StartseiteMagazinKulturSüdstaaten-Stimmung

Südstaaten-Stimmung

Ursprünglich von Carson McCullers geschrieben, dann von Livia Anne Richard ins Berndeutsche verdichtet und von Wale Liniger in Blues-Stimmung getaucht: «Sackgass», eine Geschichte von ausweglosem Lieben.

Kaum mag man sich am Premierenabend festlegen: Ist es die Stimmung im idyllischen Stiftsgarten unter der Berner Münster-Plattform im wärmenden Abendsonnenlicht, ist es die tragische amerikanischen Südstaaten-Ballade, knapp und deshalb besonders wirkungsvoll berndeutsch konzentriert von Livia Anne Richard, oder sind es die musikalischen Beiträge des bekannten Blues-Spezialisten Wale Liniger? Gewiss ist nur, dass man Teilnehmer, Gast eines einzigartigen Abends ist. Hebt man den Blick, gewahrt man das Berner Münster, senkt man ihn, befindet man sich in einer anderen Welt. Die Formel dazu: «Summertime»! (Als hätte man es erwartet, bringt Wale Liniger den Song aus Porgy and Bess von Gershwin tatsächlich zum Klingen.)

Die knappe Moritat, in welche Livia Anne Richard die 1951 veröffentlichte Novelle von Carson McCullers (1917-1967) auf Berndeutsch zusammenfasst, locker und geradeaus erzählt, ohne Theatralik, mit entspanntem Mienenspiel, verliert die Wirkung nicht, welche man dem Original zutraut. Vermutlich steht im deutschen Sprachraum das Verständnis einer Literatur dieser Art aus den Südstaaten der USA nicht ohne weiteres offen. Jedenfalls kann man das einigen Zeugnissen der Rezeptionsgeschichte des Werks von Carson McCullers entnehmen. Doch genau diese unscheinbar alltäglich montierte Form des Schilderns von Menschen, Verhältnissen, Städtchen und Landschaften ist es, was mindestens den einen bedeutenden Teil der amerikanischen Literatur bis zur Gegenwart ausmacht. In den 1950-er Jahren begegnete man den Anfängen dieses typischen Stils erstmals bei Thornton Wilder, und nicht viele unter uns haben alle seine grossen Romane gelesen, die solche Landschafts- und Menschenbilder und deren Zusammenwirken schildern. Seither vermöchte man zahlreiche Autorinnen und Autoren und deren Werke aufzuzählen, welche dieselbe Stimmung einfangen und ausdrücken, meist lakonisch, unprätentiös. Immer aber ist die Geschichte der Menschen, sind ihre Träume, ihre Irrungen und Wirrungen stark ausgearbeitet, dramatisch und auch tragisch, manchmal alltäglich, manchmal aussergewöhnlich.

So wird auch diese Menschengeschichte, diese Ballade von Liebe, wie man sie nicht erwartet, die nur in einer Sackgasse enden kann, in knappen Bildern und Worten erzählt. Wie in einer traditionellen Ballade glaubt man schon von Anfang an das schicksalhafte Ende voraus zu ahnen. Das beeinträchtigt auch das umgangssprachliche natürliche Berndeutsch nicht: Die Stimmung weht aus Amerikas Südstaaten, und die Menschen – die anfänglich harte, zur scheu Liebenden sich wandelnde Frau mit ihrem Laden und der Schnapsbrennerei, der bucklige Gefährte, der harte Gauner, gefangen alle in einem beängstigenden Dreieck, sie alle, verbunden mit der gesichts- und konturarm wirkenden Dorfgemeinschaft im Laden und im Café – alle diese Menschen sind wie Teil dieser Landschaft, die unter der Hitze des Nachmittags mit schwirrender Luft glüht.

Livia Anne Richard, Wale Liniger

Dann die Blues von Wale Liniger! Ganze Songs, mit der sprichwörtlichen Blues-Melancholie mit Gitarre oder Mundharmonika begleitet vorgetragen, die Zeit vergessen lassend, die Stimmung verstärkend, das Geschehen illustrierend. Singende Bilder, vor allem im Verbund mit den erzählten Bildern der Sprecherin. Manchmal sind es nur Einzeltöne, Akzente, Hinweise auf dieses und jenes in Handlung, Bild oder Gefühl. Die Zuschauenden wiegen mit Köpfen und Schultern, alle leben mit.

Vielleicht hat der sonnige Spätsommerabend letzthin mit seiner luftigen Wärme, die sich in den geblendeten Gesichtern gleichsam spiegelt, viel dazu beigetragen, dass die Stimmung so erfüllt war von Zuhören, Mitspüren, Mitleben. Immerhin traut man Livia Anne Richard und Wale Liniger dennoch ohne Zweifel zu, dass sie dieses einzigartige «Südstaaten-Image» bis in den November hinein immer wieder neu zu erwecken vermögen.

Bilder: fv

Weitere Vorstellungen:
KulturBistro Bern, Do, 17. Sept. 2020, Beginn: 19.30 Uhr keine Reservation kulturbistro.ch
ONO Bern, So, 20. Sept. 2020, Beginn: 17.00 Uhr, Reservation: www.onobern.ch
Zum Wilden Mann, Schmidigen, So, 27. Sept. 2020, Brunch: 09.30 Uhr,
Beginn «Sackgass»: 10.45 Uhr. Reservation: wilden.mann@bluewin.ch, restwildenmann.ch
Bibliothek Herzogenbuchsee, Fr, 16. Okt. 2020, Beginn: 19.30 Uhr, keine Reservation
biblio-buchsi.ch

Stefs Kulturbistro, Ostermundigen
, So, 22. Nov. 2020, Beginn: 15.00 Uhr,
Reservation: stefskulturbistro.ch

Spenden

Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, Sie zum Denken angeregt, gar herausgefordert hat, sind wir um Ihre Unterstützung sehr dankbar. Unsere Mitarbeiter:innen sind alle ehrenamtlich tätig.
Mit Ihrem Beitrag ermöglichen Sie uns, die Website laufend zu optimieren, Sie auf dem neusten Stand zu halten. Seniorweb dankt Ihnen herzlich.

oder über:
IBAN CH15 0483 5099 1604 4100 0

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Beliebte Artikel

Fragile Arktis

Die ermüdete Gesellschaft

Mitgliedschaften für Leser:innen

  • 20% Ermässigung auf Kurse im Lernzentrum und Online-Kurse
  • Reduzierter Preis beim Kauf einer Limmex Notfall-Uhr
  • Vorzugspreis für einen «Freedreams-Hotelgutschein»
  • Zugang zu Projekten über unsere Partner
  • Massgeschneiderte Partnerangebote
  • Buchung von Ferien im Baudenkmal, Rabatt von CHF 50 .-