabulut die Härte des Textes, mildert mit lautem Soundtrack die Störung durch kaleidoskopische Erzählung ab. Sicht- und erlebbar wird das vorab am Schluss, indem sie die fünf Schauspieler als hybride Fabelwesen mit Schaumstofftentakeln, Zusatzgliedern und Filzzacken ausstaffiert und in einem glitzernden Raumschiff himmelwärts abheben lässt. Das ist wohltuend und macht die Aufführung tragbar.
Titelbild: Ständig erzählend in rhythmischer Bewegung (v.l. Gro Swantje Kohlhof, Jelena Kuljić, Edith Saldanha, Mehmet Sözer). Fotos: Krafft Angerer
Weitere Spieldaten: 22., 26., September, 5., 11., 22., 27. Oktober, 4. November


Eine sehr eindrückliche Schilderung dieser Theaterinszenierung zum Thema «Sexualisierte Gewalt». Ob jedoch solche spektakuläre Aufführungen dazu beitragen können, die alltägliche sexualisierte Gewalt in unserer Gesellschaft ernster zu nehmen und Gewalt generell anzuprangern? Der Schmerzensgesang ist immer noch viel zu leise um von allen gehört zu werden. Die Macht dies zu ändern liegt bei uns allen.